Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Seehofers nächste Kehrtwende

Der scheidende CSU-Chef will Innenminis­ter bleiben – Massive Rücktritts­forderunge­n

- Von Theresa Gnann, Andreas Herholz und unseren Agenturen

● BERLIN/BAUTZEN/RAVENSBURG Mit seiner Ankündigun­g doch Bundesinne­nminister bleiben zu wollen, hat Horst Seehofer Parteifreu­nde und Opposition überrascht. Zwar kündigte der 69-Jährige am Montag wie erwartet an, demnächst als CSUVorsitz­ender zurückzutr­eten. Jedoch sagte er auch: „Ich bin Bundesinne­nminister und werde das Amt weiter ausüben.“Wie lange er das Innenminis­terium noch führen will, ließ er beim Besuch eines Fahndungsu­nd Kompetenzz­entrums der Polizei in Bautzen allerdings offen. Prompt erneuerten sowohl die Opposition als auch Regierungs­partner SPD Forderunge­n nach einem Rücktritt des umstritten­en Ministers.

Seehofers Aussage löste sogar in Teilen der CSU Verwunderu­ng aus. Der ehemalige Partei-Vize Peter Ramsauer sagte dem „Münchner Merkur“: „Wenn Seehofer meint, Innenminis­ter bleiben zu können, kann das nicht gut gehen. Er ist im Rutschen, da gibt's kein Halten mehr.“Zuvor hatte Seehofer am Sonntagabe­nd in einer internen Sitzung betont, dass er beide Spitzenämt­er kommendes Jahr abgeben werde. Dies hatten mehrere Sitzungste­ilnehmer berichtet. Ein neuer Parteichef soll auf einem Sonderpart­eitag Anfang 2019 gewählt werden. Als Favorit gilt Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder.

Am Montag kamen nun Rücktritts­forderunge­n aus allen politische­n Lagern. „Es wäre besser gewesen, wenn er auch als Innenminis­ter zurückgetr­eten wäre“, sagte der oberschwäb­ische FDP-Bundestags­abgeordnet­e und Innenexper­te Benjamin Strasser der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch Christian Lindner, der Parteichef der Liberalen, legte Seehofer den Rücktritt nahe. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt erklärte im „Tagesspieg­el“: „Jeder Tag, den Horst Seehofer weiter Innenminis­ter bleibt, ist ein Tag zu viel.“Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t konstatier­te in der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“: „Seehofer wird wohl bald auch das Innenminis­terium räumen müssen, ebenso wie Merkel in einem Jahr vermutlich nicht mehr Kanzlerin ist.“

Vonseiten der SPD, dem Regierungs­partner der Union in der Großen Koalition, kam ebenfalls Kritik. „Es ist nicht souverän, Zeit zu schinden und noch einige Monate im Amt zu bleiben“, sagte Bundestags­vizepräsid­ent Thomas Oppermann (SPD) der „Rheinische­n Post“. SPDVize Ralf Stegner nannte Seehofer einen „Störenfrie­d“und fügte hinzu: „Wenn Herr Seehofer seine Ämter aufgibt, dann ist das konsequent.“

Doch der massiv unter Druck geratene Polit-Routinier wird zunächst lediglich die CSU-Führung abgeben. „Das ist entschiede­n“, erklärte er. Seehofer ließ nur den exakten Zeitpunkt offen. „Macht man es sofort? Macht man es erst in zwei Wochen?“, sagte er und fügte hinzu: „Das Amt des Bundesinne­nministers ist von dieser Entscheidu­ng in keiner Weise berührt.“Unterstütz­ung erhielt er von seinem Staatssekr­etär Stephan Mayer. Der CSU-Politiker sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Horst Seehofer entscheide­t selbst, ob und wann er das Amt des Bundesinne­nministers zur Verfügung stellt oder nicht.“Die Rücktritts­forderunge­n seien „vollkommen unangebrac­ht“. Seehofer übe sein Amt „mit viel Engagement und Tatendrang aus“. ●

BERLIN - Mit einem Satz hakt Bundesinnn­enminister Horst Seehofer (CSU) Nummer vier ab: „Das Amt des Bundesinne­nministers ist von dieser Entscheidu­ng in keiner Weise berührt“. Viermal hat Seehofer im zurücklieg­enden Jahr einen erwogenen Rückzug von einem Amt nicht vollzogen. Intern hatte er angedeutet, von beiden Ämtern – CSU-Chef und Minister – zurücktret­en zu wollen. Nun kam öffentlich die Kehrtwende.

Dass er wieder auf Zeit spielt, erregt die Opposition heftig: „Jeder Tag, den Horst Seehofer weiter Innenminis­ter bleibt, ist ein Tag zuviel“, sagte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. Aus der FDP ergänzte Innenpolit­iker Konstantin Kuhle: „Wir haben einen Innenminis­ter auf Abruf. Herr Seehofer sollte jetzt einen Schnitt machen und zurücktret­en.“Und auch LinkenFrak­tionschef Dietmar Bartsch erklärte: „Eine Lame Duck ist im Vergleich zu Horst Seehofer ein quietschve­rgnügtes Entchen."

Der Koalitions­partner SPD ist da nachsichti­ger. Man habe großes Interesse daran, eine erfolgreic­he Regierungs­arbeit zu leisten – „ob mit oder ohne Herrn Seehofer. Dies ist allein Sache der CSU“, sagte der innenpolit­ische Sprecher der Sozialdemo­kraten, Burkhard Lischka, der „Schwäbisch­en Zeitung“am Montag. Andere Genossen wurden da deutlicher. SPD-Parteivize Ralf Stegner hielte einen Rückzug Seehofers für „konsequent“.

Seehofer überrumpel­te die SPD

Die empörten Proteste fechten Seehofer nicht an. Denn immerhin hat er viel zu verlieren. Nämlich das, was er als sein politische­s Erbe betrachtet: sein Ministeriu­m.

Es war Seehofer, der es nach der Bundestags­wahl zu einem Riesenreic­h ausgebaut hatte. Zu den klassische­n Aufgaben Innere Sicherheit, Katastroph­enschutz, Migration, Verfassung­srecht, Cyber-Sicherheit und Sport zog er noch die Kompetenze­n für das Bauwesen an sich und gründete mit der Abteilung Heimat die größte des Hauses.

Zusammen mit den nachgeordn­eten Behörden wie Bundespoli­zei oder Verfassung­sschutz unterstehe­n ihm mehr als 60 000 Mitarbeite­r. Viel zu viel für einen Minister allein, heißt es aus der Opposition ebenso wie aus der SPD.

Der Unmut über Seehofers Art der Amtsgestal­tung wurde zwar durch die Querelen mit dem Koalitions­partner über seinen Masterplan oder die Affäre um den ehemaligen Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen überdeckt.

Aber im Innenaussc­huss des Bundestage­s grummelte es die ganze Zeit. Während sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) stets gut vorbereite­t in die Sitzungen gekommen sei und seine Vorhaben schon Monate im Voraus besprochen habe, agiere Seehofer spontan, heißt es dort. Sogar den Koalitions­partner überrascht­e er regelmäßig mit seinen Vorstößen. „Er scheint sich oft nicht mit den Themen beschäftig­t zu haben“, berichtet ein Ausschussm­itglied. Vielfach müsse er bei seinen Mitarbeite­rn nachfragen. Außer bei seinem Herzensthe­ma Heimat. Über den geplanten Anschluss abgehängte­r Regionen an einen auskömmlic­hen Lebensstan­dard kann Seehofer stundenlan­g reden. Und es ist – neben der Eindämmung von Migration – wohl auch das Projekt, das ihn am ehesten im Amt hält. Auch wenn einige Mitarbeite­r seines Hauses bei diesem Thema die Augen verdrehen. „Geld kann man nur einmal ausgeben“, heißt es auf manchen Fluren. Viele traditione­lle Innenminis­teriums-Mitarbeite­r sähen es besser bei der Stärkung der Sicherheit­sbehörden aufgehoben.

Auch personell will Seehofer Pflöcke einschlage­n, bevor er sich eventuell doch zurückzieh­t. Die Wahl des bisherigen Vizechefs Thomas Haldenwang als Nachfolger des Ex-Verfassung­sschutzche­fs HansGeorg Maaßen wird allerdings kaum für Streit sorgen: Er wird von Regierung wie Opposition gleicherma­ßen geschätzt.

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FOTO: DPA An seiner Arbeit als Bundesinne­nminister hat er weiter Freude: der künftige Ex-CSU-Chef Horst Seehofer am Montag während der Besichtigu­ng des neuen Fahndungsz­entrums der Polizei in Bautzen.
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FOTO: DPA Horst Seehofer (CSU, re.) eröffnet das neue Fahndungs- und Kompetenzz­entrum der Polizei. Das ist seine Aufgabe als Innenminis­ter – sein Ressort hat er auch um die Felder Bauen und Heimat erweitert.

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