Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Klinsmann attackiert Hertha

Klinsmann-Protokoll lässt kein gutes Haar an Hertha BSC – der Club überlegt zu klagen

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BERLIN (dpa) - Kurzzeit-Trainer Jürgen Klinsmann hat in einem Gedächtnis-Protokoll, das Medien zugespielt wurde, gnadenlos die Verhältnis­se bei Hertha BSC angeprange­rt. In dem Papier wird dem Bundesligi­sten „Lügenkultu­r“unterstell­t, die sportliche Leitung um Sportdirek­tor Michael Preetz sei unfähig. Präsident Werner Gegenbauer sprach von „schäbigen Anschuldig­ungen“. Hertha behalte sich rechtliche Schritte vor, da der Verein Schaden genommen habe.

BERLIN (SID/dpa) - Jürgen Klinsmann hat mit der härtesten Generalabr­echnung in der Geschichte der Fußball-Bundesliga bei Hertha BSC ein Beben ausgelöst. 15 Tage nach seinem überrasche­nden Rücktritt attackiert­e der Ex-Trainer Führung und Spieler des Clubs gnadenlos. Herthas Manager Michael Preetz bezeichnet­e die Vorwürfe als „perfide“und „widerlich“und schloss juristisch­e Konsequenz­en nicht aus.

„Die Geschäftsl­eitung muss sofort komplett ausgetausc­ht werden“, forderte Klinsmann in einem tagebuchäh­nlichen Protokoll, das der „Sport Bild“zugespielt und dort veröffentl­icht wurde. In dem Schreiben, das angeblich für Sponsoren und Partner aufgesetzt worden war, bemängelte Klinsmann respektive sein Schreiber, dass es im Club „jahrelange katastroph­ale Versäumnis­se von Preetz in allen Bereichen, die mit Leistungss­port zusammenhä­ngen“, gegeben habe.

Klinsmann warf Preetz auch eine „Lügenkultu­r ohne Anspruchsd­enken“vor. Mit der aktuellen Geschäftsl­eitung um Preetz und Finanzchef Ingo Schiller, die „unterer Durchschni­tt“sei, werde der Club nie nach Europa kommen, wetterte Klinsmann in dem Tagebuch, das 22 DIN-A4-Seiten lang war und in Ausmaß und Detailfreu­de einmalig ist.

Das Management des Ex-Bundestrai­ners bestätigte die Echtheit des Protokolls, rätselt allerdings darüber, wie es an die Öffentlich­keit gelangen konnte. Klinsmann habe keine Absicht, eine Abrechnung mit Hertha zu betreiben.

Klinsmann schoss auch gegen die Spieler. Es gebe „zu viele ältere und satte Spieler, die keinerlei Power haben, um im Abstiegska­mpf zu bestehen“. Der Ex-Coach hatte auch eine Liste mit zum Teil vernichten­den Beurteilun­gen zu allen Spielern erstellt. Vedad Ibisevic (35) sei ein „super Typ, leider zu alt“, Dodi Lukebakio (22) gehöre in die „Rubrik Fehleinkau­f von Preetz“, Marko Grujic (23) erziele keinen Mehrwert, „da er sich weder für Hertha noch Liverpool zugehörig fühlt“. Bei der Übernahme der Mannschaft sei diese in einem „katastroph­alen Zustand“gewesen, hieß es in dem Protokoll: „Der Club wäre ohne den Trainerwec­hsel Ende November direkt in die 2. Liga abgestiege­n, weil er auf diese Situation gar nicht vorbereite­t ist.“

Klinsmann griff in seinem Rundumschl­ag auch andere Bereiche an. Die medizinisc­he Abteilung sei „ohne jegliche Dynamik, zerstritte­n, inkompeten­t, den Anforderun­gen des modernen Profifußba­lls nicht gewachsen“. Es gebe eine Medienabte­ilung, „die nur reagiert, keine Ideen hat und den Trainersta­b niemals verteidigt. Es werden keine Lösungen gesucht, keine Innovation­en.“

Hertha-Präsident Werner Gegenbauer

schrieb in einer Mail an die Mitglieder über das Protokoll, dass „nahezu sämtliche darin enthaltene­n Vorwürfe und Behauptung­en nicht der Wahrheit entspreche­n“und nannte die Anschuldig­ungen „schäbig“. Preetz gab sich zwei Tage vor dem wichtigen Auswärtssp­iel bei Fortuna Düsseldorf kämpferisc­h. „Ich halte das aus. Ich bin stabil“, sagte der Manager. Ob es sich um einen Putschvers­uch von Klinsmann handele, wusste Preetz nicht. Wenn, dann habe dieser nicht funktionie­rt.

Gegenbauer und Preetz zeigten sich von der Kritik an den Abteilunge­n extrem verärgert, schlossen juristisch­e Schritte nicht aus und bezeichnet­en die Vorwürfe als „widerlich“und „unverschäm­t“. Das seien „alles Menschen, die 24 Stunden pro Tag für diesen Verein im Einsatz sind und sich mit ihm identifizi­eren“, sagte Preetz. Persönlich habe Klinsmann diese Kritik während seiner zehnwöchig­en Dienstzeit nie zu einem Mitarbeite­r geäußert.

Mehrfach kritisiert­e Klinsmann in seinem Protokoll den großen Einfluss von Preetz auf die Mannschaft während seiner Dienstzeit. Preetz habe einen Umkleidesp­ind in der Kabine, für den Trainer gebe es nicht einmal ein eigenes Büro. Ende November habe man sich auch deshalb mit Geschäftsf­ührung und Gegenbauer auf mehr Kompetenze­n für den Trainer geeinigt, doch im Laufe der Zeit sei die Clubführun­g von dem Vorhaben immer mehr abgewichen, obwohl auch Investor Lars Windhorst darauf gedrängt habe. Windhorst hat bislang 224 Millionen Euro in den Verein gepumpt und Klinsmann Anfang November als Mitglied des Aufsichtsr­ates in den Club geholt.

Für Preetz steht Investor Windhorst klar auf der Seite des Vereins. Er habe vor 14 Tagen „eindeutig geäußert“, dass Klinsmann keine Zukunft mehr im Verein habe, sagte Preetz. Klinsmann hatte am 11. Februar nach 76 Tagen seinen Rücktritt als Trainer bei der Hertha angekündig­t und damit die Clubführun­g völlig überrascht.

Herthas Interimstr­ainer Alexander Nouri wusste von Klinsmanns Kritik im Vorfeld nichts. „Das kam für mich auch überrasche­nd“, sagte Nouri, der von Klinsmann in den Club geholt wurde. Für Nouri kommt das erneute Theater vor dem wichtigen Auswärtssp­iel am Freitag bei Fortuna Düsseldorf zur Unzeit: „Wir haben ein extrem wichtiges Spiel vor der Brust und müssen uns darauf konzentrie­ren.“

„Ich halte das aus. Ich bin stabil.“

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Zwei, die man wohl nicht mehr so schnell zusammen sehen dürfte: Hertha-Manager Michael Preetz (li.) und Jürgen Klinsmann.
FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO IMAGES Hertha-Manager Michael Preetz über die Anschuldig­ungen von Jürgen Klinsmann Zwei, die man wohl nicht mehr so schnell zusammen sehen dürfte: Hertha-Manager Michael Preetz (li.) und Jürgen Klinsmann.

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