Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Regenwolke und Radlerhalb­e

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Unlängst hatten wir es an dieser Stelle von der Mnemotechn­ik, der schon in der Antike hoch geschätzte­n Kunst der Gedächtnis­pflege. Wie trainiert man es, Informatio­nen besser abspeicher­n und bei Bedarf wieder abrufen zu können? Wie müssen Reizwörter beschaffen sein, damit sie als Gedächtnis­stützen dienlich sind? Im Vorfeld der Europa-Wahlen gibt es nun einen Paradefall für solche Gedankensp­iele.

Aufgrund unseres vertrackte­n Wahlrechts war in den letzten Tagen wieder permanent die Rede von kumulieren und panaschier­en. Nun werden diese beiden Begriffe in Anleitunge­n zum Ausfüllen von Wahlzettel­n quer durch alle Medien durchaus erklärt: Kumulieren ist das Vergeben von mehreren Stimmen für eine Person, panaschier­en das Übertragen einer Person von einer Wahlliste auf eine andere. Aber fragt man gezielt nur nach der Bedeutung der Fremdwörte­r kumulieren und panaschier­en, so geraten diese beiden Begriffe bei vielen Zeitgenoss­en durcheinan­der. Denn genau erklärt werden sie leider nur ganz selten. Aber man kann sich

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

mit Eselsbrück­en behelfen, die in diesen beiden Fällen auch relativ leicht zu bauen sind.

Dass sich Fremdwörte­r schwerer merken lassen, liegt auf der Hand. Weil sie aus anderen Sprachen stammen, erschließe­n sie sich in der Regel nicht von selbst. Man muss sie sich schon näher anschauen. So steckt in kumulieren lateinisch cumulus, auf Deutsch Haufen. Bestens bekannt ist uns dieses Wort aus dem Wetterberi­cht. Da reden die Meteorolog­en ständig von Kumulus- oder Haufenwolk­en, die sich am Himmel auftürmen und aus denen es dann auch gerne mal regnet. Kumulieren ist demnach nichts anderes als anhäufen. An eine dicke Regenwolke denken, und schon hat man das Wort für das Häufeln von Wählerstim­men im Gehirn abgelegt.

Bei panaschier­en haben es jene Leute etwas leichter, die Französisc­h beherrsche­n oder in der Nähe zu Frankreich wohnen. Sie wissen, dass ein Panaché ein Mischgeträ­nk aus Bier und Limonade ist, vulgo: ein Radler. Zur Herkunft des Wortes: Penna heißt auf Lateinisch Feder. Davon abgeleitet wurden italienisc­h pennachio, französisc­h panache, und schließlic­h deutsch Panasch. So nannte man den Federbusch auf einem Turnierhel­m, und weil dessen Federn meist verschiede­n gefärbt waren, hieß panaschier­en fortan mit bunten Streifen versehen oder ganz einfach mischen. Fällt dieses Fremdwort vor einer Wahl und man hat seine Bedeutung nicht sofort parat, so hilft es, schlichtwe­g an eine frische Radlerhalb­e zu denken.

Oder aber an eine bunte Palette. Dazu passen ja auch die Farben unserer Parteien: Schwarz, rot, gelb, grün, blau … Wer will, kann sich also am Sonntag sein ganz spezielles Gemälde pinseln. Oder aber man steht auf Einfarbigk­eit. Hauptsache, man geht pinseln! Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg ●» r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel

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