Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Alles neu macht die May

Spekulatio­nen über einen Rücktritt der britischen Premiermin­isterin werden lauter

- Von Sebastian Borger

LONDON - Um kurz nach 11 Uhr an diesem Donnerstag wachsen die Spekulatio­nen: Mit Theresa Mays Amtszeit als Premiermin­isterin Großbritan­niens geht es zu Ende. Keine donnernde Rücktritts­rede, kein massenhaft­er Auszug aus dem Kabinett – ein unerwähnte­s Ereignis leitet die Götterdämm­erung ein.

Wie stets am Donnerstag gibt die Regierung das Gesetzgebu­ngsprogram­m für die nächste Sitzungswo­che bekannt. Da das Unterhaus kommende Woche in den vorgezogen­en Pfingstfer­ien weilt, geht es um die erste Juni-Woche – genau jene Zeit, in der May den EU-Austrittsv­ertrag erneut vorlegen wollte. Das hatte sie am Dienstag angekündig­t.

Die Tagesordnu­ng enthält Debatten über unsichtbar­e Behinderun­gen, Tierschutz und Finanzhaie, erwähnt aber das Brexit-Gesetz mit keinem Wort. Damit ist klar: Die wohl allerletzt­e Chance Mays, das zentrale Vorhaben ihrer Amtszeit in die Tat umzusetzen, ist verstriche­n. Zu stark ist der Widerstand im konservati­ven Kabinett gegen jedes Zugeständn­is an die Opposition, zu gering der Wille bei Labour, geschweige denn bei den kleineren Parteien, der taumelnden Regierung die Hand zu reichen.

May selbst verlässt am frühen Donnerstag­nachmittag ihren Amtssitz in der Downing Street, um den Parteiakti­visten in ihrem Wahlkreis Maidenhead für deren Einsatz bei der Europawahl zu danken. Dass die Torys den Umfragen zufolge diesmal bei sieben bis neun Prozent und damit auf Platz Fünf landen könnten, hat die Panik in der Unterhausf­raktion verstärkt. Früh am heutigen Freitag muss sich die konservati­ve Parteichef­in deshalb mit Graham Brady zusammense­tzen, dem Interessen­vertreter der Tory-Hinterbänk­ler. Vieles deutet darauf hin, dass die 62-Jährige anschließe­nd den Zeitplan für ihren Rücktritt vom Partei- und Staatsamt auch öffentlich macht.

Machtmecha­nismen funktionie­ren

Freilich ist May politisch schon häufig totgesagt worden. Noch funktionie­ren die Mechanisme­n der Macht: Die am Mittwoch zurückgetr­etene Ministerin Andrea Leadsom, als „Führerin des Unterhause­s“für das Gesetzgebu­ngsprogram­m zuständig, ersetzt May tags darauf durch den Finanzstaa­tssekretär Melvyn Stride.

Brexiteer Leadsom wollte das neue Gesetzespa­ket nicht mittragen, weil darin von einer möglichen Zollunion mit der EU, gar eines zweiten Referendum­s die Rede sein soll. „Mit großem Bedauern“und schweren Herzens müsse sie deshalb ihren Rücktritt einreichen, schreibt die einstige Rivalin um den Parteivors­itz. Leadsoms Rückzug soll Mays Auszug bewirken. Doch die angekündig­ten Rücktritte anderer Brexit-Streiter wie des Verkehrsmi­nisters Chris Grayling oder Außenhande­lsressortc­hef Liam Fox bleiben aus. Offenbar will das Kabinett nicht verantwort­lich sein für Mays Sturz, ebenso wenig wie bisher das Hinterbänk­ler-Komitee 1922.

Außenminis­ter Jeremy Hunt und Innenminis­ter Sajid Javid, wie Leadsom Bewerber um Mays Nachfolge, hatte die Chefin am Mittwoch Einzelgesp­räche verweigert – offenbar um das Schicksal ihrer Amtsvorgän­gerin Margaret Thatcher zu vermeiden, der damals ein Minister nach dem anderen den Rücktritt nahegelegt hatte. Hunt beteuert am Donnerstag, Anfang nächsten Monats werde die Chefin auf jeden Fall noch im Amt sein. Am 3. Juni kommt US-Präsident Donald Trump zum Staatsbesu­ch nach London. Womöglich erhält Theresa May also nochmal Aufschub. Nur der Brexit, der bleibt ungelöst.

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FOTO: AFP Die britische Premiermin­isterin Theresa May und ihr Mann Philip auf dem Weg zur Stimmabgab­e für die Europawahl.

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