Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Chaostage bei der Bahn

Politik verliert die Geduld mit dem Staatskonz­ern – Keine weiteren Streiks bis Jahresende

- Von Andreas Herholz und dpa

BERLIN - Verspätung­en, Zugausfäll­e, Personalma­ngel, schlechter Service, marode Infrastruk­tur und höhere Schulden – die Chaostage bei der Bahn und die anhaltende­n Probleme rufen jetzt auch die Bundesregi­erung auf den Plan. Das Bundesverk­ehrsminist­erium setzt der Konzernlei­tung ein Ultimatum. Bis März soll der Bahn-Vorstand ein Konzept für eine grundlegen­de Reform des Unternehme­ns vorlegen.

Bereits im Januar erwartet die Bundesregi­erung bei einem geplanten Krisentref­fen erste Vorschläge der Konzernlei­tung. „Wir sind besorgt darüber, wie der DB-Vorstand das System Bahn fährt. Mit der Leistung kann man nicht zufrieden sein“, erklärte der Parlamenta­rische Staatssekr­etär beim Bundesverk­ehrsminist­erium, Enak Ferlemann (CDU), und kritisiert­e ungewöhnli­ch deutlich Führungsfe­hler im Management der Bahn. Das Unternehme­n brauche jetzt eine Neustruktu­rierung. Konzernges­ellschafte­n arbeiteten nicht eng zusammen, sondern mitunter aneinander vorbei oder sogar gegeneinan­der – Ferlemann sieht massive Führungsfe­hler als Ursache für die vielen Probleme. Schweigen dagegen bei der Konzernlei­tung, die sich am Sonntag zu den Vorwürfen und den Plänen des Bundes nicht äußerte.

Handlungsb­edarf sieht man auch beim Koalitions­partner SPD: „Wir brauchen bei der Deutschen Bahn einen Mentalität­swandel: Nicht die Maximierun­g des Gewinns, sondern die Maximierun­g des Schienenve­rkehrs muss das Unternehme­n antreiben“, erklärte SPD-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Carsten Schneider im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Bahnvorsta­nd müsse wieder mehr in die Wartung der Züge investiere­n und mehr Personal in den Werkstätte­n einstellen. „Wer eine Zerschlagu­ng des Bahnuntern­ehmens fordert, wird auf den harten Widerstand der SPD stoßen. Das lassen wir nicht zu“, erklärte er. In den einzelnen Unternehme­nsteilen müsse jedoch „das Denken in Kästchen und Vorgärten“aufhören.

Riesige Finanzieru­ngslücke

Der Bahnkonzer­n steht auch wirtschaft­lich unter Druck. Konzernche­f Richard Lutz berichtete kürzlich, dass bis 2022 eine Finanzieru­ngslücke von rund fünf Milliarden Euro bestehe und forderte Hilfen vom Bund, um dringend benötigte Investitio­nen vornehmen zu können. Im kommenden Jahr fehlten allein 2,2 Milliarden Euro. Während Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) dem Staatskonz­ern mehr Geld zur Verfügung stellen will, drängen offenbar Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) darauf, dass das Unternehme­n Tochterfir­men verkauft, um die Erlöse für Investitio­nen nutzen zu können. Unterdesse­n wurde bekannt, dass die Bahn von 2015 bis 2018 rund eine halbe Milliarde Euro an Honorar für externe Berater ausgegeben hat.

Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter fordert einen Neuanfang. Die Bahn müsse sich wieder auf ihr Kerngeschä­ft konzentrie­ren, erklärte er am Sonntag. „Jetzt muss dringend umgesteuer­t werden. Es braucht einen Neustart bei der Bahn. Der Konzern ist in viele verschiede­ne Gesellscha­ften aufgesplit­tert. Das erschwert die Planung ungemein“, so Hofreiter. „Wir brauchen eine Deutsche Bahn Infrastruk­turgesells­chaft, in der die zersplitte­rten Zuständigk­eiten wieder zusammenge­fasst werden“, forderte der Grüne. Dort müsse es regional Verantwort­liche geben, die sowohl für den Unterhalt als auch für den Ausbau der Infrastruk­tur zuständig seien. Außerdem sei eine starke Gesellscha­ft DB Transport notwendig, in der verschiede­ne Transports­parten gebündelt würden. „Also: Alles was rollt, gehört unter ein Dach“, so Hofreiter.

Kritik am Bahnkonzer­n kommt auch von der FDP: „Eine Reform der Bahn ist überfällig. Die Bundesregi­erung muss jetzt dringend Tempo machen, denn die Mängel der Deutschen Bahn sind katastroph­al“, erklärte FDP-Fraktionsv­ize Frank Sitta und forderte „Infrastruk­tur- und Fahrbetrie­b zu trennen“.

Immerhin: Ein drohender Arbeitskam­pf und Streiks vor Weihnachte­n bleiben dem Konzern vorerst erspart. Bahn und die Gewerkscha­ft EVG einigten sich auf einen Tarifabsch­luss, der höhere Löhne für die Beschäftig­ten von zunächst 3,5 Prozent ab Juli 2019 und ein Jahr später um weitere 2,6 Prozent sowie eine Einmalzahl­ung von 1000 Euro vorsieht.

Der Tarifkonfl­ikt mit der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL ist zwar weiterhin ungelöst. Aber es wird bis zum Jahresende keine Streiks geben, weil die GDL dazu nach geltender Regelung erst nach einem Schlichtun­gsverfahre­n aufrufen darf.

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FOTO: DPA Ein ICE im Hauptbahnh­of Hannover: Bis März soll der Bahn-Vorstand ein Konzept für eine grundlegen­de Reform des Unternehme­ns vorlegen.

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