Chaostage bei der Bahn
Politik verliert die Geduld mit dem Staatskonzern – Keine weiteren Streiks bis Jahresende
●
BERLIN - Verspätungen, Zugausfälle, Personalmangel, schlechter Service, marode Infrastruktur und höhere Schulden – die Chaostage bei der Bahn und die anhaltenden Probleme rufen jetzt auch die Bundesregierung auf den Plan. Das Bundesverkehrsministerium setzt der Konzernleitung ein Ultimatum. Bis März soll der Bahn-Vorstand ein Konzept für eine grundlegende Reform des Unternehmens vorlegen.
Bereits im Januar erwartet die Bundesregierung bei einem geplanten Krisentreffen erste Vorschläge der Konzernleitung. „Wir sind besorgt darüber, wie der DB-Vorstand das System Bahn fährt. Mit der Leistung kann man nicht zufrieden sein“, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU), und kritisierte ungewöhnlich deutlich Führungsfehler im Management der Bahn. Das Unternehmen brauche jetzt eine Neustrukturierung. Konzerngesellschaften arbeiteten nicht eng zusammen, sondern mitunter aneinander vorbei oder sogar gegeneinander – Ferlemann sieht massive Führungsfehler als Ursache für die vielen Probleme. Schweigen dagegen bei der Konzernleitung, die sich am Sonntag zu den Vorwürfen und den Plänen des Bundes nicht äußerte.
Handlungsbedarf sieht man auch beim Koalitionspartner SPD: „Wir brauchen bei der Deutschen Bahn einen Mentalitätswandel: Nicht die Maximierung des Gewinns, sondern die Maximierung des Schienenverkehrs muss das Unternehmen antreiben“, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der Bahnvorstand müsse wieder mehr in die Wartung der Züge investieren und mehr Personal in den Werkstätten einstellen. „Wer eine Zerschlagung des Bahnunternehmens fordert, wird auf den harten Widerstand der SPD stoßen. Das lassen wir nicht zu“, erklärte er. In den einzelnen Unternehmensteilen müsse jedoch „das Denken in Kästchen und Vorgärten“aufhören.
Riesige Finanzierungslücke
Der Bahnkonzern steht auch wirtschaftlich unter Druck. Konzernchef Richard Lutz berichtete kürzlich, dass bis 2022 eine Finanzierungslücke von rund fünf Milliarden Euro bestehe und forderte Hilfen vom Bund, um dringend benötigte Investitionen vornehmen zu können. Im kommenden Jahr fehlten allein 2,2 Milliarden Euro. Während Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dem Staatskonzern mehr Geld zur Verfügung stellen will, drängen offenbar Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) darauf, dass das Unternehmen Tochterfirmen verkauft, um die Erlöse für Investitionen nutzen zu können. Unterdessen wurde bekannt, dass die Bahn von 2015 bis 2018 rund eine halbe Milliarde Euro an Honorar für externe Berater ausgegeben hat.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert einen Neuanfang. Die Bahn müsse sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, erklärte er am Sonntag. „Jetzt muss dringend umgesteuert werden. Es braucht einen Neustart bei der Bahn. Der Konzern ist in viele verschiedene Gesellschaften aufgesplittert. Das erschwert die Planung ungemein“, so Hofreiter. „Wir brauchen eine Deutsche Bahn Infrastrukturgesellschaft, in der die zersplitterten Zuständigkeiten wieder zusammengefasst werden“, forderte der Grüne. Dort müsse es regional Verantwortliche geben, die sowohl für den Unterhalt als auch für den Ausbau der Infrastruktur zuständig seien. Außerdem sei eine starke Gesellschaft DB Transport notwendig, in der verschiedene Transportsparten gebündelt würden. „Also: Alles was rollt, gehört unter ein Dach“, so Hofreiter.
Kritik am Bahnkonzern kommt auch von der FDP: „Eine Reform der Bahn ist überfällig. Die Bundesregierung muss jetzt dringend Tempo machen, denn die Mängel der Deutschen Bahn sind katastrophal“, erklärte FDP-Fraktionsvize Frank Sitta und forderte „Infrastruktur- und Fahrbetrieb zu trennen“.
Immerhin: Ein drohender Arbeitskampf und Streiks vor Weihnachten bleiben dem Konzern vorerst erspart. Bahn und die Gewerkschaft EVG einigten sich auf einen Tarifabschluss, der höhere Löhne für die Beschäftigten von zunächst 3,5 Prozent ab Juli 2019 und ein Jahr später um weitere 2,6 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 1000 Euro vorsieht.
Der Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL ist zwar weiterhin ungelöst. Aber es wird bis zum Jahresende keine Streiks geben, weil die GDL dazu nach geltender Regelung erst nach einem Schlichtungsverfahren aufrufen darf.