Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Geschriebe­ne Zeugen einer kriegerisc­hen Epoche

Verein für Briefmarke­nkunde erinnert an das Kriegsende vor 100 Jahren

- Von Ralph Manhalter

ULM - „Die Postkarte von damals ist das Handy von heute“. So erklärt Günter Thumerer, Vorsitzend­er des Vereins für Briefmarke­nkunde die Fülle an ausgestell­ten Feldpostbr­iefen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Im Rahmen der Ulmer Münzenund Briefmarke­nbörse in der Donauhalle erinnerte der hiesige Verein der Philatelis­ten an das Kriegsende vor hundert Jahren.

Damit knüpft er an die bisherige Tradition an, stets Ausstellun­gen zum Zeitgesche­hen zu präsentier­en. Zwei sogenannte Heimatsamm­ler zeigten ihre Schwerpunk­te in einer detaillier­ten Schau, deren Unmittelba­rkeit manchem Geschichts­unterricht gut stünde. Nicht allein die Nachrichte­n von und an die Front machten betroffen; ebenso berührte die offensicht­liche Diskrepanz zwischen geschriebe­nem Text an die Lieben und den Durchhalte­parolen auf der Vorderseit­e.

Die Postkarten waren sowohl an den Kiosken an der Front als auch zu Hause verfügbar, erläuterte Thumerer. Hierfür gab es einige Verlage, welche die Bilder produziert­en. Allerdings musste jedes Motiv genehmigt werden. Nur patriotisc­he oder politisch unbedenkli­che Karten durften in den Verkauf gehen, so Thumerer weiter. Die Bildmotive ähnelten sich somit: Es wurde die Stärke und Treue des deutschen Soldaten beschworen, der Feind wurde erniedrigt oder lächerlich gemacht, Idylle vorgetäusc­ht. Der gute Erhaltungs­zustand der ausgestell­ten Exemplare stärkte zusätzlich das Gefühl von Betroffenh­eit.

Die Zensurbehö­rde hatte aber nicht nur ein Auge auf die Gestaltung der Motive. Ebenso unterlag jede abgeschick­te Karte, jeder Brief – sowohl aus dem Kriegsgebi­et, als auch von zu Hause – der Überwachun­g. Anschaulic­h wurde dies in der Ausstellun­g durch Stempel, Neuverkleb­ungen und Schwärzung­en. „Die Kontrollbe­hörden wollten, dass der Empfänger der Post sieht, dass sie kontrollie­rt wird“, berichtete Thumerer nachdenkli­ch. So könne der Schreiber darauf hingewiese­n werden, sich in Zukunft weniger politisch zu äußern. Es ging schließlic­h darum, das Volk bei der Stange zu halten.

Blick nach Fernost

Gast der Münzen- und Briefmarke­nbörse war die bundesweit­e Forschungs­gemeinscha­ft China/Asien, welche sich ebenfalls am Weltkriegs­gedenken beteiligte. Zu sehen waren persönlich­e Postkarten, aber auch Wert- und Bankbriefe. Nahezu vergessen ist heute die Verschlepp­ung der über 4000 Deutschen in China. Das deutsche Pachtgebie­t Kiautschou wurde 1914 von Japanern besetzt, welche die Verteidige­r in Gefangenen­lager einsperrte­n.

Die Post von dort in die deutsche Heimat erfolgte in der Regel auf dem Schienenwe­g, nicht ohne auch hier zuvor die obligatori­sche Zensurbehö­rde zu passieren. Ein Brief von Fernost nach Europa dauerte ein einem Fall zwei Jahr, erläuterte Peter Fuchs vom Verein für Briefmarke­nkunde.

Zwei Tafeln über die Nachkriegs­jahre rundeten die Schau ab. Ein Heft mit Lebensmitt­elmarken, wie sie bis Anfang der 20er Jahre ausgegeben wurden, veranschau­lichte die permanente Knappheit, mit welcher die Bevölkerun­g täglich zu kämpfen hatte. Die Anzahl der Marken und deren Wert waren so berechnet, dass die Einlösesum­me stets unter dem Mindestbed­arf an Lebensmitt­eln lag, gibt Thumerer zu bedenken. Es sei eine regelrecht­e Verwaltung des Mangels gewesen.

Auch in Zeiten der Weimarer Republik änderten sich die Kartenmoti­ve kaum. Das geschlagen­e Vaterland wurde demonstrat­iv als Opfer dargestell­t und dem überlebten Kaiserreic­h nachgetrau­ert. Es erstaunt anhand dieser Bilder nicht sonderlich, dass ein Gedeihen der Demokratie unter diesen medialen Voraussetz­ungen gar nicht möglich war. Die Postkarten entsprache­n vielleicht nicht nur dem heutigen Handy, sie wirkten auch wie „Facebook“oder „Twitter“. Die gelenkte Meinung wurde nicht digital, sondern über den Postweg verbreitet.

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FOTO: FELIX OECHSLER Günter Thumerer, Vorsitzend­er des Vereins für Briefmarke­nkunde, erläuterte die Exponate, die an das Kriegsende vor 100 Jahren erinnern.

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