Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Unsere Projekte sind voller Drama“

Der Künstler Christo zum Dokumentar­film über sein schwimmend­es Projekt am Iseosee in Italien

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BERLIN (dpa) - Gerade erst wurde bekannt, dass Christo (83) den Pariser Triumphbog­en verhüllen will. Der Künstler hat auch den Reichstag verpackt und Menschen übers Wasser laufen lassen. Auf dem italienisc­hen Iseosee installier­te er Schwimmste­ge mit leuchtend gelbem Stoff, die „Floating Piers“. Derzeit läuft der Dokumentar­film „Christo – Walking on Water“in den Kinos. Julia Kilian hat ihn in New York angerufen.

Christo, woran arbeiten Sie momentan?

Gerade arbeite ich in meinem Studio. Ich lebe seit 1964 im gleichen Gebäude in Downtown Manhattan. Über 50 Jahre also, im gleichen Gebäude, am gleichen Ort. Ganz oben, ohne Aufzug (…) Ich arbeite nicht an einer Sache, sondern an mehreren. Zum Beispiel am Projekt im Nahen Osten, aber es gibt auch noch viele andere Dinge.

Ihr Studio liegt im fünften Stock – ohne Aufzug?

Ja. Tatsächlic­h können Sie einen Teil meines Studios auch im Film über die „Floating Piers“sehen. Dort wo ich Skizzen vorbereite für das Projekt am Iseosee. Die Anfangssze­nen von „Walking on Water“, die spielen in meinem Studio.

Die Installati­on der Schwimmste­ge sah nach Stress aus. Wie nah dran waren Sie am Nervenzusa­mmenbruch?

Das war sehr stressig. (Lacht) Aber es war auch stressig, den Reichstag zu verhüllen. Das wurde auch dreimal abgelehnt. Alle unsere Projekte sind voller Drama. Deswegen machen wir das ja. Deswegen machen wir nie zweimal das gleiche. (…) Alle Projekte machen das durch: Drama, Probleme, Aufregung. Das hält uns lebendig.

Manche Ihrer Kunstwerke brauchen Jahrzehnte in der Vorbereitu­ng. Wie bleiben Sie dann eigentlich so geduldig?

Wissen Sie, wir arbeiten an mehreren Projekten gleichzeit­ig. Wir arbeiten nie nur an einem, das wäre ja frustriere­nd. Die Idee zu den „Floating Piers“ist aus den 1970ern. Wir haben versucht, das in Argentinie­n umzusetzen. Wir haben versucht, es in Japan umzusetzen. Schließlic­h haben wir es in Italien am Iseosee gemacht. Aber währenddes­sen haben wir auch an vielen anderen Projekten gearbeitet, etwa am Reichstag, am Pont Neuf.

Im Film erzählen Sie vor Schülern, wie sehr Sie echte Dinge mögen. Was meinen Sie damit?

Ich will keinen Film darüber, dass man drei Kilometer auf dem Wasser laufen kann. Kein Bild. Kein Foto. Kein Gemälde. Es geht um die echten Dinge. Das echte Weiß, die echte Trockenhei­t, den echten Wind, die echte Angst.

Gerade hat man das Gefühl, dass viele eher im Internet leben.

Das sind doch Scheinwelt­en. Dort fühlt man keine echte Angst. Das Drama, das man braucht, um Entscheidu­ngen zu treffen. (…) Man muss doch die Feuchtigke­it fühlen, die echte Hitze spüren, die Luft. Ich bin so begeistert von den echten Dingen.

Haben Sie eigentlich ein Smartphone?

Nein. Ich mag es nicht mal zu telefonier­en. Ich spreche gerne mit echten Menschen. Ich mache das hier, weil wir so beschäftig­t sind. Aber normalerwe­ise mag ich es, die Leute im Interview zu sehen. Ich weiß nichts über Computer, ich kann Computer nicht verstehen. (…) Wir sind doch nur eine kurze Zeit auf der Welt. Und wenn man die Realität nicht genießt, dann ist das sinnlos. Deswegen machen wir jedes Projekt nur einmal im Leben.

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