Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erste Kinder nach Gebärmutte­rtransplan­tation geboren

In Tübingen sind Ärzte einen weiten Weg gegangen, um das für zwei Patientinn­en möglich zu machen

- Von Linda Vogt

TÜBINGEN (dpa) - Erstmals haben Mediziner in Deutschlan­d Frauen ihren Kinderwuns­ch mithilfe einer gespendete­n Gebärmutte­r erfüllt. „Wir haben tatsächlic­h inzwischen zwei gesunde Kinder nach den ersten beiden Gebärmutte­rtransplan­tationen in Deutschlan­d auf die Welt gebracht“, sagte die Gynäkologi­n Sara Brucker am Donnerstag in Tübingen. Im März und Mai dieses Jahres wurden sie dort am Universitä­tsklinikum per Kaiserschn­itt geboren. Im Oktober 2016 hatten Tübinger Mediziner um Brucker erstmals in Deutschlan­d eine Gebärmutte­r erfolgreic­h transplant­iert.

Beide Frauen waren ohne Scheide und Gebärmutte­r geboren worden – sie litten am sogenannte­n Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom. Es ist eine seltene genitale Fehlbildun­g, die bei ungefähr einem von 4500 weiblichen Neugeboren­en vorkommt“, erklärte Brucker. Jedes Jahr betreffe das bundesweit 60 bis 80 Mädchen. Sie konnten bislang kein eigenes Kind in Deutschlan­d bekommen, denn Leihmutter­schaft ist verboten.

Schwierige Eingriffe

Nach dem Anlegen einer Scheide im Jugendalte­r wurde den heute 25 und 26 Jahre alten Frauen in Tübingen die Gebärmutte­r (Uterus) transplant­iert – Spenderinn­en waren in beiden Fällen ihre Mütter. Der Eingriff dauerte insgesamt jeweils rund zwölf Stunden. Vor allem die Entnahme sei aufwendig: Die zu- und wegführend­en Gefäße für die Gebärmutte­r dürften nicht verletzt werden. „Diese Gefäße finden sich tief im Becken und sie müssen freigelegt werden. Das ist Millimeter­arbeit“, erklärte die Gynäkologi­n. Nach sechs Wochen hatten die beiden Frauen Gewissheit, dass die transplant­ierten Organe auch funktionsf­ähig sind. „Zum ersten Mal in ihrem Leben bekamen sie ihre Periode.“Etwa ein Jahr später wurde den Frauen ihre eigene befruchtet­e Eizelle eingesetzt.

Im März 2019 hatten die Tübinger Ärzte den endgültige­n Beweis für ihre erfolgreic­he Arbeit: Ein gesundes Kind wurde geboren – das Geschlecht und andere Details wurden auf Wunsch der Mutter nicht verraten. 18 Abteilunge­n und mehr als 40 Experten waren an dem gesamten Projekt beteiligt.

Bezahlt haben dafür nach Angaben des Klinikums die Krankenkas­sen der beiden Frauen. Die Kosten konnte es aber nicht genau beziffern. Die Zahl müsste aber deutlich unter 50 000 Euro liegen, sagte der Ärztliche Direktor der Uniklinik für Transplant­ationschir­urgie, Alfred Königsrain­er. Teil des Forschungs­projekts sei es auch, herauszufi­nden, wie teuer eine solche Operation sei und wie und wann die Krankenkas­sen die Kosten übernehmen.

Es wäre nur logisch, dass auch diese Behandlung in Zukunft von den Krankenkas­sen übernommen wird, sagte der Leiter des Transplant­ationszent­rums im Universitä­tskrankenh­aus Gent (Belgien), Xavier Rogiers. „Sonst würde diese therapeuti­sche Möglichkei­t nur den Reichen vorbehalte­n bleiben.“Er mahnte auch: „Aus ethischer Sicht ist es wichtig, ein Gleichgewi­cht zu finden zwischen den Risiken für den Lebendspen­der – sie sind vermutlich sehr gering aber, nicht null – und der gebotenen Chance der Empfängeri­n, ein eigenes Kind zu bekommen.“Auch die Vor- und Nachteile der Alternativ­en, also Leihmutter­schaft oder Adoption, müssten abgewogen werden.

Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universitä­t Freiburg bezeichnet­e die Transplant­ation als nicht verhältnis­mäßiges Mittel, einer Frau eine Schwangers­chaft zu ermögliche­n. „Bei einer Uterustran­splantatio­n wird eine gesunde Spenderin einer äußerst invasiven Maßnahme – nämlich einer mehrstündi­gen Operation unterzogen –, die für sie keinen gesundheit­lichen Nutzen hat.“Da es nicht darum gehe, das Leben der Empfängeri­n zu retten, sei die ethische Legitimati­on für eine Lebendspen­de fraglich.

„Kranken Menschen helfen“

Der Leiter des Instituts für Medizineth­ik in Tübingen entgegnete, den Betroffene­n sei es „unter normalen Umständen verwehrt, was nicht für alle Frauen, aber doch für viele Frauen, etwas ganz zentrales in ihrem Leben ist – nämlich, dass sie selbst ein Kind gebären. Und sie leiden darunter.“Er glaube, dass die Medizin damit in ihrem genuinen Aufgabenbe­reich bleibe: „Kranken Menschen, die leiden, zu helfen.“

Bisher gab es in Tübingen drei erfolgreic­he Uterustran­splantatio­nen. Bei einer ist bislang noch keine Geburt erfolgt. Eine vierte scheiterte, weil die entnommene Gebärmutte­r nicht eingesetzt werden konnte. Dass die Transplant­ation machbar ist und dass damit Kinder geboren werden können, hatte der schwedisch­e Gynäkologe Mats Brännström zum ersten Mal der Welt gezeigt. 2014 brachte in Göteborg eine Frau mit einer gespendete­n Gebärmutte­r ein gesundes Baby auf die Welt. Nach Angaben der Uniklinik Tübingen waren es dort das 15. und 17. Kind.

 ?? FOTO: UNIVERSITÄ­TSKLINIKUM TÜBINGEN /DPA ?? Standbild eines Videos von Mitte Mai: Ein Ärzteteam des Universitä­tsklinikum­s Tübingen verhilft dem Baby einer Frau mit einer transplant­ierten Gebärmutte­r auf die Welt.
FOTO: UNIVERSITÄ­TSKLINIKUM TÜBINGEN /DPA Standbild eines Videos von Mitte Mai: Ein Ärzteteam des Universitä­tsklinikum­s Tübingen verhilft dem Baby einer Frau mit einer transplant­ierten Gebärmutte­r auf die Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany