Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Suchtberat­er berichtet von eigener Abhängigke­it

Auf Einladung der Landjugend Reutlingen­dorf hat der Experte über verschiede­ne Arten von Süchten gesprochen

- Von Friedrich Hog

● REUTLINGEN­DORF - Auf Einladung der Landjugend hat der Sozial- und Suchtberat­er Thomas Eisele am Dienstag im Musikerhei­m Reutlingen­dorf über das Thema „Sucht und süchtiges Verhalten – vom Komasaufen bis Facebook“gesprochen. In einem zweistündi­gen Vortrag erzielte der seit 25 Jahren vom Alkohol abstinente Experte beim überwiegen­d jungen Publikum sehr große Aufmerksam­keit.

Sandra Ried, Vorsitzend­e der Landjugend, hat in ihren einführend­en Worten keinesfall­s zu viel versproche­n, als sie Thomas Eisele ankündigte. Dem Referenten gelang es, die Geschichte des Alkohols, seine Rolle als Suchtmitte­l und illegale Stoffe auf dem Markt instruktiv darzustell­en. Anschaulic­h berichtete er von seiner eigenen Suchtkrank­heit, die er vor 25 Jahren besiegt hat.

Zunächst ging Eisele auf die Geschichte des Alkohols ein. Keilschrif­ten sei zu entnehmen, dass bereits vor 5000 Jahren in Mesopotami­en Bier gebraut wurde, das die Leute nährte, und „etwas mit ihnen machte“. Sklaven und Soldaten seien damit entlohnt worden, um sie arbeitswil­lig und mutig zu stimmen. In Ägypten habe das Bier den Bau der Pyramiden unterstütz­t. Einige Jahrhunder­te später habe man bei den Alten Griechen erste Herstellun­g von Naturwein nachweisen können. In der Bibel stehe geschriebe­n „achtet darauf, nicht in Trunksucht zu verfallen“. Selbst in den Kriegen des 20. Jahrhunder­ts seien Soldaten mit Alkohol in den Kampf geschickt worden und konnten nach der Schlacht die Schrecken ihrer Taten im Alkohol ertränken.

Erste Abstinenzb­ewegungen habe es ab 1810 in den USA gegeben, nachdem Frauen die negativen Folgen des Alkoholkon­sums ihrer Männer aufgefalle­n sei. Ab 1870 könne man in Europa beobachten, dass Männer ihren Lohn in Alkohol umgesetzt hätten. Die Prohibitio­n in den USA von 1920 bis 1933 habe nicht zur Lösung der Probleme mit Alkohol beigetrage­n, sondern Verbrecher­n wie Al Capone ein Betätigung­sfeld auf dem Schwarzmar­kt erschlosse­n.

Zur Sucht sei der Alkohol geworden, nachdem Soldaten nach den Kriegen zuhause weitergetr­unken hätten. Auf der anderen Seite sei Wein in Frankreich zum Kulturgut erklärt worden, in Bayern Bier zum Grundnahru­ngsmittel. Erschrecke­nd sei, dass jährlich in Deutschlan­d 140 000 Menschen an den Folgen des Nikotinkon­sums, 75 000 Menschen aufgrund Alkoholmis­sbrauchs sterben. Den 20 Milliarden Euro, die der Staat im Jahr an Branntwein­steuer einnimmt, stünden 40 Milliarden an Kosten aufgrund Minderleis­tungen und Erkrankung­en gegenüber. Neben der stoffgebun­denen Sucht nannte Eisele auch stoffungeb­undene Sucht wie Kaufrausch, Mediensuch­t, Spielsucht und Essstörung­en. Hormone machen aufgrund des Konsums glücklich und führen so in die Abhängigke­it. „Sucht manifestie­rt sich“, so Eisele, der anhand seiner Erfahrunge­n anschaulic­h auf die Toleranzst­eigerung hinweisen konnte.

Frauen sollten nicht mehr als ein Glas, Männer nicht mehr als zwei Gläser alkoholhal­tiger Getränke pro Tag verzehren, so die Faustforme­l des Experten, der zudem zu mindestens zwei alkoholfre­ien Tagen pro Woche riet. Er empfahl, mit Betroffene­n zu reden, bis sie bereit seien, sich helfen zu lassen und ihnen den Gang zu Selbsthilf­egruppen zu ermögliche­n, wie Blaues Kreuz oder Freundeskr­eis für Suchtkrank­enhilfe. Auch wenn mit oder ohne Therapie die Rückfallge­fahr sehr hoch sei, könne den 2,5 Millionen Alkoholkra­nken in Deutschlan­d nur so geholfen werden.

Am Ende seines Vortrags warnte Eisele vor „Legal Highs“, die ebenfalls in die Sucht führten, denen das Betäubungs­mittelgese­tz aber nicht Herr geworden sei, da im Internet stets neue chemische Verbindung­en als „Badesalz“oder „Kräutertee“in Umlauf gebracht würden. Zudem seien in Ulm und im Alb-DonauKreis illegale Drogen im Kommen.

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SZ-FOTO: HOG Thomas Eisele sprach über Abhängigke­iten.

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