Am Scheideweg
Die deutsche Meereswindbranche fürchtet das Schicksal der Solarindustrie
● FRIEDRICHSHAFEN - Die Anfänge der deutschen Offshore-Windbranche liegen noch nicht lange zurück. Knapp zehn Jahre ist es her, als der erste Hochseewindpark Alpha Ventus, weit draußen vor der Küste Borkums, in Betrieb ging. Seitdem hat die Branche eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben: 3.5 Prozent des deutschen Stromverbrauchs wird heute von Windkraftanlagen auf hoher See gedeckt. Binnen zehn Jahren sind in Nord- und Ostsee rund 1300 Windmühlen mit einer Leistung von 6,5 Gigawatt installiert worden – was in etwa fünf mittleren Atomkraftwerken entspricht.
Doch nach Jahren starken Wachstums und hoher Investitionen steht die Branche nun an einem Scheideweg: Wird die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben oder droht der Branche das gleiche Schicksal wie der Solarindustrie, die vom Weltmarktführer in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt ist? Auf der elften Nationalen Maritimen Konferenz in Friedrichshafen hat die Branche Antworten auf diese existenzielle Frage gesucht – eine Frage, die auch und vor allem die Wirtschaft im Südwesten betrifft: Von den deutschlandweit knapp 23 500 Beschäftigten der Offshore-Windbranche arbeiten 4500 in Baden-Württemberg – so viel wie in keinem anderen Bundesland. „Der Südwesten ist mit vielen Ingenieurbüros und Forschungseinrichtungen aber auch mit großen Zulieferern wie ZF, Liebherr und Würth ein ganz wichtiger Standort“, sagt Dirk Briese, Geschäftsführer von Trendresearch, einem Marktforschungsunternehmen mit Sitz in Bremen. Ein Beispiel: Mehr als ein Viertel der in Europa installierten Offshore-Windkraftanlagen laufen mit Getrieben von ZF. Knackpunkt für die Branche: Das von der Bundesregierung geplante Ausbauziel für Offshore-Windkraft. „Wir sind in einer Phase, in der wir dringend Weichenstellungen brauchen“, appelliert Catrin Jung, verantwortlich für den Bereich OffshoreWind beim Energieversorger Vattenfall. Um Beschäftigung und Wertschöpfung in Deutschland zu halten, ist nach Meinung vieler Branchenvertreter ein Ausbauziel von 20 Gigawatt bis zum Jahr 2030 nötig. Einen Zubau in dieser Größenordnung braucht es auch, um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, bis dahin rund 65 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken. Offshore-Windkraft kommt angesichts des beschlossenen Kernkraftund Kohlestromausstiegs dabei eine besondere Bedeutung zu, können die Windparks auf See doch mit deutlich mehr Volllaststunden betrieben werden als an Land.
17 Gigawatt sind „machbar“
Seitens der Bundesregierung wird zurzeit aber ein Ausbauziel von lediglich 17 Gigawatt bis 2030 präferiert. Das signalisierte Andreas Feicht, Staatssekretär für Energiepolitik im Bundeswirtschaftsministerium. „Das ist ambitioniert aber machbar“, sagte Feicht und gab zu, dass die Energiewende „in eine schwierige Phase kommt“. Es gehe, so Feicht, auch weniger um das konkrete Ausbauziel, sondern vielmehr darum, wie Deutschland in der Umsetzung vorankomme. Damit meint der Staatssekretär vor allem den Netzausbau, insbesondere die großen Nord-Süd-Trassen, über die der Windstrom von Nord- und Ostsee in die Industriezentren im Süden der Republik transportiert werden soll. Der heftige Widerstand gegen diese Infrastrukturprojekte in der Bevölkerung hat viele Politiker mit allzu ambitionierten Ausbauzielen vorsichtig werden lassen. Für die Unternehmen ist das fatal. Der Begriff „Fadenriss“ist inzwischen fest ins Vokabular der Offshore-Windbranche übernommen. Damit gemeint ist der plötzliche Stopp einer über Jahre mit hohen Raten wachsenden Industrie. Während die Branche in anderen Ländern zulegt, herrscht in Deutschland Flaute. In den Jahren 2020 und 2021 wird kein neuer Hochseewindpark in der deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb gehen. „Wir müssen aufpassen, dass nicht andere von dem Lehrgeld profitieren, was Deutschland in den vergangenen Jahren gezahlt hat“, warnt Vattenfall-Managerin Jung, und verweist auf die Niederlande und Großbritannien, die sich deutlich ambitioniertere Ziele gesetzt haben. Großbritannien beispielsweise, das aktuell eine ähnliche Leistung wie Deutschland am Netz hat, will die OffshoreWindkraft bis 2030 auf 30 Gigawatt ausbauen.
Damit setzt Deutschland die industrielle Wertschöpfung aufs Spiel. „Wir müssen zwangsläufig ins Ausland“, erklärt Andreas Renner, der für die EnBW den Kontakt zur Politik hält. Rund 200 Offshore-Spezialisten beschäftigt der Karlsruher Energieversorger in Hamburg. Perspektivisch, sagt Renner, sei die Mannschaft mit deutschen Meereswindparks nicht ausgelastet. Noch schwieriger ist die Situation für viele Zulieferer, die in Deutschland fertigen. „Einige Unternehmen haben ganz erhebliche Probleme“, berichtet Matthias Zelinger, Geschäftsführer des Fachverbands VDMA Power Systems.
Für eine industrielle Fertigung müssten laut Zelinger Windkraftanlagen in einer Größenordnung von 200 bis 300 Stück produziert werden. Gibt der Markt das nicht her, steht perspektivisch die Fertigung infrage oder wird verlagert. „Wenn wir in der Offshore-Industrie auch weiterhin Wertschöpfung in Deutschland haben wollen brauchen wir den Ausbau“, sagt Heiko Messerschmidt, Bezirkssekretär beim IG Metall Bezirk Küste. Welche Auswirkungen der „Fadenriss“heute schon hat, lässt sich beispielhaft in Bremerhaven beobachten. Von den einst rund 3000 Offshore-Arbeitsplätzen existieren heute noch 300.