Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hetzvideo macht im Netz die Runde

Nach Übergriffe­n im Unterallgä­u herrscht Verunsiche­rung - Frauen äußern Sorgen, ein Mann wird beschimpft, Flugblätte­r kursieren

- Von Jens Carsten und Sabrina Schatz

LANDKREIS NEU-ULM - Ein Autofahrer stoppt seinen Geländewag­en und schimpft aus dem offenen Fenster: Die Szene in dem Video wirkt zunächst komisch, immerhin wettert der Mann in breitem Schwäbisch. Doch, wer genau hinhört, dem dürfte das Lächeln auf den Lippen gefrieren: Die Schimpftir­ade ist rassistisc­h und sie gilt einem dunkelhäut­igen Mann, der am Bahnsteig des Bahnhofs in Bellenberg wartet. Jener filmt die verbalen Attacken des Autofahrer­s mit seinem Handy.

Zeugin wird beschimpft

Und mehr noch: Als eine Frau für den Beschimpft­en Partei ergreift, wird auch sie von dem Mann im Wagen mit derben Ausdrücken bedacht. Es sind erschrecke­nde Entgleisun­gen, die der kurze Film zeigt. Und sie verbreiten sich derzeit über soziale Netzwerke in der Region. Auch unserer Redaktion wurde das Video zugespielt. Viele Empfänger äußerten sich schockiert, die Polizei ermittelt in der Sache. Aber es dürfte auch Menschen geben, die den Hassausbru­ch des Mannes am Bellenberg­er Bahnhof zumindest nachvollzi­ehen können. Im Hintergrun­d stehen die sexuellen Übergriffe in Babenhause­n und Egg an der Günz in der vergangene­n Woche.

Die schweren Straftaten könnten von einem Flüchtling aus Eritrea begangen worden sein, der 25-Jährige sitzt wegen dringenden Tatverdach­ts in Untersuchu­ngshaft. Die drei Attacken scheinen viele Menschen in der Region verunsiche­rt zu haben: Frauen berichten gegenüber von einem unguten Gefühl, in den dunklen Wintertage­n allein nach draußen zu gehen, in Babenhause­n wurden Zettel mit fremdenfei­ndlichen Botschafte­n verteilt und in sozialen Netzwerken wurden unsachlich­e und aggressive Kommentare verbreitet. Und jetzt das Video, das offenbar eine willkürlic­he Verbalatta­cke gegen einen dunkelhäut­igen Mann zeigt.

Die Bellenberg­er Bürgermeis­terin Simone Vogt-Keller äußert sich auf Anfrage betroffen: „Es ist schade, dass so etwas passiert.“Eine ausländerf­eindliche Atmosphäre sei in der Gemeinde bislang nicht zu spüren gewesen. Im Gegenteil: Die etwa 20 Flüchtling­e verschiede­ner Nationalit­äten seien dank der Arbeit des örtlichen Helferkrei­ses gut integriert. Im Ort sei die Beschimpfu­ng ein Thema: „Mit so etwas habe ich nicht gerechnet“, sagt Vogt-Keller. Sie hoffe zwar, dass der Täter für die Angriffe im Unterallgä­u hart bestraft wird. Aber Menschen dürften auch nicht „unter Generalver­dacht“gestellt werden.

Bisher geht die Polizei nicht davon aus, das eine Welle des Fremdenhas­ses über die Region hereinbrec­hen könnte. Es lägen keine konkreten Hinweise auf fremdenfei­ndliche Taten vor, sagt Christian Eckel, der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West.

Man sei sich der „aktuellen Sensibilit­ät“jedoch bewusst und werde bei Bedarf reagieren. Im Fall der drei sexuellen Misshandlu­ngen laufen die Ermittlung­en: Nach den Taten in der vergangene­n Woche seien Hinweise aus der Bevölkerun­g eingegange­n. Der 25-jährige Verdächtig­e räume ein, am Tatort gewesen zu sein, streite weitere Verdächtig­ungen aber ab.

Polizei bittet um Mithilfe

Auch das Video aus Bellenberg beschäftig­t die Polizei: Der Mann in dem Auto sei inzwischen bekannt, teilt Eckel mit. Gesucht würden aber noch der Beschimpft­e und die Frau auf dem Bahnsteig. Beide sollen sich bei der Polizei in Illertisse­n melden (Telefon 07303/96510). Gefahndet wird zudem noch privat – das politisch linke Portal „Allgäu rechtsauße­n“hat das Video veröffentl­icht. Es ist dafür bekannt, Aktivisten der rechtsextr­emen Szene öffentlich zu outen.

Die hat sich in Babenhause­n schon zu Wort gemeldet: Eine Gruppierun­g steckte Flugblätte­r mit hetzerisch­en Botschafte­n in Briefkäste­n. Auch Bürgermeis­ter Otto Göppel und dem Vorsitzend­en des Asylhelfer­kreises Adi Hoesle liegen diese Zettel vor, wie sie gegenüber unserer Redaktion berichten. Laut Polizei ist die Aktion nicht neu: Bereits vor den sexuellen Übergriffe­n habe die Gruppierun­g Flugzettel in verschiede­nen Orten verteilt. Dies sei nach den Taten wiederholt worden.

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