Schwäbische Zeitung (Ehingen)

CDU-Spitze lädt Rezo ein

Partei reagiert auf kritisches Video des YouTubers

- Von Ulrich Mendelin, Ravensburg

BERLIN (dpa) - Die CDU hat den YouTuber Rezo zum Meinungsau­stausch eingeladen und Teile seiner Kritik als berechtigt bezeichnet – nach heftigem Gegenwind auf erste abweisende Reaktionen. „Lass uns über Deine Kritik an der CDU sprechen, aber bitte höre auch uns zu, wie wir die Dinge sehen“, schrieb Generalsek­retär Paul Ziemiak am Donnerstag auf Twitter. Am Vortag hatte Ziemiak noch von Falschbeha­uptungen gesprochen.

Kurz vor der Europawahl versucht die Parteispit­ze, dem Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien die Spitze zu nehmen. In dem bis Donnerstag­abend gut 5,4 Millionen Mal aufgerufen­en Video Rezos heißt es, die CDU zerstöre „unser Leben und unsere Zukunft“. Er wirft der Partei etwa „krasse Inkompeten­z“beim Thema Urheberrec­ht vor. Auch sei die CDU beim Klimawande­l untätig und mache nur Politik für Reiche.

H● aten nennt man es, wenn Nutzer ihre Wut gegen jemanden oder etwas ungefilter­t im Internet ablassen. Eine fast einstündig­e Wutrede gegen die CDU hat am vergangene­n Wochenende ein 26-jähriger Informatik­er aus NordrheinW­estfalen, der sich im Internet „Rezo“nennt, auf der Videoplatt­form YouTube veröffentl­icht. Mehr als fünf Millionen Mal ist der Monolog seitdem angeklickt worden. Nun hat CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak den YouTuber mit dem blau gefärbten Haar zum Meinungsau­stausch in die Parteizent­rale eingeladen. Wohl auch, weil das Video, das den Titel „Die Zerstörung der CDU“trägt, der Partei nach Einschätzu­ng von Experten tatsächlic­h gefährlich werden könnte, zumindest bei jungen Wählern. Armut, Krieg, vor allem aber ein zu zögerliche­r Klimaschut­z: Das sind einige der Themen, bei denen Rezo kein gutes Haar an der Union lässt. Vier Vorwürfe des YouTubers – und was an ihnen dran ist.

Vorwurf 1: Die CDU diskrediti­ert ● politische Gegner durch Unwahrheit­en, Respektlos­igkeiten und Verschwöru­ngstheorie­n.

Diesen Vorwurf bezieht der YouTube vor allem auf den Umgang mit den Fridays-for-Future-Demonstran­ten und dem Protest gegen Uploadfilt­er. Im Fall des Klimaschut­zprotestes habe die Union die Debatte von den inhaltlich­en Argumenten auf die Frage der Schulpflic­ht umgelenkt, im Fall des digitalen Urheberrec­hts seien die Demonstran­ten als von der IT-Industrie gesteuert verunglimp­ft worden. Als Beleg führt er Zitate von CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und den Unionspoli­tikern Axel Voss und Monika Hohlmeier an. Allerdings gab es auch andere Stimmen aus der Union. Dass Kanzlerin Angela Merkel Sympathie für die Klimaprote­ste geäußert hat, erwähnt Rezo nicht. Ebenso wenig, dass die Junge Union den Kurs der eigenen Partei in Sachen Uploadfilt­er scharf kritisiert hat.

Vorwurf 2: Die CDU tut viel zu ● wenig beim Klimaschut­z.

Der YouTuber kritisiert vor allem die Energiepol­itik. Der für das Jahr 2038 geplante Kohleausst­ieg komme zu spät, so seien die Zusagen aus dem Pariser Abkommen nicht einzuhalte­n. Mit dem Abkommen haben sich Deutschlan­d und 195 weitere Staaten darauf verpflicht­et, die Erderwärmu­ng auf zwei Grad, besser noch 1,5 Grad, im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter zu begrenzen. Als ein Klimakille­r gilt Kohlestrom. Aus Braun- und Steinkohle wird aktuell noch mehr als ein Drittel des in Deutschlan­d produziert­en Stroms gewonnen. Anderersei­ts: Auch war der Anteil der erneuerbar­en Energien am Strommix noch nie so hoch wie jetzt – er lag zuletzt bei 40 Prozent. Kritikern reicht das nicht: Die „Fridays-for-Future“-Aktivisten fordern einen Kohleausst­ieg bis 2030.

Vorwurf 3: In den letzten 36 Jahren ● war die CDU 29 Jahre an der Macht. In dieser Zeit ging die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinande­r.

Seit 2001 stellt die Regierung – in der Regel einmal pro Legislatur­periode – einen Armuts- und Reichtumsb­ericht vor. Regelmäßig wird die Veröffentl­ichung begleitet von Schlagzeil­en wie „Arme bleiben arm, Reiche bleiben reich“. Solche Aussagen hängen immer auch am Zuschnitt der jeweiligen Statistik. Richtig ist aber, dass die Armutsgefä­hrdungsquo­te – Personen mit einem Einkommen, das weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens entspricht – in den vergangene­n Jahrzehnte­n angestiege­n ist: 1991 lag sie knapp über zehn, inzwischen bei 16,8 Prozent. Rezo führt das pauschal auf das Wirken der CDU zurück. Andere Faktoren, wie die Lage der Weltwirtsc­haft oder Entwicklun­gen in der Arbeitswel­t, erwähnt er dagegen nicht.

Vorwurf 4: Die CDU duldet als ● Regierungs­partei Völkerrech­tsverstöße, wenn nicht sogar Kriegsverb­rechen.

Rezo bezieht diesen Vorwurf insbesonde­re auf Drohnenang­riffe der USStreitkr­äfte im Nahen und Mittleren Osten. Diese seien nur möglich, weil die Bundesregi­erung zulasse, dass das US-Militär die Attacken vom pfälzische­n Ramstein aus steuert. Das kritisiert nicht nur der YouTuber Rezo. Auch ein Urteil des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster vom März diesen Jahres ist eine deutliche Rüge an die Adresse der Bundesregi­erung. Die Richter betonten zwar, Deutschlan­d habe selbst keine militärisc­hen Drohnenakt­ivitäten gestattet. Die Haltung der Bundesregi­erung, für US-Rechtsvers­töße gebe es keine Hinweise, beruhe aber auf einer „unzureiche­nden Tatsachene­rmittlung“. Mit anderen Worten: Die Regierung will gar nicht so genau wissen, was die Amerikaner in Ramstein treiben. Wie die USA reagieren würden, wenn Deutschlan­d dem NatoPartne­r die Nutzung von Ramstein für Drohnenflü­ge verwehrt – das ist indes eine Frage, die sich nur die Bundesregi­erung stellen muss, nicht aber das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster. Und auch nicht der YouTuber Rezo.

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Partei mit Problemen
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FOTO: DPA Rezo

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