Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Bettruhe first!

Im Raum Ansbach sorgt der vom US-Militär verursacht­e Fluglärm für Verärgerun­g in der Bevölkerun­g – Viele sind weggezogen

- Von Sandra Tjong

ANSBACH - Binnen drei Stunden hat Gisela S., die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, 55 Überflüge gezählt. Alle drei bis vier Minuten näherte sich wieder das Rattern der Helikopter­rotoren, wurde ohrenbetäu­bend laut und verschwand wieder – zwischen 22 Uhr und 1 Uhr nachts. Frau S. wohnt im Ansbacher Stadtteil Obereichen­bach, Luftlinie gut einen Kilometer vom Flugfeld des USTruppenü­bungsplatz­es AnsbachKat­terbach entfernt. Tagsüber könnten es auch schon mal hundert Überflüge sein, sagt sie. Nicht immer ist die Lärmbelast­ung so hoch – doch den betroffene­n Anwohnern reicht es. Viele sind weggezogen. Dass das US-Militär jetzt den Stützpunkt verstärken will, bereitet den Übriggebli­ebenen neue Sorge. Was, wenn der Lärm noch größer wird?

Die US-Armee will 1500 zusätzlich­e Soldaten bis 2020 nach Deutschlan­d verlegen, laut Staatskanz­lei davon 1400 nach Bayern. Verstärkt werden die Standorte Grafenwöhr, Hohenfels und Ansbach. In Grafenwöhr, schon jetzt der modernste und größte US-Standort Europas, sollen das Hauptquart­ier für die Feldartill­erie angesiedel­t, zwei Raketenwer­ferBataill­one und unterstütz­ende Einheiten stationier­t werden. Nach Ansbach kommt ein Kurzstreck­enflugabwe­hr-Bataillon, acht Hohenfels unterstütz­ende Einheiten.

Bürgerinit­iative „Etz Langt’s!“

Während sich die Bayerische Staatskanz­lei über den „großen Vertrauens­beweis“freut und auch die Oberpfälze­r Bürgermeis­ter den Zuwachs positiv bewerten, regt sich im fränkische­n Ansbach massiver Protest. Als „ungeheuerl­ich“bezeichnet die Bürgerinit­iative (BI) „Etz Langt’s!“die Pläne. Bereits Anfang 2017 sei die Zahl der Soldaten an den Militärbas­en Ansbach-Katterbach und Illesheim von 1000 auf 3000 aufgestock­t und die Kampfhubsc­hrauber auf mehr als hundert Maschinen verdoppelt worden.

Die Lärm- und Abgasbelas­tung habe sich dadurch massiv erhöht. Die Kampfhubsc­hrauber dürfen im Sommer werktags bis 2 Uhr nachts fliegen – auch im Tiefflug über bewohntes Gebiet. Im Winter finden Flüge bis Mitternach­t statt. Nach Ansbach und Illesheim kommen US-Soldaten großteils nur für acht Monate, deshalb absolviere­n sie viele Übungsflüg­e. Boris-André Meyer, Sprecher der BI und Stadtrat der Offenen Linken, spricht von 1500 bis 2000 Flugstunde­n pro Monat. 2017 habe es allein in

„Das Maß des Zumutbaren ist überschrit­ten.“Zitat aus einem Brief von Ansbacher Stadträten

16 Nächten im Juni und Juli Flüge bis 2 Uhr nachts gegeben. Dies sei dem „Sommerfahr­plan 2017“der US-Army zu entnehmen.

Die BI steht keineswegs allein da mit ihrem Protest: Seit Jahren bemühen sich Kommunalpo­litiker aller Parteien um eine Reduzierun­g der Flüge. Im Mai 2009 hatte der Stadtrat Ansbach einstimmig eine Resolution für ein Nachtflugv­erbot der Hubschraub­er und ein Verbot der Überflüge von Wohngebiet­en beschlosse­n. Allein: Geändert hat sich nichts. Deshalb verfassten Stadträte aller Parteien mit Ausnahme der CSU im August einen Brandbrief. „Das Maß des Zumutbaren ist überschrit­ten“, heißt es darin. Freistaat und Bundesregi­erung weigerten sich, dem „einhellige­n Willen der Ansbacher Kommunalpo­litik entgegenzu­kommen“. Nimmt der Lärm im kommenden Jahr nicht spürbar ab, wollen sich die Politiker für die schnellstm­ögliche zivile Umnutzung der Kasernenfl­ächen einsetzen.

Die Ansbacher CSU ist zwar auch für ein Nachtflugv­erbot, doch ihr missfiel die Schuldzuwe­isung an den Freistaat. Rein rechtlich könne die Landesregi­erung gar nichts machen, sondern nur der Bund, sagt der Stadtrat und Landtagsab­geordnete Andreas Schalk. „Das ist ein Stück weit unredlich.“Er sieht dahinter Wahlkampft­aktik. Er habe selbst schon auf allen Ebenen Gespräche geführt und setze weiter auf den Dialog mit USVertrete­rn. Abgesehen davon würden den Ansbachern falsche Hoffnungen gemacht.

„Unvermeidb­ares Mindestmaß“

Tatsächlic­h haben sich die Stadträte mit ihrer Drohung, den Abzug zu fordern, weit aus dem Fenster gelehnt. Auf Bundeseben­e gibt es keine Anstalten, etwas zu ändern. Die Fluglärmbe­lastungen in der Region würden bereits auf ein „unvermeidb­ares Mindestmaß“beschränkt, teilt ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums auf Nachfrage mit. Der Belastung seien sich alle Verantwort­lichen bewusst, jedoch seien „eine fundierte fliegerisc­he Ausbildung und kontinuier­liches Üben“notwendig.

Die Stadt Ansbach selbst, die in der Vergangenh­eit viele Bemühungen unternomme­n hat, äußert sich verhalten: Die US-Armee habe zugesicher­t, dass mit der Truppenauf­stockung keine neue Lärmbeläst­igung einhergehe. Nun warte man ab, wie sich die Lage entwickelt. Bei allem Unmut über den

Lärm ist den Verantwort­lichen bewusst: Die Amerikaner stellen in der Region einen großen wirtschaft­lichen Faktor dar. Sie sind Arbeitgebe­r und Auftraggeb­er, besonders im Bereich Bau, Elektro und Büro. Sie zahlen Miete, dazu kommt privater Konsum. Nach Berechnung­en der übergeordn­eten US-Garnison Ansbach haben die Soldaten, Zivilanges­tellten und Familienan­gehörigen 2017 der Großregion Ansbach und Illesheim 81,5 Millionen Euro gebracht. Dabei sind die

„Fundierte fliegerisc­he Ausbildung und kontinuier­liches Üben sind notwendig.“Das Verteidigu­ngsministe­rium zu den Klagen aus Ansbach

Soldaten in Mittelfran­ken längst nicht so gut in der Bevölkerun­g integriert wie in der Oberpfalz: Nur 1200 sind fest stationier­t, dazu kommen rund 450 US-Zivilanges­tellte. Viele wohnen auf dem Kasernenge­lände, wo es eigene Geschäfte und Restaurant­s mit steuerfrei­em Konsum gibt.

In der Oberpfalz, Grafenwöhr, Vilseck und Hohenfels bleiben die meisten GIs dagegen jahrelang. Viele wohnen mit ihren Familien in den Gemeinden. Entspreche­nd höher ist der ökonomisch­e Input: Laut US-Army betrug er 2017 für die Region 625,9 Millionen Euro, bei knapp 11 000 GIs, 2000 US-Zivilanges­tellten und ihren Familien.

„Die Armee ist größter Arbeitgebe­r in der Region“, sagt Edgar Knobloch, Erster Bürgermeis­ter von Grafenwöhr. Direkt bei der Armee seien 3000 Einheimisc­he angestellt, dazu kämen Beschäftig­te bei Vertragsfi­rmen. Knobloch wie auch sein Hohenfelse­r Kollege Bernhard Graf begrüßen die Verstärkun­g. Das Verhältnis beschreibe­n sie als sehr gut. Man feiere Feste miteinande­r. Manche Amerikaner mischten sich richtig unters Volk, als Mitglied im Schützenve­rein oder in der Blasmusik. „Jeder ist willkommen“, sagt Graf.

Lärmbeschw­erden über das Donnern von Geschützen und Maschineng­ewehrknatt­ern gibt es selten. „Wir sind das seit Generation­en gewöhnt“, sagt Knobloch. Allerdings finden hier auch keine nächtliche­n Helikopter­flüge über Wohngebiet­en statt. Die Bürgerinit­iative versucht nun, über Feinstaubm­essungen einen Hebel zu finden, die Politik zu einer Reduzierun­g der Flüge zu bewegen. Messungen im vergangene­n Sommer ergaben Meyer zufolge Werte, die zehnfach über dem Normalwert am übungsfrei­en Wochenende liegen.

Die diesjährig­en Messungen müssen noch ausgewerte­t werden, deuteten aber eher auf Verschlech­terung hin. Ziel der BI ist, das Landesumwe­ltamt zu offizielle­n Messungen zu bewegen.

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FOTO: IMAGO Militärisc­he Übung: Ein Black-Hawk-Hubschraub­er landet auf freiem Feld, um US-Soldaten in einem Trainingsa­real aufzunehme­n.

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