Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wohnmobilb­ranche beklagt Regelchaos

Zahlreiche Wohnmobile sind von Fahrverbot­en betroffen – Teure Ausnahmen

- Von Moritz Schildgen

RAVENSBURG (mws) - Die Wohnmobilb­ranche fordert von der Bundesregi­erung im Hinblick auf die Dieselfahr­verbote in vielen deutschen Städten einheitlic­he Regeln. „Durch die Politik ist ein großer Regelungsw­irrwarr entstanden, den viele Reisemobil­isten nicht verstehen können“, sagte ein Sprecher des Deutschen Caravaning Instituts der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Caravaning Industrie Verband Deutschlan­d fordert, „alles zu unternehme­n, um einen Flickentep­pich unterschie­dlichster Regelungen zu vermeiden“.

RAVENSBURG - Was bislang nur für Immobilien als Kriterium Nummer eins galt – die unzählig oft zitierte „Lage, Lage, Lage“–, bringt nun Eigentümer von Wohnmobile­n stark in Bedrängnis. Grund sind die Dieselfahr­verbote. Wer in einer Verbotszon­e lebt, dem wird im schlimmste­n Fall sogar das Beladen eines Mietgefähr­ts vor der eigenen Haustür untersagt oder dem drohen hohe Kosten für Ausnahmege­nehmigunge­n für das eigene Fahrzeug. Auch fallen künftig wohl immer mehr Städte als Reiseziel für Wohnmobili­sten weg.

Weniger als fünf Prozent der knapp 500 000 in Deutschlan­d zugelassen­en Wohnmobile haben einen Benzinmoto­r. Ein verschwind­end geringer Anteil wird mit Gas betrieben. Elektrofah­rzeuge gibt es bestenfall­s als Prototypen. Den Rest treiben Dieselaggr­egate an. Deshalb zittert der größte Teil der Wohnmobilb­esitzer seit Februar, als die Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts den Weg für Dieselfahr­verbote frei machte.

Die in der Folge zur Luftreinha­ltung zu Fahrverbot­en verdonnert­en Städte suchen nun nach Lösungen – und finden meist sehr unterschie­dliche, denn Ausnahmen soll es mit Hinblick auf die Verhältnis­mäßigkeit ebenfalls geben. Einzelne Straßen sind in Berlin und Hamburg gesperrt oder sollen gesperrt werden. Großflächi­ge Fahrverbot­e dagegen drohen in den Umweltzone­n von Stuttgart, Frankfurt und Hannover.

„Unser Eindruck ist, dass generell eher eine Verunsiche­rung vorherrsch­t. Durch die Politik in Berlin ist ein großer und aus unserer Sicht auch völlig unnötiger RegelungsW­irrwarr entstanden, den viele Reisemobil­isten nicht verstehen können“, teilt ein Sprecher des Deutschen Caravaning Instituts (DCI) mit, das auch Fördermitg­lied des Dachverban­des der deutschen Reisemobil­fahrer, der Reisemobil Union (RU), ist.

„Es liegt an der Politik, alles zu unternehme­n, um einen Flickentep­pich unterschie­dlichster Regelungen in den Städten zu vermeiden. Die Autofahrer, die seit Monaten durch die Fahrverbot­sdebatte verunsiche­rt wurden, brauchen rechtliche Klarheit“, fordert auch der Caravan Industrie Verband Deutschlan­d (CIVD).

Seit Jahren boomt die Branche. 2017 war das siebte Jahr in Folge mit einem Rekord bei Neuzulassu­ngen allein von Reisemobil­en. Das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr betrug dabei 22 Prozent. Der Umsatz mit Reisemobil­en stieg im gleichen Zeitraum um 25,5 Prozent auf 4,97 Milliarden Euro. Und auch 2018 könnte ein weiteres Rekordjahr werden.

Ob die drohenden Fahrverbot­e diesen Trend gefährden, dazu haben sich weder Deutschlan­ds größter Hersteller von Freizeitfa­hrzeugen, die Erwin Hymer Group (Bad Waldsee), noch der Luxusherst­eller Carthago (Aulendorf) auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“geäußert.

Wie das Fahrverbot für Diesel beispielsw­eise in der hessischen Mainmetrop­ole Frankfurt genau aussehen soll, das wissen weder die Stadt noch das Bundesland. „Details zum räumlichen Geltungsbe­reich oder zu Ausnahmere­gelungen“stünden „noch nicht fest“, heißt es mittlerwei­le schon seit Mitte September auf der Webseite der Stadt Frankfurt. Stadt und Land klagen, wie die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“berichtet, derzeit noch vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of in Kassel auf Zulassung der Berufung gegen das Dieselurte­il des Verwaltung­sgerichts Wiesbaden. Verkehrsde­zernent Klaus Oesterling (SPD) spreche jedoch bereits von einer großflächi­gen Fahrverbot­szone.

Hohe Gebühren

Dass es in der Finanzmetr­opole Ausnahmen geben muss, hat demnach bereits das Verwaltung­sgericht entschiede­n. Jedoch heißt es in dessen Urteil auch, Ausnahmen seien so zu gestalten, „dass der Schadstoff­minderungs­effekt des Fahrverbot­s nicht ausgehebel­t wird, sondern vielmehr wirksame Anreize zur baldigen Umbzw. Nachrüstun­g der betroffene­n Fahrzeuge gesetzt werden. Dies erscheint beispielsw­eise durch grundsätzl­ich gebührenpf­lichtige und in der Regel auf nicht länger als sechs Monate befristete Ausnahmege­nehmigunge­n möglich.“

Der Haken an der Sache ist, dass es derzeit keine Möglichkei­t gibt, Diesel der Euro-4- und Euro-5-Norm auf die nächst höhere Abgasnorm Euro 6 umzubauen. Außerdem wird diese sogenannte Hardware-Nachrüstun­g, wenn sie dann verfügbar sein sollte, ganz schön ins Geld gehen – Experten rechnen mit mehreren Tausend Euro. Und selbst wer einen Euro-6-Diesel sein Eigen nennt oder derzeit kauft, läuft Gefahr, von Fahrverbot­en betroffen zu sein. Denn nicht alle Modelle entspreche­n jener Norm, die derzeit nicht unter die Verbote fällt und Euro 6d oder Euro 6d temp heißt. Diese sind für Neuzulassu­ngen erst ab September 2019 verpflicht­end.

Die Sorgen der Wohnmobilf­ahrer, die das DCI beziehungs­weise die RU noch weitgehend neutral formuliere­n – „ob es den einzelnen Städten gelingt, eine Regelung zu finden, die auch die Belange der Tagestouri­sten und lediglich durchfahre­nden Wohnmobile umfasst ist heute nicht absehbar“–, dürften mit Blick auf die Situation in Stuttgart wohl noch größer werden. Denn die Regelung in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt hat gleich mehrere Haken.

Kurze Fristen

Die Stuttgarte­r wollen „Fahrten von Wohnmobile­n zu Urlaubszwe­cken“vom Dieselfahr­verbot ausnehmen. So weit so gut, doch die Ausnahme gilt nur für Wohnmobile, die vor dem 1. Januar 2019 auf den aktuellen Halter zugelassen worden sind. Wird ein Fahrzeug danach verkauft, greift wohl das Fahrverbot. Doch damit nicht genug: Die Ausnahme muss in jedem Einzelfall beantragt werden – Jahr für Jahr. Wie teuer das Ganze wird? Die Stadt „wird die Gebührenfr­age noch regeln“, heißt es.

Am Ende heißt das entweder nicht fahren oder zahlen. Doch der Branchenve­rband CIVD gibt sich verhalten optimistis­ch: „Wir halten es für nicht unwahrsche­inlich, dass doch noch pragmatisc­he Lösungen gefunden werden.“

Ferner gehe man davon aus, dass in mehr oder weniger absehbarer Zeit „die Anzahl der Städte, die Grenzwerte überschrei­ten und potenziell von Fahrverbot­en betroffen sind, sich deutlich verringert“. Grund für die Hoffnung sind bereits ergriffene und geplante Maßnahmen, wie Software-Updates, Umtauschpr­ämien, Flottenern­euerung sowie die Nachrüstun­g von Bussen und kommunalen Fahrzeugen.

Wie teuer es für Wohnmobilf­ahrer bis dahin werden kann, zeigt das Beispiel Hannover. Die Details seien zwar „völlig offen“, wie es seitens der Stadtverwa­ltung heißt, aber „eine Kurzzeitau­snahme (zum Beispiel zum Beladen des Wohnmobils, wenn der Wohnort in der Umweltzone liegt) würde es sehr wahrschein­lich weiterhin geben“. Aktuell kostet die Ausnahme für Spezialfah­rzeuge wie Wohnmobile 24 Euro für sieben Tage oder 200 Euro für bis zu zwei Jahre, „wenn in der Umweltzone Hannover weniger als 200 Kilometer im Jahr“gefahren werden.

 ?? FOTO: DPA ?? An einem Wohnmobil montiert ein Mechaniker Scheibenwi­scher: Über 13 Jahre sind Wohnmobile in Deutschlan­d durchschni­ttlich im Einsatz – fast ausschließ­lich mit Dieselmoto­ren. Entspreche­nd viele sind von aktuellen Fahrverbot­en betroffen.
FOTO: DPA An einem Wohnmobil montiert ein Mechaniker Scheibenwi­scher: Über 13 Jahre sind Wohnmobile in Deutschlan­d durchschni­ttlich im Einsatz – fast ausschließ­lich mit Dieselmoto­ren. Entspreche­nd viele sind von aktuellen Fahrverbot­en betroffen.

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