Mutter des Vermissten aus Blaubeuren äußert sich
Ibrahim Ürkündag ist seit zwei Jahren verschwunden – Ermittler schließen eine Gewalttat nicht aus
BLAUBEUREN/SCHELKLINGEN (krom) - Wo ist Ibrahim Ürkündag? Ist ihm etwas zugestoßen? Wurde er vielleicht sogar Opfer eines Gewaltverbrechens? Seine Mutter weiß es nicht. „Manchmal denke ich, er lebt nicht mehr“, sagt sie im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Aber ich weiß es nicht.“
Gisela Ürkündag klingt am Telefon gefestigt, ruhig. Nur selten wird sie laut oder verhaspelt sich. „Beim Schaffen ist es furchtbar. Wenn ich alleine bin, kommen mir die Tränen“, sagt sie. Derzeit weilt sie mit ihrem Mann im Urlaub in der Türkei. Ziemlich genau vor zwei Jahren verschwand ihr Sohn, dessen Ehefrau habe ihn am Abend des 18. Oktober 2016 gegen 23 Uhr das letzte Mal gesehen, berichtet Ibrahims Mutter. Seither gilt der damals 25-Jährige aus Blaubeuren als vermisst.
Doch kurz bevor sie in den Urlaub aufgebrochen sind, kam – für Ibrahims Mutter unerwartet – wieder Bewegung in die Suche nach ihrem Sohn. Polizeibeamte durchsuchten Ende September drei Wohnungen in Schelklingen und eine Firma in BlaubeurenGerhausen.
„Auf einmal waren ganz viele Polizisten auch mit Hunden hier vor Ort“, schildert eine Anwohnerin in Gerhausen das Erlebte. Ganz ruhig und gemütlich, nicht aufgeregt seien die Beamten über die Straße gelaufen, sagt sie. Die Durchsuchung der Firma habe mehrere Stunden angedauert. Die Polizisten – zwischen 20 und 30 Beamte, schätzt sie – seien immer wieder rein ins Gebäude – mal mit, mal ohne Hund. „Ganz früh am Morgen sind sie gekommen, gegen vielleicht 13.30 Uhr waren sie wieder weg.“
Polizei und Staatsanwaltschaft schließen inzwischen nicht mehr aus, dass das Verschwinden von Ibrahim Ürkündag auch im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen stehen könnte. Dies hätten Hinweise ergeben, die allerdings erst nach der öffentlichen Suche mit einem Foto von Ibrahim Ürkündag im April dieses Jahres bei den Ermittlern eingegangen seien, erklärt Wolfgang Jürgens, Sprecher des Polizeipräsidiums Ulm.
Um jetzt diesen schweren Verdacht erhärten oder aber auch entkräften zu können, seien die Durchsuchungen vorgenommen worden. Die Inhaber der durchsuchten Räume sollen Personen aus dem persönlichen Umfeld des Vermissten sein. Die dabei sichergestellten Gegenstände werden derzeit ausgewertet. Weitere Angaben machen die Ermittler auch auf Nachfrage dazu bislang nicht.
Der Inhaber der Firma in Gerhausen will sich im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“weder zur Durchsuchung noch zur Suche nach dem Vermissten äußern. „Ich habe alles mit der Polizei besprochen“, sagt er. Die Ermittler wollen die Rolle des Mannes nicht kommentieren. „Natürlich haben wir jetzt viele Informationen. Die Frage ist aber am Ende, welche gesichert sind“, sagt Polizeisprecher Jürgens.
Seit der Polizeiaktion habe die Gerüchteküche in Gerhausen, vor allem in der unmittelbaren Nachbarschaft gebrodelt, erzählt die Anwohnerin. Auch von einer gefundenen Leiche sei die Rede gewesen, nachdem die Zusammenhänge klar geworden seien. „Aber das glaube ich nicht. Das hätte man mitbekommen“, sagt sie.
Auch Ibrahims Mutter kann nur mutmaßen, was mit ihrem Sohn passiert sein könnte. Wenige Tage bevor er verschwand, habe sie mitbekommen, wie er händisch etwas auf einen Zettel geschrieben habe, erzählt sie. Ibrahim habe damals gesagt, das sei nicht schlimm, habe den Brief dann zerrissen und in den Müll geworfen. Nachdem seiner Mutter aber immer mehr klar wurde, dass irgendetwas nicht stimmt, sei sie zur Blauen Tonne gegangen, habe den Zettel zusammengelegt und der Polizei übergeben. „,Ich muss gehen’, hat er geschrieben“, sagt Gisela Ürkündag. Doch auch hier halten sich die Ermittler bedeckt, kommentieren weder die Aussagen der Mutter noch die Existenz eines solchen Briefes.
Gisela Ürkündag hatte wenige Tage nach dem Verschwinden ihres Sohnes in den Sozialen Medien einen Hilferuf abgesetzt. Bei Facebook postete sie ein Bild von Ibrahim. Der Beitrag wurde mehr als tausend Mal geteilt. Dass die Polizei erst nach anderthalb Jahren mit der öffentlichen Suche und jetzt mit Durchsuchungen begonnen habe, begreife sie nicht. „Aber das ist bei denen so“, sagt sie. Ihr sei damals gesagt worden, ihr Sohn sei ein freier Mann, habe nichts verbrochen, er könne sich aufhalten, wo er wolle, erzählt Gisela Ürkündag. Laut Polizeisprecher Jürgens habe es jedoch zu einem früheren Zeitpunkt „überhaupt keine rechtliche Grundlage“für das „Schwert“einer Öffentlichkeitsfahndung gegeben. „Dann dürfen wir das nicht tun“, sagt er.
Doch die Zeit zurückdrehen können Gisela Ürkündag und ihr Mann nicht. Für sie zählt nur eins: „Ich will, dass mein Sohn wieder zurückkommt.“