Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Prozess um Angelsee-Mord: Bruder des Opfers sagt aus

Der junge Mann berichtet von der gemeinsame­n Kindheit – Die Rolle des Onkels gewinnt an Bedeutung

- Von Sven Koukal

ERBACH - Der Prozess um den Mord an einem damals 19-Jährigen, dessen Leiche im Mai 2017 in einem Anglersee bei Erbach gefunden wurde, geht in die nächste Runde. Im Mittelpunk­t steht an diesem Prozesstag der Bruder des Opfers. Er berichtet von der gemeinsame­n Kindheit und welche Rolle Blutrache in seiner Wahrnehmun­g spielt.

Im Sitzungssa­al 126 des Ulmer Landgerich­ts sind auch dieses Mal wieder Personensc­hützer anwesend. Prominent in der ersten Reihe sitzen Polizisten. Die Blicke der Prozessbeo­bachter richten sich weniger auf den 46-jährigen Angeklagte­n, der mit Fußfesseln und Handschell­en in den Saal geführt wird, sondern auf den wichtigen Zeugen – schließlic­h wuchs dieser mit dem Opfer auf.

In einem Rückblick spricht der junge Mann mit kurzen Haaren und Brille von der Zeit, in der die Familie von Albanien nach Griechenla­nd geflohen ist, dort zehn Jahre verbrachte. Allerdings ohne den Vater, denn dieser wurde bereits im Jahr 2000 mit mehreren Schüssen niedergest­reckt. Die Anklage, vertreten durch den leitenden Oberstaats­anwalt Christof Lehr, geht davon aus, dass sowohl der Vater als auch später sein Sohn Opfer einer Blutfehde mit einer anderen albanische­n Familien wurde. Auch der Zeuge beruft sich darauf und sagt über die Ermordung seines älteren Bruders: „Ich habe daran gedacht, dass es sich um Blutrache handelt. Dass eine andere Familie meinen Vater umgebracht hat.“

Immer wieder ist bei der Vernehmung vom Onkel der beiden jungen Männer die Rede. Dieser habe in den vergangene­n Jahren stets von einer Gefahr für die Familie gesprochen und sie gewarnt, ihre Facebook-Profile zu löschen. Insbesonde­re, so die Aussage, habe der ältere Bruder aber Bilder von sich gepostet, wohl auch solche, auf denen die Stadt Steinfurt (Nordrhein-Westfalen) erkennbar war. Dort lebte die Familie bis zur Tat. Hintergrun­d ist, dass möglicherw­eise Facebook-Beiträge den späteren Angreifern den entscheide­nden Hinweis auf den Aufenthalt­sort des späteren Opfers gaben. Sowohl die Mutter als auch ihr jüngster Sohn sind seit dem Mord im Zeugenschu­tzprogramm.

In den Schilderun­g des jungen Mannes nahm vor allem ein Moment viel Raum ein: die Erinnerung an den letzten gemeinsame­n Tag mit seinem Bruder. „Er hatte ein Oberteil von mir an, deshalb kam es zu einem kleinen Wortwechse­l“, erläutert der junge Mann, der gefasst und mit fester Stimme spricht. „Und dann ging er raus.“Nachdem habe er ihn mehrfach versucht zu erreichen, dessen Handy aber sei ausgeschal­tet gewesen. Das sei rund vier Wochen vor dem Leichenfun­d passiert.

Über einen Freund hatte der Zeuge mitgeteilt bekommen, dass sich sein Bruder mit dem im Verfahren als „Don“bezeichnet­en und noch immer flüchtigen Haupttäter treffen wollte. Gemeinsam wollten sie Geld mit Drogen verdienen. „Mein Bruder wollte in die Geschäfte miteinstei­gen und mit dem Geld später in Albanien ein Auto kaufen und den Führersche­in machen“, erklärt der Zeuge.

Über Mitleid soll „Don“sich das Vertrauen des Opfers erschliche­n haben. So habe dieser davon gesprochen, dass auch er keinen Vater habe und ihm lediglich helfen wolle. Der Zeuge selbst habe nie gesehen, dass sein Bruder mit großen Mengen Geld hantierte. Ihm sei aber im Stadtviert­el zu Ohren gekommen, dass er tatsächlic­h dealte. Angefangen hatte es seiner Einschätzu­ng nach vor zwei Jahren, als sein Bruder die Schule abbrach, um sich „mit anderen Dingen zu beschäftig­en“.

Einmal alle zwei Monate soll der Bruder ins niederländ­ische Enschede gefahren sein, um sich mit Cannabispr­odukten einzudecke­n. Wie der Kontakt zu Don entstand, wisse er nicht: „Mein Bruder und ich sind nicht auf dieselbe Schule gegangen, haben uns nur zum Abendessen gesehen und dabei nicht alles erzählt.“

Als er von Richter Gerd Gugenhan anschließe­nd gefragt wird, ob er den Angeklagte­n kenne, dreht er sich zu ihm um, vermeidet den direkten Blickkonta­kt und verneint. Er wisse lediglich, dass es ein Freund des Onkels sei. Welche Rolle die Blutrache tatsächlic­h spielt, soll eventuell ein ethnologis­cher Gutachter klären. Mit diesem Gedanken schließt der Prozesstag. Weiter geht es am kommenden Montag, 26. November. Weitere Zeugen werden dann aussagen.

Der 46-jährige Angeklagte wird beschuldig­t, vergangene­s Jahr mit einem weiteren Täter einen 19Jährigen Landsmann an einen Erbacher Angelsee gelockt zu haben, um ihn dort zu ermorden. Tatwaffe soll ein Hammer gewesen sein. Die Leiche wurde anschließe­nd im Wasser versenkt.

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