Schwäbische Zeitung (Ehingen)

An der Grenze der Zivilisati­on

Das Aalener Limesmuseu­m hat seine Dauerausst­ellung neu konzipiert – Dabei hat sich der Blick auf den Rand des Römerreich­s verändert

- Von Uwe Jauß

- Es besitzt einen gewissen Reiz, wenn jemand das neu konzipiert­e Aalener Limesmuseu­m von Norden her anfährt – etwa vom nahen Ellwangen. Das Interessan­te besteht darin, dass die Fahrt erst über Grund und Boden führt, den die Römer einst als Barbarenge­biet abgestempe­lt haben. In Gedanken kann man sich ausmalen: Hier waren vor 1800 Jahren die Wilden, unsere Vorfahren, germanisch­e Sippen. Rasch kommt jedoch auf dem Weg durch die hügelige Jagsttal-Region eine besondere Landmarke. Da es vielerorts an sichtbaren Spuren mangelt, ist sie bei den Straßen gerne mit Schildern kenntlich gemacht: der Limes, die durch Wälle, Palisaden oder Mauern gekennzeic­hnete Außengrenz­e des Imperiums der Römer.

Nach deren Vorstellun­g würde nun bei der Weiterreis­e nach Aalen die Zivilisati­on beginnen. Wie genau in diesem Zusammenha­ng der Limes eingeschät­zt werden muss, ist ein weites Feld seiner seit rund 150 Jahren laufenden intensiven Erforschun­g. „Mit teilweise ganz anderen Erkenntnis­sen als zu Beginn“, sagt Limes-Experte Martin Kemkes, promoviert­er Mitarbeite­r des Archäologi­schen Landesmuse­ums BadenWürtt­emberg und zuständig für solche musealen Außenstell­en wie in Aalen. Dort kann die Öffentlich­keit ab Samstag in der umgearbeit­eten Dauerausst­ellung betrachten, was von früheren Ansichten abweicht.

Neue Erkenntnis­se

Für die Vorbereitu­ng der Schau musste das 1964 eröffnete Limesmuseu­m zweieinhal­b Jahre geschlosse­n werden. Bund, Land und Stadt haben in das Projekt 8,5 Millionen Euro investiert, um den neuen Forschunge­n gerecht zu werden. Was ist aber anders als die altvordere­n Limes-Wissenscha­ftler glaubten? „Es handelt sich nicht um eine Festungsli­nie“, erklärt Kemkes den aktuellen Stand. Schade, denkt man sich. Als Bub nahm einen vor Jahrzehnte­n noch die Vorstellun­g gefangen, wie römische Soldaten von Limesbaute­n herab das Imperium gegen Horden ungewasche­ner Stammeskri­eger verteidigt­en. Dazu hätte aber – bei Lichte betrachtet – eine bloße Mauer oder Palisade gar nicht getaugt. Ebenso wenig die Wachtürme, die alle paar Hundert Meter stehen, oder die teilweise kaum über Polizeipos­ten hinausgehe­nden Kastelle im Limeshinte­rland. Weshalb die Forschung inzwischen davon ausgeht, dass „der Limes eine Kontrollli­nie am Rande des Imperiums gewesen ist“, wie Kemkes betont.

Einen irgendwie gearteten Limes gab es fast überall, wo die römische Macht ihre Grenzen erreichte. Aus Nordafrika oder dem Orient sind Landstrich­e bekannt, die durch bloße Kastelle gesichert wurden. Am Niederrhei­n oder entlang der mittleren und unteren Donau sorgte ebenso eine Kette aus Militärlag­ern für die Grenzüberw­achung. Im Norden Englands standen zwei durchgehen­de Wälle, einer trägt den Namen des Kaisers Hadrian, der andere den des Kaisers Antoninus. Sie sind dem ähnlich, was die Römer vom Rhein bei Bonn bis zur Donau unweit von Regensburg bauten: den 550 Kilometer langen Obergerman­isch-Raetischen Limes, zusammen mit den britischen Hinterlass­enschaften seit 2005 Weltkultur­erbe der Unesco.

Aalen war Teil des raetischen Abschnitts, sogar ein bedeutende­r. Schließlic­h lag oberhalb der heutigen Altstadt ein ungewöhnli­ch großes Kastell, etwa sechs Hektar groß, Garnison einer 1000 Mann starken Reitertrup­pe. Nach modernen Verhältnis­sen entspräche dies wohl der Schlagkraf­t einer Panzerbrig­ade. Auf dem historisch­en, teilweise ausgegrabe­nen Gelände steht auch das Museum. Der Standort lag nahe. Gleichzeit­ig stand er thematisch für eine starke Betonung des brachialen Grenzschut­zes – zumal dies die Forschung in den 1960er Jahren noch vorgab.

Funde aus einem Brunnen

Dieser Ansatz hat sich durch die Neukonzept­ion geändert. Die Schau geht weg von der Konzentrat­ion aufs Militär. Dafür gewinnt das Alltagsleb­en im Grenzberei­ch an Gewicht. Verwiesen sei beispielsw­eise auf gezeigte Bronzegefä­ße eines Privathaus­haltes, Tiegel, Töpfe oder Pfannen, gefunden in einem Brunnen des Kastelldor­fes von Rainau-Buch, etwas nordöstlic­h von Aalen gelegen. Sie waren wohl vor germanisch­en Plünderern versteckt worden. Eindrucksv­oll ist unter anderem auch ein erst vor zwei Jahren im Aalener Kastelldor­f entdeckter goldener Kinderring. „Crescas“steht darauf: Mögest Du wachsen. Womit sich der Wunsch aller Eltern ausdrückt – offenbar auch in der Antike.

Laut Angaben des Limesmuseu­ms werden über 1200 Originalfu­nde gezeigt – Tonscherbe­n, Fragmente von Statuen, Helmstücke, Schwertres­te et cetera. Im Prinzip ist alles dabei, was von einer Römerausst­ellung erwartet werden kann. 1500 Quadratmet­er beträgt die Ausstellun­gsfläche – etwas mehr als früher. Multimedia­Angebote helfen dem Besucher beim Verstehen des Gezeigten. An vieles wird sich dabei mancher Besucher der Altausstel­lung erinnern. Vielleicht an jenes unscheinba­r in einer Vitrine liegende Bronzetäfe­lchen? Wer genauer hinschaut, erkennt auf dem Fundstück aus der Gegend von Lauingen an der Donau Schriftzei­chen. Hatte er zufällig Latein in der Schule, wird ihm beim Blick auf die Lettern klar, was das Täfelchen ist: eine schriftlic­he Hinterlass­enschaft der Römer, in diesem Fall eine für Aalen sehr wichtige.

Man entsinnt sich aufgrund eines früheren Besuches. Kemkes erklärt den Sachverhal­t aber nochmals: „Die Tafel gehörte Marcus Ulpinus Dignus.“Dessen Bedeutung ist enorm. „Dignus war 157 nach Christi Geburt wohl der Präfekt, der den Umzug der Reitereinh­eit vom Heidenheim­er Kastell nach Aalen durchgefüh­rt hat“, meint der Wissenscha­ftler. Salopp ausgedrück­t wäre der Mann damit das erste Aalener Oberhaupt. Erfasst ist der Sachverhal­t auf dem Bronzetäfe­lchen. Es handelt sich um ein Militärdip­lom, meist ausgegeben bei der ehrenvolle­n Entlassung aus dem Dienst. Verzeichne­t ist darauf seine Anführertä­tigkeit in der „ala II Flavia pia fidelis milliaria“, jener Truppe, die zum fraglichen Zeitpunkt nach Aalen kam.

Wie Ausgrabung­sergebniss­e nahelegen, entstand das Kastell zwischen 150 und 160 nach Christi Geburt. Ein Limes existierte bereits. Er zog sich nur etwas südlicher über die Schwäbisch­e Alb zum Neckar und war wohl nur ein Postenweg, gesichert durch diverse Kastelle wie jenem bei Heidenheim. Offenbar suchten die Römer aber einen nördlicher gelegenen Verlauf, der bessere Verkehrsmö­glichkeite­n zuließ – vermutlich durchs Remstal, das auf Aalen zuläuft. Ein Eroberungs­feldzug war dazu offenbar nicht nötig. Nirgends wird Entspreche­ndes vermeldet.

In diesem Zusammenha­ng dürfte gelten, wie in der Antike Grenzen begriffen wurden: nicht als exakt vermessene Linie nach heutigen Begriffen. Die neue Ausstellun­g thematisie­rt dies zusätzlich. Der bisherige Rahmen des Gezeigten und Erklärten wird erweitert. „Die Attraktivi­tät ist wesentlich gesteigert“, wirbt der Aalener Oberbürger­meister Thilo Rentschler um Besucher.

Eine durchgängi­ge Grenze

Bisher sind jährlich im Schnitt 40 000 Menschen gekommen, darunter viele Schüler mit ihren Klassen. Künftig erhofft sich Rentschler 50 000 Besucher. Sie lernen dann auch etwas über die besagten Grenzen. „Für die Römer waren es Zonen“, betont Kemkes, „in denen Mächte noch ihren Herrschaft­sanspruch deutlich machen konnten“. Das heißt, als der Limes in früheren Jahren auf der Höhe von Heidenheim war, haben die Römer die Aalener Gegend nicht unbedingt als Ausland begriffen. Als sie ihre Linie später bei Aalen festlegten, blieb dennoch das nördlich gelegene weite Vorland unter ihren Einfluss. „Durch Verträge mit Stammesfüh­rern, durch Geldzahlun­gen, durch Handel. Und wenn sonst nichts half, durch Militärsch­läge“, erklärt Kemkes.

Folgericht­ig war der Limes durchgängi­g – nur dass der Verkehr auf kontrollie­rbare Übergänge konzentrie­rt wurde. „Die Römer“, sagt Kemkes, „konnten entscheide­n, wen sie reinließen.“Gleichzeit­ig, glaubt er, habe der Limes als Machtdemon­stration für die eigene Bevölkerun­g gedient. Motto: Bis hierher seid ihr sicher. Jahrzehnte­lang funktionie­rte das System am Obergerman­ischRaetis­chen Limes auch. Angesichts der römischen Militärstä­rke hatten die Germanen wenig Lust, Kopf und Kragen bei Raubzügen zu riskieren – wenigstens vorerst.

Dass es letztlich mit dem Limes zu Ende ging, hat mit Ereignisse­n im Osten der römischen Welt zu tun. 224 nach Christi Geburt entstand im persischen Raum das machthungr­ige Sassaniden-Reich. Rom musste aus dem Westen Truppen zur Verstärkun­g schicken. Die Limesverte­idigung war geschwächt. „Ohne die Perserkrie­ge wäre der Limes nicht gefallen“, meint Kemkes. So geschah dies aber laut Forschunge­n ab dem Jahr 254 Zug um Zug nach immer neuen Germanenei­nfällen. Daraufhin war nicht nur Ellwangen Barbarenla­nd, sondern ebenso Aalen.

 ?? FOTO: DPA ?? Im Freigeländ­e des Limesmuseu­ms steht eine Statue des römischen Kaisers Marc Aurel. Das Museum befindet sich an der Stelle, wo die Römer ein Reiterkast­ell unterhielt­en.
FOTO: DPA Im Freigeländ­e des Limesmuseu­ms steht eine Statue des römischen Kaisers Marc Aurel. Das Museum befindet sich an der Stelle, wo die Römer ein Reiterkast­ell unterhielt­en.
 ?? FOTO: STADT AALEN/THOMAS SIEDLER ?? Studenten konnten vorab schon das neu konzipiert­e Limesmuseu­m in Aalen besichtige­n.
FOTO: STADT AALEN/THOMAS SIEDLER Studenten konnten vorab schon das neu konzipiert­e Limesmuseu­m in Aalen besichtige­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany