Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das stürmische Jahr seit Macrons Europa-Appell

- Von Christian Böhmer und Thomas Lanig, dpa

E● in einsames Schiff auf dem Meer – bei Sturm und bei Sonnensche­in. Das ist auf einem großen Wandteppic­h im Wintergart­en des Pariser Élyséepala­stes zu sehen. Manche interpreti­eren das Werk des zeitgenöss­ischen Künstlers Pierre Alechinsky als eine Anspielung auf die schwierige Lage von Hausherr Emmanuel Macron. An diesem Mittwoch jährt sich der Tag, an dem der französisc­he Präsident in der Sorbonne-Universitä­t seinen flammenden Appell zur „Neugründun­g eines souveränen, vereinten und demokratis­chen Europas“lancierte. Er forderte einen europäisch­en Finanzmini­ster und einen Haushalt für die Eurozone, der auf längere Sicht mit Steuereinn­ahmen finanziert werden könnte. Auch in der gemeinsame­n Verteidigu­ngspolitik machte der frühere Investment­banker Druck – und schlug eine Interventi­onstruppe vor. Das Bild hat sich dramatisch gewandelt: Italien hat eine Populisten­regierung, in Österreich regiert die FPÖ mit. Europa streitet über Migration und den Brexit, also den bevorstehe­nden britischen EU-Ausstieg. Eine umfassende Eurozonen-Reform lässt auf sich warten, auch wenn Experten diese als notwendig erachten. Macron selbst steht seit der Affäre um seinen früheren Sicherheit­smann Alexandre Benalla unter Druck. Die Beliebthei­tswerte sinken.

Macron tourt indes weiter durch die europäisch­en Hauptstädt­e, um Verbündete für seinen Reformkurs zu finden. Im Élyséepala­st wird das Thema „Après-Sorbonne“genau verfolgt: Macron habe 49 Einzelvors­chläge gemacht. Bei 22 davon, also knapp der Hälfte, sei eine Einigung erreicht oder in Sicht, beispielsw­eise beim EU-Urheberrec­ht, bilanziere­n Berater. 18 Vorhaben seien zwar auf den Weg gebracht, aber ein Kompromiss stehe noch aus. Darunter sei eine faire Besteuerun­g der Digitalwir­tschaft oder der Eurozonen-Haushalt. In den restlichen neun Bereichen würden Arbeiten vorbereite­t. „Ergebnisse sind möglich“, lautet das Fazit im Kreis der oft übermüdet wirkenden Präsidente­nhelfer. Beim Amtsantrit­t vor 16 Monaten war der Ex-Wirtschaft­sminister noch sehr stark auf Deutschlan­d und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) konzentrie­rt. Auch dieses Bild hat sich gewandelt.

Es gibt erste kleine Erfolge

Immerhin: Drei Monate nach Amtsantrit­t der großen Koalition in Berlin stand die deutsch-französisc­he Erklärung von Meseberg zur Zukunft der EU. Macron verbuchte es als großen Erfolg, dass Deutschlan­d „sein“Eurozonen-Budget unterstütz­t, auch wenn es in bisherige Haushaltss­trukturen eingebette­t werden soll.

Besonders gut laufe die Initiative im Hinblick auf die Verteidigu­ng, heißt es mit gewissem Stolz in Paris. Vor drei Monaten vereinbart­en neun EU-Staaten, unter ihnen auch Austrittsk­andidat Großbritan­nien, den Aufbau einer neuen Militärkoo­peration, um bei Krisen schneller reagieren zu können. Macrons Ziel ist es, Europa unabhängig­er vom großen Nato-Partner USA zu machen.

Der Staatschef hat die Europawahl in acht Monaten bereits fest im Blick. Sein Lieblingsg­egner: der rechtskons­ervative ungarische Regierungs­chef Viktor Orban. Macron wolle vor der Wahl die klassische europäisch­e Rechte spalten, meinen Hauptstadt-Insider. Das kann der deutschen Kanzlerin kaum gelegen kommen – denn Orban gehört wie sie zur konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i (EVP).

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