Marx schämt sich für den Missbrauchsskandal
Katholische Bischöfe fordern Konsequenzen – Opferverband bleibt skeptisch – Papst sieht Jugend in Gefahr
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FULDA - In der deutschen katholischen Kirche soll die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle zügig beginnen: Nachdem die Deutsche Bischofskonferenz am Dienstag die von ihr in Auftrag gegebene Studie zum sexuellen Missbrauch vorgelegt hat, will der Vorsitzende der Konferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, Konsequenzen für die eigene Institution ziehen.
Die Ergebnisse der Studie waren bereits vor zwei Wochen bekannt geworden. Sie erfasst für den Zeitraum von 1946 bis 2014 insgesamt 3677 Kinder und Jugendliche, die Opfer sexueller Gewalt von 1670 Klerikern wurden. Die Zahlen, die bei der Auswertung von über 38 000 Personal- und Handakten nachweisbar waren, seien die „Spitze des Eisbergs“, wie der Mannheimer Wissenschaftler Harald Dreßing nun am Dienstag bei der offiziellen Vorstellung sagte. Denn die Dunkelziffer von Opfern und Tätern dürfte höher liegen. Marx sagte, er habe die Probleme seit vielen Jahren nicht wirklich erkannt. Er schäme sich. Künftig müsse das Gespräch mit den Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Er signalisierte Gespräche über die Priesterauswahl, über die Sexualmoral der katholischen Kirche, über den Zölibat, über das Verhältnis zur Homosexualität.
Derweil bleiben die Betroffenenverbände skeptisch. „Wir haben eine veränderte Tonlage gehört“, sagte der Sprecher des „Eckigen Tisches“, Matthias Katsch. Aber: „Wir sind gespannt, ob dieser Ankündigung auch Taten folgen werden.“
Während seines Besuches in Estland am Dienstag hat Papst Franziskus die Missbrauchsskandale dafür mitverantwortlich gemacht, dass sich viele junge Leute von der katholischen Kirche abwenden. Die Kirche müsse sich ändern, damit sie die Jugend nicht verliere.
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WIEN - Das österreichische Innenministerium plant, kritischen Medien gegenüber weniger Informationen preiszugeben. Das Vorhaben des Hauses von Minister Herbert Kickl von der rechten FPÖ hat für einen Aufschrei im Land gesorgt. Laut einem internen Papier des Innenministeriums sollen kritische Zeitungen vom Informationsfluss ausgegrenzt werden – während die Polizei verstärkt Informationen zu Sexualdelikten herausgeben soll. Auch Details zur Herkunft Verdächtiger sollen veröffentlicht werden.
Ein Sprecher von Innenminister Kickl verschickte das Schreiben an die Polizeidirektionen der neun österreichischen Bundesländer. Das Papier wurde zwei Wiener Zeitungen zugespielt. Darin werden drei Zeitungen – „Der Standard“, „Kurier“ und „Falter“– eine „sehr einseitige und negative Berichterstattung“über das Innenministerium und die Polizei unterstellt. Daher werde „angeregt, die Kommunikation mit kritischen Medien „auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken“. Dafür sollen „objektive und positive Berichterstattung“reichlich belohnt werden. Dem „Kurier“ zufolge heißt es in dem Schreiben außerdem: „Künftig darf ich darum ersuchen, die Staatsbürgerschaft eines mutmaßlichen Täters in euren Aussendungen zu benennen.“Der Aufenthaltsstatus solle genannt werden oder die Tatsache, „ob es sich um einen Asylwerber handelt“.
Was man darunter versteht, wird in dem Schreiben an einem Beispiel erklärt. Zu einer vom Privatsender ATV geplanten Serie über den Alltag von Polizisten heißt es: „Jede Folge wird abgenommen und geht erst nach positiver Abnahme auf Sendung. Es handelt sich dabei um imagefördernde Öffentlichkeitsarbeit.“
Von einem „frontalen Angriff auf die Pressefreiheit“spricht die wirtschaftsliberale Oppositionspartei Neos. Die Liste Pilz vom „Beginn der Kontrolle und der Gleichschaltung der Medien“in Österreich nach dem Modell Ungarns. Die Sozialdemokraten (SPÖ) fordern Bundeskanzler Sebastian Kurz auf, den Innenminister zu entlassen.
Kanzler Kurz reagiert mit Rüffel
Kurz reagierte – anders als bei weiteren Skandalen des rechten Koalitionspartners – diesmal unerwartet prompt. Vom Rand der UN-Vollversammlung in New York erteilte er seinem Innenminister einen Rüffel, allerdings nur einen indirekten: „Für einen freien und unabhängigen Journalismus im Land tragen besonders Parteien und Regierungsinstitutionen sowie öffentliche Einrichtungen eine hohe Verantwortung. Jede Einschränkung von Pressefreiheit ist nicht akzeptabel“, sagte Kurz. Von Konsequenzen sprach er nicht. Am Mittwoch wird das Thema auf Wunsch der liberalen Neos im österreichischen Parlament in einer dringlichen Anfrage behandelt.
Die heftigen Reaktionen veranlassten Minister Kickl, zurückzurudern. „Die Formulierungen bezüglich des Umgangs mit ,kritischen Medien’ finden nicht meine Zustimmung“, wird Kickl in einer Mitteilung von Dienstag zitiert. Weiter heißt es darin: „Die Pressefreiheit ist unantastbar und ein wesentlicher Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Kickl unliebsame Schlagzeilen für die Regierung produziert. Im Februar lancierte er eine Razzia gegen den ihm unterstellten Verfassungsschutz, deren Folgen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss aufarbeitet. Dabei erhärtet sich der Verdacht, dass Datenmaterial über die FPÖ und ihre Beziehungen zu Rechtsradikalen in Europa „sichergestellt“wurden. Ein Gericht erklärte die Aktion bereits als „illegal“.