Der Winzer vom Berg
Allen Skeptikern und bürokratischen Hürden zum Trotz – Armin Gross aus dem Allgäu betreibt den höchstgelegenen erwerbsmäßigen Weinbau in Deutschland
Wein noch in 1200 Metern Höhe. Warum sollte er dann nicht bei mir auf 900 Höhenmetern kultivierbar sein?“Gross zog noch die Klimaerwärmung in Erwägung und diskutierte seine Idee mit einem alten Weinlieferanten seines Hotels, einem Winzer aus der Stuttgarter Gegend. Worauf der Entschluss fiel, es einfach mal zu versuchen.
Die ersten zehn Stöcke kamen 2008 in den Oberallgäuer Boden. Es war zu erwarten, dass die ersten selbstproduzierten Tropfen nach der ersten Lese 2010 eher gewöhnungsbedürftig waren. „Sie vergoren im Kühlschrank zu Winzersekt“, sagt Gross. Für eine Überraschung sorgte aber etwas anderes: Unerwartet tauchte ein typisch deutscher bürokratischer Fallstrick für den Laien auf. „2011 habe ich ein Schreiben der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau aus Veithöchstheim bekommen“, sagt Gross. Der Inhalt: Wer unangemeldet Wein anbaut, wird gestraft.
Nicht dass die Beamten vom fernen Main extra am Hotel recherchiert hätten. Ihre Quelle war ein Allgäuer Online-Portal. Es hatte augenzwinkert gemeldet, Deutschlands höchster Weinberg befinde sich in Bad Hindelang. Dies war auch in Veithöchstheim gelesen worden. „Jetzt stand ich strafbedroht da“, erinnert sich Gross. „Ich dachte erst, dies sei ein Witz.“Es war aber Ernst, jedoch gleichzeitig eine bewältigbare Krise. Der damalige Hobby-Winzer musste seine Rebstöcke anmelden. Er lernte zugleich, dass seinerzeit im Freizeit-Weinbau gerade mal eine Fläche bis 100 Quadratmeter zulässig war. Alles darüber hinaus zählte zum gewerblichen Bereich.
Gross nutzte diese Hobby-Regel, wollte aber mehr. 500 Quadratmeter Rebfläche für den gewerblichen Weinbau schwebte ihm vor. Sieben Jahre kämpfte er um den behördlichen Durchbruch – bis es dann vor Kurzem so weit war. Warum es so lange gedauert hat, ist Spekulation. Vielleicht dachten die Veithöchstheimer Beamten in ihrer traditionellen Weinregion, Reben im Oberallgäu seien wirklich eine bloße Spinnerei? Vorstellbar. Den Jung-Winzer ficht dies nicht an. Zu seinen bisherigen 40 Weinstöcken will er im nächsten Frühjahr rund 200 weitere pflanzen: „Sodass ich die 500 Quadratmeter Fläche habe.“
Die Traube der Wahl ist in erster Linie Solaris, eine weiße Sorte. Dabei handelt es sich um eine 1975 im Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg neu gezüchtete, pilzwiderstandsfähige Art. „100 bis 150 Liter Wein werde ich wohl machen, wenn die Reben entsprechend herangewachsen sind“, glaubt Gross. Ob es klappt, liegt neben dem Wetter dann auch an seinem Geschick. „Ich pflege den Weinberg zusammen mit Helfern selbst. Das heißt, ich schneide auch die Reben“, sagt er.
Seine Frau und die beiden kleinen Buben finden das Engagement offenbar gut. „Jedenfalls bekomme ich moralische Unterstützung“, meint Gross lächelnd. Für ihn selber ist der Weinbau zu einem „sehr intensiven Hobby mit Potenzial auf Erweiterung“geworden. Wobei es nicht sein einziges ist. So zählt er Wandern und Texte verfassen zu seinen weiteren Lieblingsbeschäftigungen. Schwerpunkt sei aber schon die Arbeit mit den Reben. Ende September war dann auch die lang ersehnte Lese der bisherigen 40 Weinstöcke. 85 Kilogramm Trauben kamen zusammen. Gepresst seien 45 Liter Süßmost geblieben. „Der gärt jetzt“, sagt Gross.
Den Zeitpunkt der Lese bestimmt er durchs Mostgewicht: „Wenn es 90 Grad Oechsle erreicht hat, ist es soweit.“Üblicherweise liegt das Mostgewicht eines mittleren Jahrgangs in Deutschland zwischen 70 und 80 Grad Oechsle. Entsprechend findet Gross, dass aus seinen Solaris-Trauben ein „geschmacklich vorzüglicher Wein“wird. Ein Eindruck, den ein paar Schlücke aus einem Probierglas durchaus bestätigen. Ansonsten haben bisher nur ausgesuchte Freunde den Tropfen zu trinken bekommen. Aber dies ändert sich nun.
Die gewerbliche Anbaugenehmigung erlaubt es, den Rebensaft künftig auch im Hotel auszuschenken. Gross hätte dies gerne unter der Bezeichung Luitpolder Ochsenberg gemacht, um die örtliche Verankerung zu betonen. Das deutsche Weinrecht lässt dies aber nicht zu. Der JungWinzer hat eine andere Lösung gefunden: „Ich nenne ihn nun Bergwein 860 NN.“Mit anderen Worten: Rebensaft bei 860 Meter über Normal Null. „Es soll ja jeder sehen, dass der Wein etwas Spezielles ist“, meint Gross.