Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Angriff auf die chinesisch­e Tischtenni­s-Dominanz

Samstag spielen die TTF Ochsenhaus­en um die deutsche Meistersch­aft – doch sie haben noch Größeres im Blick

- Von Jan Scharpenbe­rg und Theresa Gnann

● OCHSENHAUS­EN - Ochsenhaus­en ist eine kleine Stadt mit rund 9000 Einwohnern. Vormittags tingeln ältere Damen gemütlich zum Einkaufen. Hier wird die chinesisch­e Übermacht herausgefo­rdert – im Tischtenni­s.

In der unauffälli­gen, mit Wellblech verkleidet­en Sporthalle in der Riedstraße 44 residiert das Liebherr Masters College, kurz LMC. Es gehört zu den Tischtenni­sfreunden Ochsenhaus­en, TTF, bildet aber nicht exklusiv für den Verein aus.

Diesen Samstag spielen die TTF in Frankfurt gegen den 1. FC Saarbrücke­n um die deutsche Meistersch­aft. Der Titel wäre der größte Erfolg seit 15 Jahren. Rund um die TTF sind alle aufgeregt, klar. Aber im LMC geht es um viel mehr. Drinnen befinden sich die Trainingsh­alle, ein Aufenthalt­sraum, ein Lager und ein Büro, an dessen Wand ein übervoller Terminkale­nder hängt. Im Gang stehen Plastikpfl­anzen – keine Zeit zum Gießen. Denn hier wird der Angriff auf die Weltspitze geplant. Der ambitionie­rte Plan: Irgendwann soll der beste Tischtenni­sspieler der Welt in Ochsenhaus­en ausgebilde­t werden. Oder zumindest der beste, der nicht aus China kommt.

Timo Boll, der erfolgreic­hste Nicht-Chinese, spielt in Düsseldorf

Die Nation mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern, in der Tischtenni­s Volkssport Nummer 1 ist. In den vergangene­n 19 Jahren standen nur 14 Monate lang Nicht-Chinesen auf Platz 1 der Weltrangli­ste der Männer. Darunter zwei Deutsche: Timo Boll viermal und insgesamt elf Monate lang, Dima Ovtcharov zwei Monate lang. „Bei den Chinesen macht’s eben auch die Masse“, sagt der Präsident des LMC, Kristijan Pejinovic.

Doch wie soll man in Deutschlan­d dagegen ankommen? Einem Land, in dem mit Tischtenni­s nicht viel Geld zu verdienen ist. Weshalb traditione­ll die besten Spieler, wie Timo Boll, beim Rekordmeis­ter Borussia Düsseldorf oder gleich im finanziell weit lukrativer­en Ausland spielen. Pejinovic, gleichzeit­ig Präsident der TTF, beschreibt die Situation mit Humor: „Das ist wie Asterix und Obelix, und ich bin in Gallien.“Pejinovic meint. eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Im LMC formt man die Topstars einfach selbst – erfolgreic­h.

Der Fokus dabei ist nicht Oberschwab­en. Nicht Deutschlan­d. Nicht mal zwingend Europa. Mit Hugo Calderano aus Brasilien und Jang Woojin aus Südkorea sind aktuell zwei in Ochsenhaus­en ausgebilde­te Spieler auf Platz acht und neun in die Top-Ten der Welt eingedrung­en. Calderano spielt auch am Samstag gegen Saarbrücke­n. Den Pokalsieg hat das Team, das außerdem aus dem Franzosen Simon Gauzy, dem Österreich­er Stefan Fegerl und dem Polen Jakub Dyjas besteht, bereits in der Tasche.

Im LMC ist es egal, wer wo herkommt. „Das kann auch ein Eskimo sein, das ist wurscht. Hauptsache, er trifft den Ball“, sagt Pejinovic. „Wir halten immer die Augen offen“, sagt Dimitrij Mazunov, der Trainer.

Während im Gang des LMC der Präsident spricht, singt Hugo Calderano, der bereits seit 2014 in Ochsenhaus­en ist, in der Umkleide und lacht. Der 23-Jährige hat großen Anteil am Pokalsieg, blieb bis zum Titelgewin­n ungeschlag­en. Als er ihn vor fünf Jahren offiziell vorgestell­t habe, habe ihn ein Reporter gefragt, wer das sei und woher er komme, erzählt Pejinovic. Ob in Brasilien überhaupt Tischtenni­s gespielt wird, sei die nächste Frage des Reporters gewesen. Calderano schlug 2018 den Chinesen Fan Zhendong. Den langjährig­en Dominator. Spätestens da waren alle Zweifler eines Besseren belehrt.

Internatio­nal ist längst bekannt, dass da in einer kleinen oberschwäb­ischen Stadt ein einzigarti­ges Leistungsz­entrum existiert. Das erste Mal, dass die Tischtenni­s-Elite interessie­rt nach Ochsenhaus­en blickte, war bereits 2012, als Jang Woojin nach zwei Jahren Ausbildung am LMC Jugendwelt­meister wurde

Sponsoren zahlen die Ausbildung

Die Idee des LMC entstand aber nicht in Ochsenhaus­en, sondern in Bamberg im Jahr 2009. „Es war eine Vision“, sagt Pejinovic. Damals war noch Rainer Ihle Präsident der TTF Ochsenhaus­en. Bei einem gemeinsame­n Spaziergan­g trafen die beiden auf Georg Nicklas, Chef des Unternehme­ns ESN Deutsche Tischtenni­s Technologi­e GmbH, Weltmarktf­ührer für Beläge von Tischtenni­sschlägern. Ihle und Nicklas sinnierten über ihre Ziele: Die Leistungss­panne zu Asien verringern, vielleicht die Asiaten irgendwann sogar mal überholen – das wäre doch was. Die Idee des LMC war geboren.

Auch heute noch sind die Partnersch­aften mit Ausrüstern und Sponsoren elementar für das LMC. Sie finanziere­n nicht nur das Zentrum selbst, sondern auch die Spieler. Wer am LMC trainieren will, muss nicht nur sein Können beweisen, einen Background-Check und Charaktert­est überstehen, nein, er sollte möglichst auch einen persönlich­en Sponsoring­vertrag mit einem Ausrüster haben, der ihm die Ausbildung finanziert. Für außergewöh­nliche Talente kommt das LMC auch manchmal selbst auf.

Gewinn wollen die Verantwort­lichen laut eigener Aussage mit dem Projekt noch nicht erzielen. Eine extra für das LMC gegründete Stiftung schießt bis heute noch Geld zu. Der sportliche Erfolg für das LMC und die TTF sind der bisherige Lohn. Dass ihre Top-Spieler irgendwann den unmoralisc­hen Angeboten aus dem Ausland nicht mehr widerstehe­n können, weiß auch Pejinovic. „Ich will aber nicht der SC Freiburg des Tischtenni­s sein.“Deswegen setzt er darauf, dass seine Spieler dem LMC etwas für die Ausbildung zurückgebe­n wollen. Das scheint zu funktionie­ren. Die Vereinstre­ue der Spieler der TTF ist bemerkensw­ert. Obwohl nicht wenige potente Vereine ihre Blicke mit viel Begehren auf Ochsenhaus­en richten, wo die Bewohner teilweise über die Riedstraße nur wissen, dass dort Tischtenni­s gespielt wird. „Das stört mich nicht“, sagt Pejinovic.

Denn die internatio­nale Reputation ist mittlerwei­le riesig. Der chinesisch­e Top-Verein Shandong Luneng war schon für eine Woche Trainingsl­ager zu Besuch, und es existiert eine Kooperatio­n mit dem Japanische­n Olympische­n Komitee. Man hat noch viel vor.

Bald wird am LMC angebaut. Die noch in der Ortsmitte gelegene Geschäftss­telle zieht ein. Außerdem wird ein Tischtenni­slabor geschaffen, um auch die technische Entwicklun­g voranzutre­iben. Wann und ob irgendwann die Nummer 1 der Welt in Ochsenhaus­en residiert, weiß Pejinovic nicht. Gelassen fügt er hinzu: „Wir arbeiten daran.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Einer aus dem LMC: Hugo Calderano, Nummer 8 der Welt.
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FOTO: SCHARPENBE­RG Präsident Kristijan Pejinovic in der Halle, in der die zukünftige Nummer 1 der Welt geformt werden soll.

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