Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Angst vor leeren Museen

Frankreich­s Präsident will Kolonialku­nst zurückgebe­n

- Von Sabine Glaubitz

Paris (dpa) - Frankreich­s Präsident hat die Rückgabe afrikanisc­her Kolonialku­nst gefordert. Viele befürchten ein Ausbluten der Museen. „Es geht nicht darum, die Museen zu leeren“, sagen Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, Autoren eines Papiers darüber, wie die Werke zurückgege­ben werden können.

Savoy und Sarr haben acht Monate an dem Bericht gearbeitet, den Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron im März 2018 bei der französisc­hen Kunsthisto­rikerin und dem senegalesi­schen Ökonom in Auftrag gegeben hatte. Noch vor der Übergabe an Macron sickerte ein Teil des Inhalts an die Öffentlich­keit durch. Mehrere Medien hatten Einblick in den Bericht, darunter die Wochenzeit­ung „Le Point“, die titelte: „Ein Bericht sieht vor, alles zurückzuge­geben (oder fast)!“

Laut Schätzunge­n befinden sich 85 bis 90 Prozent des afrikanisc­hen Kulturerbe­s in Europa. Allein in den Sammlungen des Pariser Musée du Quai Branly sollen sich rund 70 000 Artefakte aus Subsahara-Afrika befinden, mehr als 17 000 in rund 100 weiteren Museen.

„Der vorliegend­e Bericht analysiert und verteidigt die Lösung einer dauerhafte­n Rückgabe“, schrieb „Le Point“. Ein Satz, der viele aufschreck­te. Denn bislang hegte ein Teil der Fachwelt die Hoffnung auf temporäre Rückerstat­tungen durch langfristi­ge Leihgaben. Als Kontrollor­gan bei diesem Vorgehen schlugen manche die Unesco vor.

Der Bericht, der am 27. November in Buchform unter dem Titel „Restituer le patrimoine africain“(etwa: Restitutio­n des afrikanisc­hen Kulturerbe­s) erscheinen soll, gilt als radikal. Aus ihrem Lösungsans­atz hat Savoy, die in Berlin an der Technische­n Universitä­t und in Paris am Collège de France lehrt, keinen Hehl gemacht: Man schlage vor, das Gesetz über Kulturgüte­r zu ändern, sagte sie vor wenigen Tagen der französisc­hen Tageszeitu­ng „Libération“.

In Frankreich werden Kulturgüte­r, die sich schon lange im öffentlich­en Besitz befinden, rechtmäßig zu Gemeingüte­rn und sind somit unveräußer­lich und unantastba­r. Folge: Sie können nicht zurückgege­ben werden, sind nicht restituier­bar – außer Frankreich ändert sein Gesetz.

In den vergangene­n Jahren kam es zwar immer wieder zu Ausnahmen wie etwa 2012, als mumifizier­te Maori-Köpfe an Neuseeland zurückgege­ben wurden. Für eine Antwort auf die Frage, wie mit der Kunst eines ganzen Kontinents umgegangen werden soll, fehlt bislang jedoch eine Rechtsgrun­dlage.

Der Bericht umfasst über 200 Seiten. Darin listen die Autoren Artefakte auf, die während der Kolonialze­it in die französisc­hen Museen gelangt sind.

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