Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Teppich aus Treibholz am Bodensee

Engagierte­r Polizist löst mit seinem ganz speziellen Vorgehen gegen Schaulusti­ge eine Debatte aus

- Von Jakob Fandrey und dpa

Der Dauerregen der vergangene­n Tage ist vorbei. Doch während sich die Landwirte freuen und die Bürger froh sind, dass schlimmere Überschwem­mungen ausgeblieb­en sind, hat die Seemeister­stelle in Lindau viel zu tun. Große Mengen von Treibholz (Foto: Christian Flemming) haben einige Hafeneinfa­hrten versperrt. Die guten Nachrichte­n: Das Aufräumen läuft und das Wetter bleibt vorerst gut.

MÜNCHEN - Trümmer, Blaulicht, Verletzte, Tote. Immer wieder locken Unfälle Schaulusti­ge an. Sie behindern Rettungskr­äfte, filmen – auch beim Fahren – aus ihren Autos und sorgen manchmal sogar für weitere Unfälle. Nun platzte nach einem tödlichen Lkw-Unfall bei Nürnberg dem Leiter der Verkehrspo­lizei Feucht, Stefan Pfeiffer, der Kragen. „Da liegt er, wollen Sie ihn sehen?“, sprach er auf Englisch einen Autofahrer an, der in Richtung des Toten gefilmt hatte. „Nein? Warum machen Sie dann Fotos ?“Und: „Schämen Sie sich!“Einem anderen bot er an, er könne gern aussteigen „und sich die Leiche anschauen“. Das wollte dann doch keiner.

Pfeiffers Vorgehen sorgt nun für Debatten. „Herr Pfeiffer hat auf eine ganz ungewöhnli­che Weise den Leuten ihr eigenes Verhalten einmal wie einen Spiegel vorgehalte­n“, sagt Rainer Wendt, Bundesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft. „Wir sind richtig stolz auf ihn.“Auch Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) lobte Pfeiffer. „Das Verhalten vieler Gaffer ist unverschäm­t und unverantwo­rtlich. Ich freue mich, dass der Polizeikol­lege das einigen Gaffern auch mal emotional nahegebrac­ht hat.“

„Zum Volkssport entwickelt“

Die Leute ließen sich weder von Bußgeldern noch von Strafandro­hungen von diesem Verhalten abbringen, klagte Wendt. Das Filmen an Unglücksor­ten habe sich regelrecht „zum Volkssport entwickelt“. Pfeiffers Aktion sei geeignet, „um die öffentlich­e Aufmerksam­keit auf ein wirklich großes, drängendes Problem zu richten. Schockther­apie ist vielleicht mal ganz gut.“

Verkehrsps­ychologe Karl-Friedrich Voss sieht das anders. „Ich glaube nicht, dass das der Sache dienlich ist.“Der Hype um Pfeiffers Auftritt sei „wie ein Strohfeuer“. Es scheine für manche ein gutes Gefühl zu sein, sich im Spannungsf­eld zu Menschen im Unglück zu sehen und selbst nicht betroffen zu sein. Zudem könnten sie mit dem Handy Dinge schnell aufnehmen und ins Internet stellen – „damit auch die anderen wissen, was sie alles Tolles gesehen haben“.

Auch Wendt kennt diese Motivation. „Es erhöht den Grad der eigenen Wichtigkei­t, wenn ich bei einem herausrage­nden Ereignis dabei gewesen bin.“Jeder könne sich so als „Reporter“fühlen. Eine ADAC-Sprecherin mahnte, Gaffer nicht zu bestärken, „indem man womöglich ihre Fotos und Videos likt“.

Schaulusti­gen klar die Grenzen aufzuzeige­n – dies sei richtig und wichtig, heißt es dazu aus dem Bayerische­n Innenminis­terium. Allerdings sei die Abschrecku­ng durch eine hohe Strafandro­hung alleine kein Allheilmit­tel, wie ein Sprecher gegenüber Schwäbisch­e.de sagte. Es brauche auch präventive Ansätze wie zum Beispiel das Aufstellen von mobilen Sichtschut­zwänden. Bereits im August 2017 habe man auf Teilen der bayerische­n Autobahnen deshalb ein Pilotproje­kt gestartet. Das Fazit nach fast zwei Jahren fällt positiv aus: Nach dem Aufbau der Sichtschut­zwände sei der Verkehr auf der Gegenfahrb­ahn deutlich schneller gelaufen, sagte ein Ministeriu­mssprecher. Nicht zuletzt die Ereignisse am Dienstag auf der A 6 seien Anlass genug, den Pilotversu­ch zu verlängern und auszuweite­n.

Gegen Gaffer geht auch die Polizei in Baden-Württember­g vor. So dokumentie­ren die Beamten beispielsw­eise mit zivilen Video-Pkw derartige Verstöße. Die Betroffene­n würden bei der anschließe­nden Kontrolle mit dem Verhalten konfrontie­rt, heißt es aus dem Innenminis­terium in Stuttgart. Auch in Baden-Württember­g sollen Sichtschut­zwände nach und nach zum Einsatz kommen. Bis Ende 2019 sollen alle 16 Autobahnme­istereien im Südwesten mit mobilen Anti-GafferWänd­en ausgestatt­et werden.

Wolf setzt auf härtere Strafen

Das Land setzt aber auch auf härtere Strafen. Auf Initiative von Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) hat der Bundesrat sich erst vergangene Woche darauf geeinigt, die Gesetzesla­ge zu verschärfe­n. Bisher seien lediglich lebende Personen davor geschützt, dass bloßstelle­nde Fotos und Videos gemacht und verbreitet werden. Das soll auf Tote ausgeweite­t werden, heißt es in dem Beschluss. Nach Auffassung von Wolf ist es schlichtwe­g abstoßend, wenn Gaffer Todesopfer fotografie­ren oder filmen. „Diese erschrecke­nde Trophäenja­gd kennt keine Pietät, keinen Respekt vor den Toten mehr.“

Begrüßt wird der Vorstoß auch von Ralf Kusterer: „Leider müssen wir feststelle­n, dass die Schau- und Sensations­lust keine Grenzen hat. Immer spätestens dann, wenn Menschen wehrlos sind, muss der Schutz des Staates einsetzen. Das muss auch für tote Menschen gelten“, betont der Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft.

Inzwischen wird über weitere Maßnahmen nachgedach­t. Etwa solle geprüft werden, ob es eine Möglichkei­t gebe, den Menschen das Handy wegzunehme­n, weil damit eine Ordnungswi­drigkeit begangen wurde, sagte der Landesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft in Bayern, Rainer Nachtigall.

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FOTO: FREIWILLIG­E FEUERWEHR SCHWABACH Tödlicher Unfall: Der demolierte Laster auf der Autobahn 6.

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