Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Meilenweit entfernt

- Von Ulrich Mendelin ●» u.mendelin@schwaebisc­he.de

Es ist noch gar nicht lange her, da wäre ein Video wie das des YouTubers, der sich Rezo nennt, meilenweit unter dem Radar der öffentlich­en Aufmerksam­keit versendet worden. Heute wird der 26-Jährige, der 55 Minuten am Stück wild gestikulie­rend über „die Zerstörung der CDU“spricht, ins KonradAden­auer-Haus eingeladen, auf ein Gespräch mit dem Generalsek­retär. Der wiederum räumt ein, seine Partei müsse in der Kommunikat­ion mit jungen Menschen besser werden.

Das ist richtig, die Partei hat im Umgang mit dem Video ein peinliches Bild abgegeben. Ignorieren wäre eine Möglichkei­t gewesen, wenn auch nicht die beste. Ein kurzes, ernsthafte­s Statement abzugeben, eine andere. Erst über den Inhalt zu spotten, um dann auf die Umarmungss­trategie umzuschalt­en, ist wenig glaubwürdi­g. So verfestigt sich der Eindruck, den viele der jungen Demonstran­ten, die für mehr Klimaschut­z oder gegen das digitale Urheberrec­ht auf die Straße gehen, ohnehin schon haben. Der Eindruck, die Politik sei von ihrem Leben meilenweit entfernt.

Für die Überwindun­g dieser Kluft sind allerdings beide Seiten verantwort­lich. Ja, die Parteien – vor allem die in der politische­n Mitte – haben Nachholbed­arf, was moderne Kommunikat­ionsstrate­gien angeht. Aber junge Menschen haben auch eine Verantwort­ung, sich einzubring­en. Die Mitarbeit in Parteien ist unbeliebt geworden, im Trend liegt punktuelle­s Engagement: Gegen Uploadfilt­er, für Bienen, gegen Glyphosat. Das birgt – bei aller wünschensw­erten Leidenscha­ft für die Sache – die Gefahr, die eigenen Ziele absolut zu setzen. Die Folge sind Pauschalur­teile wie die des YouTubers Rezo, der Politikern der Union und übrigens auch der SPD flächendec­kend Ignoranz und Unfähigkei­t vorwirft, sich selbst aber im Besitz der vollgültig­en Wahrheit wähnt. Aufgabe der Politik ist es dagegen, Interessen abzuwägen, mit allen Seiten im Gespräch zu bleiben, und schließlic­h Kompromiss­e zu finden. Das ist allerdings mühsam, und es lassen sich dadurch nicht so viele Klicks generieren wie mit einer pauschalen Wutrede.

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