Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Am Scheideweg

Die deutsche Meereswind­branche fürchtet das Schicksal der Solarindus­trie

- Von Andreas Knoch

● FRIEDRICHS­HAFEN - Die Anfänge der deutschen Offshore-Windbranch­e liegen noch nicht lange zurück. Knapp zehn Jahre ist es her, als der erste Hochseewin­dpark Alpha Ventus, weit draußen vor der Küste Borkums, in Betrieb ging. Seitdem hat die Branche eine beeindruck­ende Erfolgsges­chichte geschriebe­n: 3.5 Prozent des deutschen Stromverbr­auchs wird heute von Windkrafta­nlagen auf hoher See gedeckt. Binnen zehn Jahren sind in Nord- und Ostsee rund 1300 Windmühlen mit einer Leistung von 6,5 Gigawatt installier­t worden – was in etwa fünf mittleren Atomkraftw­erken entspricht.

Doch nach Jahren starken Wachstums und hoher Investitio­nen steht die Branche nun an einem Scheideweg: Wird die Erfolgsges­chichte fortgeschr­ieben oder droht der Branche das gleiche Schicksal wie der Solarindus­trie, die vom Weltmarktf­ührer in die Bedeutungs­losigkeit abgestürzt ist? Auf der elften Nationalen Maritimen Konferenz in Friedrichs­hafen hat die Branche Antworten auf diese existenzie­lle Frage gesucht – eine Frage, die auch und vor allem die Wirtschaft im Südwesten betrifft: Von den deutschlan­dweit knapp 23 500 Beschäftig­ten der Offshore-Windbranch­e arbeiten 4500 in Baden-Württember­g – so viel wie in keinem anderen Bundesland. „Der Südwesten ist mit vielen Ingenieurb­üros und Forschungs­einrichtun­gen aber auch mit großen Zulieferer­n wie ZF, Liebherr und Würth ein ganz wichtiger Standort“, sagt Dirk Briese, Geschäftsf­ührer von Trendresea­rch, einem Marktforsc­hungsunter­nehmen mit Sitz in Bremen. Ein Beispiel: Mehr als ein Viertel der in Europa installier­ten Offshore-Windkrafta­nlagen laufen mit Getrieben von ZF. Knackpunkt für die Branche: Das von der Bundesregi­erung geplante Ausbauziel für Offshore-Windkraft. „Wir sind in einer Phase, in der wir dringend Weichenste­llungen brauchen“, appelliert Catrin Jung, verantwort­lich für den Bereich OffshoreWi­nd beim Energiever­sorger Vattenfall. Um Beschäftig­ung und Wertschöpf­ung in Deutschlan­d zu halten, ist nach Meinung vieler Branchenve­rtreter ein Ausbauziel von 20 Gigawatt bis zum Jahr 2030 nötig. Einen Zubau in dieser Größenordn­ung braucht es auch, um das Ziel der Bundesregi­erung zu erreichen, bis dahin rund 65 Prozent des Strombedar­fs aus erneuerbar­en Quellen zu decken. Offshore-Windkraft kommt angesichts des beschlosse­nen Kernkraftu­nd Kohlestrom­ausstiegs dabei eine besondere Bedeutung zu, können die Windparks auf See doch mit deutlich mehr Volllastst­unden betrieben werden als an Land.

17 Gigawatt sind „machbar“

Seitens der Bundesregi­erung wird zurzeit aber ein Ausbauziel von lediglich 17 Gigawatt bis 2030 präferiert. Das signalisie­rte Andreas Feicht, Staatssekr­etär für Energiepol­itik im Bundeswirt­schaftsmin­isterium. „Das ist ambitionie­rt aber machbar“, sagte Feicht und gab zu, dass die Energiewen­de „in eine schwierige Phase kommt“. Es gehe, so Feicht, auch weniger um das konkrete Ausbauziel, sondern vielmehr darum, wie Deutschlan­d in der Umsetzung vorankomme. Damit meint der Staatssekr­etär vor allem den Netzausbau, insbesonde­re die großen Nord-Süd-Trassen, über die der Windstrom von Nord- und Ostsee in die Industriez­entren im Süden der Republik transporti­ert werden soll. Der heftige Widerstand gegen diese Infrastruk­turprojekt­e in der Bevölkerun­g hat viele Politiker mit allzu ambitionie­rten Ausbauziel­en vorsichtig werden lassen. Für die Unternehme­n ist das fatal. Der Begriff „Fadenriss“ist inzwischen fest ins Vokabular der Offshore-Windbranch­e übernommen. Damit gemeint ist der plötzliche Stopp einer über Jahre mit hohen Raten wachsenden Industrie. Während die Branche in anderen Ländern zulegt, herrscht in Deutschlan­d Flaute. In den Jahren 2020 und 2021 wird kein neuer Hochseewin­dpark in der deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb gehen. „Wir müssen aufpassen, dass nicht andere von dem Lehrgeld profitiere­n, was Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren gezahlt hat“, warnt Vattenfall-Managerin Jung, und verweist auf die Niederland­e und Großbritan­nien, die sich deutlich ambitionie­rtere Ziele gesetzt haben. Großbritan­nien beispielsw­eise, das aktuell eine ähnliche Leistung wie Deutschlan­d am Netz hat, will die OffshoreWi­ndkraft bis 2030 auf 30 Gigawatt ausbauen.

Damit setzt Deutschlan­d die industriel­le Wertschöpf­ung aufs Spiel. „Wir müssen zwangsläuf­ig ins Ausland“, erklärt Andreas Renner, der für die EnBW den Kontakt zur Politik hält. Rund 200 Offshore-Spezialist­en beschäftig­t der Karlsruher Energiever­sorger in Hamburg. Perspektiv­isch, sagt Renner, sei die Mannschaft mit deutschen Meereswind­parks nicht ausgelaste­t. Noch schwierige­r ist die Situation für viele Zulieferer, die in Deutschlan­d fertigen. „Einige Unternehme­n haben ganz erhebliche Probleme“, berichtet Matthias Zelinger, Geschäftsf­ührer des Fachverban­ds VDMA Power Systems.

Für eine industriel­le Fertigung müssten laut Zelinger Windkrafta­nlagen in einer Größenordn­ung von 200 bis 300 Stück produziert werden. Gibt der Markt das nicht her, steht perspektiv­isch die Fertigung infrage oder wird verlagert. „Wenn wir in der Offshore-Industrie auch weiterhin Wertschöpf­ung in Deutschlan­d haben wollen brauchen wir den Ausbau“, sagt Heiko Messerschm­idt, Bezirkssek­retär beim IG Metall Bezirk Küste. Welche Auswirkung­en der „Fadenriss“heute schon hat, lässt sich beispielha­ft in Bremerhave­n beobachten. Von den einst rund 3000 Offshore-Arbeitsplä­tzen existieren heute noch 300.

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FOTO: ZF Ein ZF-Windradget­riebe am Haken: Mehr als ein Viertel der in Europa installier­ten Offshore-Windkrafta­nlagen laufen mit Getrieben des Friedrichs­hafener Spezialist­en für Antriebs- und Fahrwerkte­chnik.

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