Die italienische Gefahr
Bei der EU wächst das Unbehagen über Rom – Salvini stellt gemeinsame Regeln infrage
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BRÜSSEL - Erst knapp sechs Monate ist die neue Regierung in Italien aus Rechts- und Linkspopulisten im Amt. Sie hat aber die übrigen EUMitglieder und die Verwaltung in Brüssel bereits das Fürchten gelehrt. Innenminister Matteo Salvini, der eigentliche starke Mann hinter dem Ministerpräsidenten, pfeift auf europäische Gesetze, Absprachen und die Vorgaben des Stabilitätspakts. Gegen derartige Regelbrüche – das zeigen die Beispiele Polen und Ungarn – ist die EU ziemlich machtlos.
Beim Treffen der Eurofinanzminister am Montag in Luxemburg musste sich Italiens Vertreter Giovanni Tria fragen lassen, wie er die geplante Neuverschuldung von 2,4 Prozent jährlich für die kommenden drei Jahre rechtfertigt. Die Kollegen sollten sich keine Sorgen machen, erklärte der Wirtschaftsprofessor, wollte sich aber zu den Details der italienischen Haushaltspläne nicht öffentlich äußern. Der Tageszeitung „Il Sole 24 Ore“hatte er zuvor gesagt, die zusätzlichen Ausgaben würden das Wachstum ankurbeln und so dazu beitragen, die Staatsschulden zu verringern.
Salvini hatte am Wochenende angekündigt, den Haushaltsentwurf seiner Regierung notfalls auch gegen den Widerstand der EU durchzusetzen. Es sei ihm „egal“, ob Brüssel die Pläne ablehne, sagte Salvini. „Niemand in Brüssel kann mir sagen, dass es nicht der richtige Moment ist“, sagte Salvini. „Wenn Brüssel sagt, ich kann das nicht tun, dann ist mir das egal, ich werde es trotzdem tun“, betonte er am Samstag mit Blick auf den Budgetplan seiner Regierung.
Italien hat einen Schuldenberg von mehr als 130 Prozent des BIP angehäuft. Nur Griechenland steht noch schlechter da. In Deutschland liegt die Gesamtverschuldung bei 64 Prozent des BIP. Die sozialdemokratische Vorgängerregierung in Rom hatte durch eine geplante maßvolle Neuverschuldung von weniger als einem Prozent pro Jahr versucht, die Belastung nicht noch weiter anwachsen zu lassen.
Auch Tria ist beim Kurs seiner Regierung nicht wohl. Er konnte sich aber mit eigenen Plänen nicht gegenüber den Regierungsmitgliedern von der Lega Nord und der Fünf-SterneBewegung durchsetzen, die ihrer Klientel im Wahlkampf großzügige Geschenke in Aussicht gestellt hatten. Sie wollen das Rentenalter und die Steuern senken, die Renten erhöhen und den Ärmsten ein bedingungsloses Grundeinkommen zahlen. Die dafür einkalkulierten 2,4 Prozent Neuverschuldung sind allerdings schon deutlich maßvoller als die ursprünglich angekündigten sieben Prozent. Auch von einem Austritt aus der Eurozone scheinen Lega und Fünf Sterne zumindest vorläufig abgerückt zu sein.
Die Finanzminister versuchten in Luxemburg, die Wogen zu glätten, und setzten wohl darauf, hinter den Kulissen auf Tria besser einwirken zu können als mit drastischer öffentlicher Kritik. „Ich bin ein wenig beunruhigt, hoffe aber, dass sie wissen, was sie tun“, sagte der finnische Finanzminister Petteri Orpo. „Die Regeln gelten für jeden“. Eurogruppenchef Mário Centeno sagte: „So ein Haushaltsprozess ist lang. Noch wird in Rom verhandelt. Wir müssen das Ende des Prozesses abwarten.“Der Niederländer Wopke Hoekstra erinnerte daran, dass die Kurse an der Mailänder Börse ja bereits auf Talfahrt gegangen seien. „Wir brauchen aber zunächst ein Gesamtbild. Dann sollte die EU-Kommission ihr Urteil abgeben und die italienischen Interessen dabei genauso berücksichtigen wie die gesamteuropäischen.“
Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire nutzte die Gelegenheit, um für die von Präsident Emmanuel Macron geforderte Reform der Eurozone zu werben. Das italienische Beispiel zeige, wie wichtig es sei, die Wirtschaftspolitik der Eurostaaten eng aufeinander abzustimmen. Frankreich habe seine Hausaufgaben gemacht, die Arbeitsgesetzgebung und die Steuersystematik reformiert und das Defizit auf unter drei Prozent gedrückt. „Wir haben das nicht getan, um die EU-Kommission zufriedenzustellen, sondern weil wir glauben, dass es gut ist für die französische Wirtschaft und das französische Volk.“
Belastung für gesamte Eurozone
Paweł Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht die aktuelle Entwicklung Italiens, der drittgrößten Wirtschaftszone des Euroraums, als Belastungsprobe für die Einheitswährung insgesamt. Es zeige sich ein weiteres Mal, wie wenig die seit der Krise 2008 neu hinzugekommenen Disziplinierungsinstrumente – zum Beispiel die Pflicht, den Haushaltsentwurf von der EU-Kommission absegnen zu lassen – in der Praxis nützten. Wenn die Europäische Zentralbank, wie angekündigt, den Ankauf von Staatsanleihen in den nächsten Monaten einstelle, würden die Kreditzinsen in die Höhe schnellen und die Verschuldung weiter anheizen. Hinzu komme ein verlangsamtes Wachstum in der Eurozone, der steigende Ölpreis und die Spannungen im Welthandel.
Kein Wunder also, dass die anderen Mitglieder der Eurozone seit dem Regierungswechsel in Rom mit Unbehagen darauf warten, wie dort die Weichen wirtschaftspolitisch gestellt werden. Rauscht die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone auf den Abgrund zu, lässt sich das für die übrigen 18 Mitglieder der Währungsunion nicht so leicht verdauen wie eine drohende Staatspleite in einem kleinen Land wie Griechenland.