„Man muss zäh auf Ziele hinarbeiten“
Ex-Daimler-Chef Edzard Reuter fordert von seiner SPD klare Linien und Glaubwürdigkeit
STUTTGART - Daimler-Chef und Sozialdemokrat: Edzard Reuter hat die beiden Welten Ende der 1980erJahre miteinander verbunden. Im Gespräch mit Kara Ballarin erklärt er, warum die SPD derzeit im Tief steckt, wie die Partei in der Wählergunst wieder punkten kann – und warum er will, dass Leni Breymaier Landesvorsitzende der SüdwestSPD bleibt.
Herr Reuter, Sie sind seit mehr als 70 Jahren SPD-Mitglied. Warum laufen Ihrer Partei die Wähler weg?
Das Problem der SPD sind nicht falsche Ideen oder Themen. Es geht darum, dass es die SPD versäumt hat, klare Schwerpunkte zu setzen, diese durch glaubwürdige Persönlichkeiten zu vertreten und dann auch durchzuhalten.
Ein Beispiel?
Im jüngsten Bundestagswahlkampf hatte sich Martin Schulz klar zu einer weiteren Vertiefung der Europäischen Union bekannt. Das Thema wurde dann während des Wahlkampfs fallengelassen, weil die Parteistrategen der Meinung waren, dass damit keine Wählerstimmen zu gewinnen seien. Das ist ein Musterbeispiel. Eine große Partei muss konsequent klare Positionen vertreten.
Gilt diese Kritik auch im Hinblick auf den Umgang mit Flüchtlingen? Hätte die SPD hierzu auch klarer Position beziehen müssen?
Auch bei der Flüchtlingsfrage hat man die Linie verlassen, dass man sich klar zu Rechtsstaat, zu Asyl und zum Grundgesetz bekennt. Das kann natürlich auch nicht heißen, dass man alle Flüchtlinge auf Dauer willkommen heißt. Über die Probleme, die mit dem Zuzug so vieler Menschen auf kommunaler Ebene einhergehen, muss man dann natürlich im Detail sprechen.
Die SPD im Bund wie auch auf Landesebene erweckt in den vergangenen Jahren den Eindruck, ihren Abwärtstrend durch den Austausch des Spitzenpersonals aufhalten zu wollen – bislang jedoch ohne Erfolg. Halten Sie dieses Vorgehen für den richtigen Weg?
Das hat sich schon mehrfach erwiesen, dass das nicht ausreicht. Ein Teil liegt immer am Führungspersonal. An der Spitze müssen Menschen stehen, die sich deutlich und glaubwürdig zu Grundsatzzielen bekennen. Dass man meint, wenn die Dinge schlecht laufen, muss man einfach die Führung austauschen und dann wird das wieder, stimmt nicht.
Ist Andrea Nahles als Bundesvorsitzende denn die Richtige?
Ich möchte mich nicht zu einzelnen Personen äußern.
Auch nicht im Land? Leni Breymaier hat den Vorsitz vor zwei Jahren übernommen, nachdem sich die SPD bei der Landtagswahl auf 12,7 Prozent fast halbiert hatte. Aktuell liegt die Partei in Umfragen bei noch schlechteren elf Prozent. Lars Castellucci tritt als Gegenkandidat an. Muss Breymaier gehen?
Es ist eine Neuwahl angestrebt. Ich habe mich bereits entschieden für die Wiederwahl von Leni Breymaier, weil ich nicht sehe, was und wie ein Wechsel den Zuspruch der Wähler befeuern könnte.
Sie waren ab 1987 acht Jahre lang Chef der Daimler-Benz AG. Sie ha- ben den Konzern massiv umgebaut – und dabei offensichtlich in sehr langen Linien gedacht. Sehen Sie hier eine Parallele zwischen Vorstandsund Parteivorsitzenden?
Das sehe ich auch in der Führung einer Partei so. Gerade wenn eine Partei in so eine schwere Krise geraten ist wie die SPD – das gilt nebenbei bemerkt auch für die CDU –, dann muss man klare Linien festlegen und Geduld haben. Man muss zäh auf seine Ziele hinarbeiten und weder den Mitgliedern noch der Wählerschaft das Gefühl geben, hier schwankt das Blatt im Winde.
Wenden sich die Wähler auch wegen der Dieselaffäre von den großen Parteien ab?
Es mag sein, dass das dazu beigetragen hat, die Krise zu verschärfen. Der Umgang der Politik mit der Automobilindustrie ist so unklar gewesen, dass in weiten Teilen der Wählerschaft der Eindruck herrschte: Auf die kann man sich eh nicht verlassen, die Politiker ändern ständig ihre Meinung. Das sieht man etwa an den Nachrüstungen von Autos. Das war lange ein Tabu, nun ist es aber doch möglich.
Ist die Politik zu zaghaft mit den Automobilkonzernen umgegangen?
Das Thema Dieselfahrzeuge ist ein kompliziertes und schwieriges Problem, da konnte niemand von Anfang an eine Patentlösung haben. Aber inzwischen, nach so langer Zeit, sollte klar sein, was man als Politik will. Die Automobilwirtschaft verfolgt selbstsüchtig ihre Interessen, das ist auch deren Aufgabe. Die Politik muss aber endlich eine Linie vorgeben und sich daran halten.