Seehofers nächste Kehrtwende
Der scheidende CSU-Chef will Innenminister bleiben – Massive Rücktrittsforderungen
● BERLIN/BAUTZEN/RAVENSBURG Mit seiner Ankündigung doch Bundesinnenminister bleiben zu wollen, hat Horst Seehofer Parteifreunde und Opposition überrascht. Zwar kündigte der 69-Jährige am Montag wie erwartet an, demnächst als CSUVorsitzender zurückzutreten. Jedoch sagte er auch: „Ich bin Bundesinnenminister und werde das Amt weiter ausüben.“Wie lange er das Innenministerium noch führen will, ließ er beim Besuch eines Fahndungsund Kompetenzzentrums der Polizei in Bautzen allerdings offen. Prompt erneuerten sowohl die Opposition als auch Regierungspartner SPD Forderungen nach einem Rücktritt des umstrittenen Ministers.
Seehofers Aussage löste sogar in Teilen der CSU Verwunderung aus. Der ehemalige Partei-Vize Peter Ramsauer sagte dem „Münchner Merkur“: „Wenn Seehofer meint, Innenminister bleiben zu können, kann das nicht gut gehen. Er ist im Rutschen, da gibt's kein Halten mehr.“Zuvor hatte Seehofer am Sonntagabend in einer internen Sitzung betont, dass er beide Spitzenämter kommendes Jahr abgeben werde. Dies hatten mehrere Sitzungsteilnehmer berichtet. Ein neuer Parteichef soll auf einem Sonderparteitag Anfang 2019 gewählt werden. Als Favorit gilt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
Am Montag kamen nun Rücktrittsforderungen aus allen politischen Lagern. „Es wäre besser gewesen, wenn er auch als Innenminister zurückgetreten wäre“, sagte der oberschwäbische FDP-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Benjamin Strasser der „Schwäbischen Zeitung“. Auch Christian Lindner, der Parteichef der Liberalen, legte Seehofer den Rücktritt nahe. Grünen-Fraktionschefin Katrin GöringEckardt erklärte im „Tagesspiegel“: „Jeder Tag, den Horst Seehofer weiter Innenminister bleibt, ist ein Tag zu viel.“Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht konstatierte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Seehofer wird wohl bald auch das Innenministerium räumen müssen, ebenso wie Merkel in einem Jahr vermutlich nicht mehr Kanzlerin ist.“
Vonseiten der SPD, dem Regierungspartner der Union in der Großen Koalition, kam ebenfalls Kritik. „Es ist nicht souverän, Zeit zu schinden und noch einige Monate im Amt zu bleiben“, sagte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) der „Rheinischen Post“. SPDVize Ralf Stegner nannte Seehofer einen „Störenfried“und fügte hinzu: „Wenn Herr Seehofer seine Ämter aufgibt, dann ist das konsequent.“
Doch der massiv unter Druck geratene Polit-Routinier wird zunächst lediglich die CSU-Führung abgeben. „Das ist entschieden“, erklärte er. Seehofer ließ nur den exakten Zeitpunkt offen. „Macht man es sofort? Macht man es erst in zwei Wochen?“, sagte er und fügte hinzu: „Das Amt des Bundesinnenministers ist von dieser Entscheidung in keiner Weise berührt.“Unterstützung erhielt er von seinem Staatssekretär Stephan Mayer. Der CSU-Politiker sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Horst Seehofer entscheidet selbst, ob und wann er das Amt des Bundesinnenministers zur Verfügung stellt oder nicht.“Die Rücktrittsforderungen seien „vollkommen unangebracht“. Seehofer übe sein Amt „mit viel Engagement und Tatendrang aus“. ●
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BERLIN - Mit einem Satz hakt Bundesinnnenminister Horst Seehofer (CSU) Nummer vier ab: „Das Amt des Bundesinnenministers ist von dieser Entscheidung in keiner Weise berührt“. Viermal hat Seehofer im zurückliegenden Jahr einen erwogenen Rückzug von einem Amt nicht vollzogen. Intern hatte er angedeutet, von beiden Ämtern – CSU-Chef und Minister – zurücktreten zu wollen. Nun kam öffentlich die Kehrtwende.
Dass er wieder auf Zeit spielt, erregt die Opposition heftig: „Jeder Tag, den Horst Seehofer weiter Innenminister bleibt, ist ein Tag zuviel“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Aus der FDP ergänzte Innenpolitiker Konstantin Kuhle: „Wir haben einen Innenminister auf Abruf. Herr Seehofer sollte jetzt einen Schnitt machen und zurücktreten.“Und auch LinkenFraktionschef Dietmar Bartsch erklärte: „Eine Lame Duck ist im Vergleich zu Horst Seehofer ein quietschvergnügtes Entchen."
Der Koalitionspartner SPD ist da nachsichtiger. Man habe großes Interesse daran, eine erfolgreiche Regierungsarbeit zu leisten – „ob mit oder ohne Herrn Seehofer. Dies ist allein Sache der CSU“, sagte der innenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Burkhard Lischka, der „Schwäbischen Zeitung“am Montag. Andere Genossen wurden da deutlicher. SPD-Parteivize Ralf Stegner hielte einen Rückzug Seehofers für „konsequent“.
Seehofer überrumpelte die SPD
Die empörten Proteste fechten Seehofer nicht an. Denn immerhin hat er viel zu verlieren. Nämlich das, was er als sein politisches Erbe betrachtet: sein Ministerium.
Es war Seehofer, der es nach der Bundestagswahl zu einem Riesenreich ausgebaut hatte. Zu den klassischen Aufgaben Innere Sicherheit, Katastrophenschutz, Migration, Verfassungsrecht, Cyber-Sicherheit und Sport zog er noch die Kompetenzen für das Bauwesen an sich und gründete mit der Abteilung Heimat die größte des Hauses.
Zusammen mit den nachgeordneten Behörden wie Bundespolizei oder Verfassungsschutz unterstehen ihm mehr als 60 000 Mitarbeiter. Viel zu viel für einen Minister allein, heißt es aus der Opposition ebenso wie aus der SPD.
Der Unmut über Seehofers Art der Amtsgestaltung wurde zwar durch die Querelen mit dem Koalitionspartner über seinen Masterplan oder die Affäre um den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen überdeckt.
Aber im Innenausschuss des Bundestages grummelte es die ganze Zeit. Während sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) stets gut vorbereitet in die Sitzungen gekommen sei und seine Vorhaben schon Monate im Voraus besprochen habe, agiere Seehofer spontan, heißt es dort. Sogar den Koalitionspartner überraschte er regelmäßig mit seinen Vorstößen. „Er scheint sich oft nicht mit den Themen beschäftigt zu haben“, berichtet ein Ausschussmitglied. Vielfach müsse er bei seinen Mitarbeitern nachfragen. Außer bei seinem Herzensthema Heimat. Über den geplanten Anschluss abgehängter Regionen an einen auskömmlichen Lebensstandard kann Seehofer stundenlang reden. Und es ist – neben der Eindämmung von Migration – wohl auch das Projekt, das ihn am ehesten im Amt hält. Auch wenn einige Mitarbeiter seines Hauses bei diesem Thema die Augen verdrehen. „Geld kann man nur einmal ausgeben“, heißt es auf manchen Fluren. Viele traditionelle Innenministeriums-Mitarbeiter sähen es besser bei der Stärkung der Sicherheitsbehörden aufgehoben.
Auch personell will Seehofer Pflöcke einschlagen, bevor er sich eventuell doch zurückzieht. Die Wahl des bisherigen Vizechefs Thomas Haldenwang als Nachfolger des Ex-Verfassungsschutzchefs HansGeorg Maaßen wird allerdings kaum für Streit sorgen: Er wird von Regierung wie Opposition gleichermaßen geschätzt.