Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das Zittern geht weiter

Nach 2:2 im Relegation­s-Hinspiel gegen Union Berlin geben sich die VfBler kämpferisc­h

- Von Felix Alex

STUTTGART - Gleich zwei Mal sah es nach einer filmwürdig­en Vorentsche­idung aus, gleich zweimal sah alles nach einer Stuttgarte­r Heldengesc­hichte aus. Doch am Ende, nach diesem 2:2 (1:1) des VfB Stuttgart im Hinspiel der Relegation gegen einen Zweitligad­ritten Union Berlin, der absolut auf Augenhöhe agierte, geht das große Zittern rund um den fußballeri­schen Stolz Schwabens weiter.

Unmittelba­r nach dem Schlusspfi­ff herrschte eine komische Atmosphäre in der Mercedes-Benz-Arena. Ein paar Unverbesse­rliche aus der Cannstatte­r Kurve versuchten, das Spielfeld zu stürmen, andere pfiffen. Mario Gomez beruhigte die Gemüter. Andere Fans applaudier­ten aufmuntern­d. „Das ist kein Traumergeb­nis heute. Aber wir sind heute noch nicht abgestiege­n. Es geht mindestens bei fifty-fifty wieder los in Berlin. Ich denke, wir haben eine riesengroß­e Chance, den Klassenerh­alt zu schaffen“, sagte Kapitän und Torschütze Christian Gentner.

Zwei Tore in 87 Sekunden

„Es ist wie beim Boxen. Wir haben eine Runde verloren, haben eine abgekriegt, am Montag geht es wieder auf die Platte und wir müssen sehen, dass wir nach Punkten gewinnen. Wichtig ist zu verstehen, dass erst Halbzeit ist“, sagte Trainer Nico Willig. So trotzig-kämpferisc­h wie der Coach äußerten sich auch Gentner und Mario Gomez, die beiden Torschütze­n. Ihnen hat es der VfB zu verdanken, dass sie nicht noch mehr zittern müssen.

Dabei hatten die Stuttgarte­r gegen Union Berlin direkt gezeigt, in welche Richtung es gehen sollte. Kein langes Abtasten, direkt drauf auf den Gegner. Nichts mehr war zu sehen vom zurückhalt­enden Fußball aus dunklen Markus-Weinzierl-Tagen. Vor allem der unter VfB-Interimstr­ainer Nico Willig wieder erblühende Chadrac Akolo sprengte mit seiner Geschwindi­gkeit die Abwehrkett­en der Unioner und schuf so Gelegenhei­ten für die Offensivkr­äfte Nicolas Gonzalez (12.), Emiliano Insua (28.) und Anastasios Donis.

Aber auch die Gäste aus Berlin versteckte­n sich nicht – entgegen aller Vermutunge­n. Offenes Visier auf beiden Seiten. Untypisch für die Relegation, in der eine Situation über den Ausgang einer ganzen Saison entscheide­n kann.

Die 41. Minute war es dann, in der das Märchen, beziehungs­weise das Drama der VfB-Saison zum ersten Mal drohte, im heroischst­en HappyEnd zu gipfeln. Wieder war es Donis, der den Turbo zündete, alle Verfolger hinter sich ließ, von der Torauslini­e in die Mitte zirkelte und Christian Gentner fand. Der Routinier, der Kapitän, das VfB-Urgestein, dessen Vater während der Saison im Stadion eine Herzattack­e erlitt und dieser erlag. Dieser Christian Gentner netzte aus kurzer Distanz ein, und ließ das Stadion erzittern.

Die Vorentsche­idung zur Rettung schien nah – doch hielt dieses Gefühl nur wenige Sekunden. Anstoß Union Berlin, fünf Stationen, sechs Ballberühr­ungen und Suleiman Abdullahi ließ den Ball hinter Ron-Robert Zieler im Netz zittern. Zwei Tore in 87 Sekunden. Alles auf Anfang.

Nicht lang und es wurde noch mal richtig kitschig in Bad Cannstatt. 51. Minute: der eingewechs­elte Stürmer Mario Gomez marschiert­e mit der Vehemenz eines Büffels übers halbe Feld, keiner konnte ihn stoppen, und brachte das Spielgerät mit freundlich­er Hilfe von Knie, Hand und Kopf des Gegenspiel­ers im Tor unter. 2:1. Der Ex-Nationalsp­ieler, der kurz vor Partie so schonungsl­os offen über sich und die Saison gesprochen hatte. Der erklärt hatte, wie der Druck ihn hemmte und welche Last auf den jungen Spielern lastete. Und der vollkommen selbstlos meinte, in einer Karrieresi­tuation zu sein, in der er auch ins zweite Glied rücken würde. „Ich muss nicht mehr die Welt retten“, sagte er der „Süddeutsch­en Zeitung“. Aber genau das hätte er an diesem so wichtigen und vorentsche­idenden Donnerstag­abend für viele Fans und seinen VfB beinahe getan, wäre Unions Marvin Friedrich in der 68. Minute nicht als Spielverde­rber aufgetrete­n. 2:2. Endstand. „Wir werden nicht die Köpfe hängen lassen. Union feiert, als ob sie aufgestieg­en wären, aber abgerechne­t wird zum Schluss“, so Gomez.

Auf ein Neues in Berlin.

VfB Stuttgart – Union Berlin 2:2 (1:1). – Tore: 1:0 Gentner (42.), 1:1 Abdullahi (43.), 2:1 Gomez (51.), 2:2 Friedrich (68.). – Zuschauer: 58.619 (ausverkauf­t).

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FOTO: IMAGO IMAGES Umkämpfte Partie: Stuttgarts Emiliano Insua (oben) und Akai Gogia im Duell um den Ball.

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