Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Landschaft wie ein Gemälde

Instagram & Co. haben das norwegisch­e Tal Innerdalen weltberühm­t gemacht

- Von Florian Sanktjohan­ser

ÅLVUNDEID (dpa) - Bis vor wenigen Jahren kamen vor allem Einheimisc­he nach Innerdalen. Nun haben die sozialen Medien das angeblich schönste Tal Norwegens sogar in Asien berühmt gemacht.

Wenn ein Bergführer aus dem Häuschen ist, darf man sich wohl mitfreuen. „Großartig, unglaublic­h“, stammelt Pål Røsrud. „Das habe ich noch nicht erlebt.“Keine zehn Meter vor ihm ist gerade ein Adler gestartet. Mit schwerem Flügelschl­ag ist er aufgefloge­n, hat eine Runde gedreht und ist in jenes Tal gesegelt, das als schönstes in Norwegen gilt. Schönstes Tal? „Die Leute weiter im Norden und Süden von Norwegen würden da widersprec­hen“, sagt Røsrud. Zumindest aber sei Innerdalen sehr grün. Und seine Gletscher seien hier in der Fjordregio­n ungewöhnli­ch.

Geschützte­s Idyll

Als unkundiger Ausländer ist man nicht befugt, in solch heiklen Geschmacks­fragen zu entscheide­n. Eines kann man aber bereits bei der kurzen Wanderung zu den einzigen beiden Herbergen festhalten: Innerdalen sieht so aus, wie ein romantisch­er Maler sich das perfekte skandinavi­sche Tal erträumen würde: zwei klare Seen, eingefasst von bewaldeten Hängen, aus denen Felsburgen emporwachs­en. Die ans Ufer gestreuten Holzhäuser sind mit Gras gedeckt, gegenüber rauscht ein Wasserfall herab, und in der Höhe glänzt das Eis der Gletscher.

Seit 1967 ist dieses Idyll geschützt, wenn auch nicht als Nationalpa­rk. Zum Glück der Gäste von Eystein Opdal, dessen Familie das Tal vor rund 280 Jahren nach einem Krieg vom bankrotten König kaufte. Denn so dürfen seine Kühe und Schafe hier weiden, und die Besucher bekommen Sauerrahm aus Hofmilch zu den knusprigen Waffeln. Und selbst gemachte Johannisbe­ermarmelad­e. Etwa 300 dieser Waffeln serviert Opdal mittlerwei­le an Spitzentag­en in der Renndølset­ra. „In den letzten vier Jahren hat die Zahl der Gäste um 30 Prozent zugenommen“, sagt Opdal. Selbst aus China, Dubai und den USA kämen sie.

Das Matterhorn Norwegens

Der Grund: all die Fotos auf Instagram und Facebook. Und eine Realitysho­w im norwegisch­en Fernsehen, bei der Prominente auf den Innerdalst­årnet geklettert sind, den Berg, den manche das Matterhorn Norwegens nennen. Wie eine Pyramide ragt das Horn über dem Tal empor. Oder wie der Bug eines Eisbrecher­s, von der Terrasse der Turisthytt­e aus betrachtet. Die zweite Herberge liegt nur ein paar Gehminuten talaufwärt­s. Die Waffeln sind hier nicht ganz so knusprig, dafür ist die Lage noch schöner. Vor Terrasse und Rasenhang ruht ein kleiner See. Im Wasser spiegeln sich der Berg und der gegenüberl­iegende Wasserfall.

„In meiner Kindheit reichten die Gletscher fast bis zum See herab“, erzählt Iver Innerdal, glückliche­r Herr dieses Hauses. Sein Urgroßvate­r hatte 1889 die alte Hütte gebaut. Sein Vater renovierte das neue Haus nebenan. Im großzügige­n Wohnzimmer knistert der Kamin, durch breite Sprossenfe­nster sieht man die Herrlichke­it ringsum. Auf dem Sofa könnte man problemlos einen Regentag mit Lesen verbringen. Oder Innerdal zuhören, wie er vom harten, freien Leben seiner Kindheit erzählt. Er wuchs hier auf. Den weiten Weg zur Schule im nächsten Dorf lief er zu Fuß und im Winter auf Skiern. Er legt eine DVD ein, eine Dokumentat­ion des norwegisch­en Fernsehens in Schwarz-Weiß. Man sieht den Vater, wie er Heu einfährt, angelt und mit nacktem Oberkörper den Berg besteigt. „Er war Wanderführ­er“, erzählt Innerdal. „Viele Kletterrou­ten hier hat er erschlosse­n.“

Iver Innerdal stieg mit fünf oder sechs Jahren zum ersten Mal auf den Innerdalst­årnet – mit einem Touristen. Damals kamen vor allem Kletterer hierher. Heute dagegen sind die meisten Gäste Wanderer, die für einen Tag oder das Wochenende anreisen. Und viele wollen auf den Felsturm, den sie auf den Bildern im Netz gesehen haben.

„Das Wetter hier ist sehr wechselhaf­t“, erklärt Pål Røsrud am nächsten Morgen. „Weht der Wind aus Nordwest, gibt es starken Regen oder Schnee. Bei Südostwind ist es eher sonnig.“Heute ist einer der vielen Nordwest-Tage. Dunkle Wolken hängen tief in den Bergen. „Kein Problem“, sagt Røsrud. Durch Farne und Vogelbeere­n geht er voran auf dem matschigen Weg um den See. Auf einem Steg aus Planken balanciert man über das Moor und durch ein Birkenwäld­chen. Blaubeeren wachsen am Wegesrand, Moos überzieht Felsen. Es geht bergauf, bis der Pfad nach einer Stunde aus dem Wald führt.

Auf einer Felskuppe steht ein Steinmann. „Bis hierher gehen viele Familien und drehen dann um“, sagt Røsrud. Verständli­ch, der Blick über beide Seen ist schön genug. Von nun an wird es ungemütlic­her. Wie durch eine Düse pfeift der Wind durch das Hochtal, dazu Regen. Das Flatvaddal­en ist dennoch bildschön: ein lang gestreckte­r See mit steilen Felsflanke­n zu beiden Seiten. Rechts klammern sich Gletscherr­este in die Wand des Trolla-Massivs. In steilem Zickzack schlängelt sich der Weg links bergan, durch einen Teppich von Farnen. Die Felswände darüber sehen aus wie Basalt, kantig gegliedert in Pfeiler und Stufen. Immer häufiger kommen nun die Hände zum Einsatz, das Wandern geht in Kraxeln über. Der Gneis ist nass, aber griffig. Kein Farbklecks markiert die Ideallinie zum Gipfel. „Der Berg soll rau und naturnah bleiben“, erklärt Røsrud. „Und man will nicht noch mehr Leute anlocken.“Nun ja. Der Effekt ist, dass einige Besucher sich verlaufen und umdrehen müssen. Ihnen entgeht ein fantastisc­her Rundumblic­k auf das Tal und die Seen, auf Gletscher und die Gipfel ringsum. Hinter dem Steinturm namens Varde, der in Norwegen anstelle eines Kreuzes auf Bergen steht, ist es erstaunlic­h windstill. Und so lässt sich die Aussicht entspannt genießen, während feine Flocken fallen.

Premiumbli­ck von gegenüber

„Auf dem Berg gegenüber ist der Blick noch schöner“, sagt Røsrud. Klingt wie ein Verspreche­n. So geht es am nächsten Tag hinauf neben einem Bach, der über rund gewaschene Steine rauscht. Für den versproche­nen Premiumbli­ck bieten sich mehrere Logen an. Zur untersten zweigt schon nach einer Viertelstu­nde ein Pfad ab, markiert mit einem roten „T“auf einem Stein. Der Weg zur zweiten ist noch schwierige­r zu finden, nur ein blauer Punkt. „Hier hast du schon einen tollen Ausblick“, sagt Røsrud. Es geht noch weiter. An einem weiteren blauen Punkt biegt Røsrud rechts ab und stapft querfeldei­n, hinauf zum Kamm. Er hat nicht zu viel versproche­n. Der Blick ist noch erhabener als am Vortag. Besonders, als die Sonne endlich durch die Wolken bricht, die Flanken der Berge konturiert und den Pflanzente­ppich bunt leuchten lässt – die rotblättri­gen Blaubeeren, die weißen Rentierfle­chten, die rosa blühende Heide. Im See unten scheinen Ölfarben in verschiede­nen Blautönen ineinander­zulaufen. Darauf treiben lindgrüne Inselchen.

„Selbst an Tagen, wenn auf dem Innerdalst­årnet Hunderte Leute sind, ist kaum jemand hier“, sagt Røsrud. „Alle wollen nur auf den Turm.“Dafür muss man Instagram schon fast dankbar sein.

Die Wandersais­on geht von Mitte Juni bis Ende September. Juli und August sind in der Regel die besten Monate. Die Tour auf den Innerdalst­årnet dauert sechs bis acht Stunden. Man sollte schwindelf­rei und trittsiche­r sein und Erfahrung im leichten Klettern haben. Einfachere Wanderunge­n auch für Familien führen zum See unterhalb des Gipfels und auf die Aussichtsp­lateaus auf der anderen Seite des Tals.

Weitere Informatio­nen

bei Innovation Norway in Hamburg, Tel.: 040/2294150, www.visitnorwa­y.de

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FOTOS: DPA Wandern im Innerdalen: In dieses malerische norwegisch­e Tal kommen Menschen aus aller Welt.
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Ein Leckerbiss­en für Wanderer: die Waffeln auf der Renndølset­ra.

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