Alles neu macht die May
Spekulationen über einen Rücktritt der britischen Premierministerin werden lauter
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LONDON - Um kurz nach 11 Uhr an diesem Donnerstag wachsen die Spekulationen: Mit Theresa Mays Amtszeit als Premierministerin Großbritanniens geht es zu Ende. Keine donnernde Rücktrittsrede, kein massenhafter Auszug aus dem Kabinett – ein unerwähntes Ereignis leitet die Götterdämmerung ein.
Wie stets am Donnerstag gibt die Regierung das Gesetzgebungsprogramm für die nächste Sitzungswoche bekannt. Da das Unterhaus kommende Woche in den vorgezogenen Pfingstferien weilt, geht es um die erste Juni-Woche – genau jene Zeit, in der May den EU-Austrittsvertrag erneut vorlegen wollte. Das hatte sie am Dienstag angekündigt.
Die Tagesordnung enthält Debatten über unsichtbare Behinderungen, Tierschutz und Finanzhaie, erwähnt aber das Brexit-Gesetz mit keinem Wort. Damit ist klar: Die wohl allerletzte Chance Mays, das zentrale Vorhaben ihrer Amtszeit in die Tat umzusetzen, ist verstrichen. Zu stark ist der Widerstand im konservativen Kabinett gegen jedes Zugeständnis an die Opposition, zu gering der Wille bei Labour, geschweige denn bei den kleineren Parteien, der taumelnden Regierung die Hand zu reichen.
May selbst verlässt am frühen Donnerstagnachmittag ihren Amtssitz in der Downing Street, um den Parteiaktivisten in ihrem Wahlkreis Maidenhead für deren Einsatz bei der Europawahl zu danken. Dass die Torys den Umfragen zufolge diesmal bei sieben bis neun Prozent und damit auf Platz Fünf landen könnten, hat die Panik in der Unterhausfraktion verstärkt. Früh am heutigen Freitag muss sich die konservative Parteichefin deshalb mit Graham Brady zusammensetzen, dem Interessenvertreter der Tory-Hinterbänkler. Vieles deutet darauf hin, dass die 62-Jährige anschließend den Zeitplan für ihren Rücktritt vom Partei- und Staatsamt auch öffentlich macht.
Machtmechanismen funktionieren
Freilich ist May politisch schon häufig totgesagt worden. Noch funktionieren die Mechanismen der Macht: Die am Mittwoch zurückgetretene Ministerin Andrea Leadsom, als „Führerin des Unterhauses“für das Gesetzgebungsprogramm zuständig, ersetzt May tags darauf durch den Finanzstaatssekretär Melvyn Stride.
Brexiteer Leadsom wollte das neue Gesetzespaket nicht mittragen, weil darin von einer möglichen Zollunion mit der EU, gar eines zweiten Referendums die Rede sein soll. „Mit großem Bedauern“und schweren Herzens müsse sie deshalb ihren Rücktritt einreichen, schreibt die einstige Rivalin um den Parteivorsitz. Leadsoms Rückzug soll Mays Auszug bewirken. Doch die angekündigten Rücktritte anderer Brexit-Streiter wie des Verkehrsministers Chris Grayling oder Außenhandelsressortchef Liam Fox bleiben aus. Offenbar will das Kabinett nicht verantwortlich sein für Mays Sturz, ebenso wenig wie bisher das Hinterbänkler-Komitee 1922.
Außenminister Jeremy Hunt und Innenminister Sajid Javid, wie Leadsom Bewerber um Mays Nachfolge, hatte die Chefin am Mittwoch Einzelgespräche verweigert – offenbar um das Schicksal ihrer Amtsvorgängerin Margaret Thatcher zu vermeiden, der damals ein Minister nach dem anderen den Rücktritt nahegelegt hatte. Hunt beteuert am Donnerstag, Anfang nächsten Monats werde die Chefin auf jeden Fall noch im Amt sein. Am 3. Juni kommt US-Präsident Donald Trump zum Staatsbesuch nach London. Womöglich erhält Theresa May also nochmal Aufschub. Nur der Brexit, der bleibt ungelöst.