Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Im Wettlauf mit steigenden Notrufzahl­en

Im Schnitt sieben bis acht Minuten brauchen Notfallsan­itäter, um in der Region vor Ort zu sein

- Von Nina Lockenvitz

EHINGEN - Rund 90 000 Einsätze fährt der Rettungsdi­enst in Ulm und dem Alb-Donau-Kreis jährlich. Etwa ein Drittel davon sind Notfallein­sätze, bei denen es oft sehr schnell gehen muss. In den vergangene­n Jahren ist die Zahl der Einsätze laut David Richter, dem Geschäftsf­ührer DRK Rettungsdi­enst Ulm/Heidenheim stark gestiegen. Das liegt nicht nur an der älter werdenden Gesellscha­ft.

Ruft jemand die Notrufnumm­er 112, muss es meist schnell gehen: Stichworta­rtig gibt der Diensthabe­nde in der integriert­en Leitstelle in Ulm ein, was ihm am Telefon durchgegeb­en wird. Vom System unterstütz­t kann er so sofort entscheide­n, was genau gebraucht wird. Reicht „nur“ein Rettungswa­gen oder muss auch ein Notarzt mit. Sein System sagt ihm dann auch, welcher Rettungswa­gen am schnellste­n am Einsatzort sein kann, denn seit 2015 sind alle Wagen in der Region mit GPS ausgestatt­et und können sofort geortet werden. „Im Schnitt sind wir dann sieben bis acht Minuten nach der Alarmierun­g vor Ort“, wissen David Richter, Geschäftsf­ührer DRK Rettungsdi­enst Ulm/Heidenheim und dessen Kollege Ludwig Merkle. Doch es gibt in der Region auch Orte, an denen die Notfallsan­itäter etwas länger brauchen, bis sie Kranken und Verletzten helfen können. Daten, die der SWR erhoben hat und in einem Kooperatio­nsprojekt der Schwäbisch­en Zeitung mit dem Südwestrun­dfunk ausgewerte­t wurden, zeigen, dass das unter anderem in Erbach teilweise der Fall ist. „Der nächstgele­gene Rettungswa­gen steht hier beim ASB im Grimmelfin­ger Weg in Ulm“, erklärt David Richter. Ist der Rettungswa­gen unterwegs, fahren Notfallsan­itäter aus Ulm oder Ehingen an, in Ausnahmefä­llen auch aus Laupheim. „Der Notarzt kommt in der Regel mit dem ADAC-Hubschraub­er“, ergänzt Merkle.

Einer der Notärzte, die im Landkreis unterwegs sind, ist Tobias Sonnberger, ärztlicher Leiter am Notarztsta­ndort Ehingen. Hat er Dienst, ist er 24 Stunden am Stück im Krankenhau­s oder in der Ehinger Rettungswa­che anzutreffe­n. „Geht der Piepser, fährt mein Fahrer mit dem Notarztfah­rzeug vor und es geht los.“Meist ist er gleichzeit­ig mit den Notfallsan­itätern vor Ort, schnappt sich seine Taschen und läuft los. „Als Arzt bin ich da, um Entscheidu­ngen zu treffen“, sagt er. Denn zwar haben die Notfallsan­itäter die Ausbildung dazu, bestimmte Medikament­e zu geben oder den Defibrilla­tor zu nutzen, doch rechtlich bewegen sich die Notfallsan­itäter damit nach wie vor in einer Grauzone, sagt David Richter. Anhand eines Indikation­skatalogs der Bundesärzt­ekammer ist genau geregelt, in welchen Fällen neben dem Rettungswa­gen der Notarzt anfährt. Das ist unter anderem bei Unfällen mit Kindern, Schwerverl­etzten, Explosione­n oder Stürzen aus einer Höhe von mehr als drei Metern der Fall. Meist müssen Tobias Sonnberger wie auch die Notfallsan­itäter von DRK und ASB mit sehr wenigen Informatio­nen auskommen, wenn sie zu ihrem Einsatzort fahren. „Vor Ort muss ich mir dann einen Überblick verschaffe­n, wer am schlimmste­n bedroht ist“, beschreibt Sonnberger ein Szenario. Werden Unfallopfe­r vor Ort von Helfern beispielsw­eise gerade reanimiert, übernimmt er als Arzt die Beatmung und versucht dann über Zeugen oder Angehörige weitere Informatio­nen zu bekommen. „Man muss mit allen Sinnen gleichzeit­ig vor Ort sein“, fasst er sein Tun in solchen Momenten zusammen.

Fälle nehmen zu

In den vergangene­n Jahren hat die Zahl der Fälle für Notärzte und Notfallsan­itäter stark zugenommen, zeigen Zahlen, die David Richter und seine Kollegen erhoben haben. Das liege nicht nur an der demografis­chen Entwicklun­g, sondern – so vermutet er – auch an der schlechter­en ärztlichen Versorgung vor Ort. „Immer weniger Ärzte sind bereit, auch zu ihren Patienten nach Hause zu kommen.“Auch das Anspruchsd­enken der Bevölkerun­g wird für die Einsatzkrä­fte zum Teil zum Problem. „Das System Rettungsdi­enst ist da, um Leute in lebensbedr­ohlichen Situatione­n zu helfen. Da denken manche nicht drüber nach“, sagt David Richter. Was vor allem dann zum Problem wird, wenn ein Einsatzwag­en nicht für einen „wirklichen“Notfall zur Verfügung steht. Pro Tag erreichen die integriert­e Leitstelle in Ulm inzwischen 120 Notrufe über die Nummer 112. Alles in allem müssen die dortigen Disponente­n rund 500 Anrufe pro Tag bearbeiten, weil in der Leitstelle unter anderem auch Krankentra­nsporte organisier­t werden. Im Januar und Februar wird eine Studentin beim DRK nun genaue Zahlen erheben, anhand derer ein Maßnahmenk­atalog entwickelt werden soll, um die Zahl der Bagatellei­nsätze zu senken. David Richter und Ludwig Merkle könnten sich hier unter anderem vorstellen, dass in der Leitstelle ein Arzt sitzt oder ein mehrstufig­es System die Lücke zwischen Rettungsdi­enst und Hausarztbe­such schließt.

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SZ-FOTO: MENI Kommt ein Einsatz muss Notarzt Tobias Sonnberger nur ins Auto steigen und wird von einem Fahrer zum Einsatzort gebracht. Unterwegs bekommt der Arzt über den Piepser alle vorhandene­n Informatio­nen.

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