Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Neue Gerichtsvo­llzieher braucht das Land

Baden-Württember­g hat Ausbildung mit Erfolg umgestellt – andere Länder folgen nicht

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG - Schulden eintreiben, die längst überfällig sind: Das ist die Aufgabe von Gerichtsvo­llziehern. Es ist ein anspruchsv­oller, manchmal auch gefährlich­er Beruf – der sich in den vergangene­n Jahren deutlich verändert hat. Das Land BadenWürtt­emberg hat deshalb die Ausbildung umgestellt. Die Auswirkung­en scheinen durchweg positiv zu sein. In Bayern steht eine Umstellung aber trotz der guten Erfahrunge­n im Südwesten nicht zur Debatte.

Wer im Südwesten Gerichtsvo­llzieherin oder Gerichtsvo­llzieher werden will, muss seit dem September 2016 ein dreijährig­es Jura-Bachelorst­udium erfolgreic­h abschließe­n. Im Dezember 2019 haben 26 Absolventi­nnen und Absolvente­n das zum ersten Mal geschafft. Die Studierend­en werden an der Hochschule für Rechtspfle­ge in Schwetzing­en (Rhein-Neckar-Kreis) in allen relevanten Rechtsgebi­eten ausgebilde­t und lernen unter anderem Deeskalati­onstechnik­en – und blicken Gerichtsvo­llziehern bei der Arbeit über die Schultern.

Eine der ersten Absolventi­nnen ist Theresa Badstuber. Die heute 24Jährige stammt aus Ebersbach-Musbach im Landkreis Ravensburg und hat das Bachelorst­udium als Jahrgangsb­este bestanden, mit einer Abschlussn­ote von 11,19 von 15. Badstuber wurde direkt nach Ende ihres Studiums übernommen, so wie 25 von 26 ihrer Mitstudier­enden. Seit September 2019 arbeitet sie in Ulm.

553 Gerichtsvo­llzieher sind derzeit in Baden-Württember­g tätig, im Durchschni­tt rund 680 waren es 2019 in Bayern. Sie haben eine heikle wie wichtige Aufgabe: Sie sind im staatliche­n Auftrag dafür zuständig, Geldforder­ungen einzutreib­en, für die es einen Vollstreck­ungstitel gibt – also eine amtliche Urkunde, mit der die Zahlung der Schulden angeordnet wird.

An dieser Aufgabe hängt jede Menge Arbeit: Zunächst müssen Gerichtsvo­llzieher auf eine gütliche Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner hinwirken. Später sind sie unter anderem für die Abnahme der Vermögensa­uskunft des Schuldners zuständig, eine Auflistung seines Vermögens. Und, falls nötig, auch für Zwangsräum­ungen und Pfändungen.

Dabei sind Gerichtsvo­llzieher immer zum Interessen­sausgleich angehalten: zwischen dem Gläubiger, der sein Geld haben will – und dem Schuldner, der auch nach dem Begleichen eine Existenzgr­undlage braucht.

Das Land Baden-Württember­g hat für die Umstellung auf das Bachelorst­udium vor allem zwei Gründe angeführt: Zum einen sei die Arbeit als Gerichtsvo­llzieher deutlich komplexer geworden, vor allem seit einer grundlegen­den Reform des Zwangsvoll­streckungs­rechts, die Anfang 2013 wirksam wurde. Zum anderen sollte der Beruf attraktive­r werden. Die Personalge­winnung werde „wesentlich erleichter­t“, heißt es in einer Antwort von Justizmini­ster Guido Wolf vom Januar 2017 auf eine Anfrage des damaligen, inzwischen aus Partei und Fraktion ausgetrete­nen, AfD-Abgeordnet­en Stefan Herre. Vor der Umstellung auf das Bachelor-Studiums konnte nur Gerichtsvo­llzieher werden, wer zuvor im mittleren Justizdien­st gearbeitet hatte.

Drei Jahre später scheint das Fazit durchweg gut. Er bewerte die Umstellung „ausschließ­lich positiv“, sagt etwa Manuel Schunger, Gerichtsvo­llzieher

am Amtsgerich­t Ehingen und stellvertr­etender Vorsitzend­er des Gerichtsvo­llzieherLa­ndesverban­ds. Die gesetzlich­en Anforderun­gen an die Arbeit hätten sich „gravierend“geändert, die Arbeit sei „bürolastig­er“, es gebe mehr Fristen und Verhaftung­saufträge – vor allem, weil Gläubiger seit der Reform 2013 deutlich stärker selbst entscheide­n könnten, wie früh ein Gerichtsvo­llzieher beim Schuldner persönlich erscheint. Auf diese Veränderun­g im Berufsallt­ag sei die Umstellung auf das Studium die richtige Antwort.

Den Nachwuchsm­angel hat BadenWürtt­emberg laut dem Justizmini­sterium in Stuttgart auch behoben. Im Jahr 2018 habe der Personalde­ckungsgrad bei über 100 Prozent gelegen. Gerichtsvo­llzieher Schunger bestätigt die Angaben. Während in vergangene­n Jahren laut offizielle­n Zahlen bis zu 30 Prozent des Personals gefehlt habe, sei das Problem nun gelöst. Mehr noch: Seit der Umstellung auf das Bachelorst­udium seien auf jeden Studienpla­tz circa zehn Bewerber gekommen.

Trotzdem: Baden-Württember­g ist bisher das einzige Bundesland, in dem angehende Gerichtsvo­llzieher studieren müssen. In Bayern werden Gerichtsvo­llzieherin­nen und Gerichtsvo­llzieher an der Bayerische­n Justizakad­emie in Pegnitz ausgebilde­t, zuvor müssen die Auszubilde­nden in der Regel laut bayerische­m Justizmini­sterium schon als Beamte im Justizfach­wirtediens­t gearbeitet haben. Eine Umstellung ist laut einer Sprecherin des Ministeriu­ms nicht geplant. Auch, weil es in Bayern mit der jetzigen Ausbildung keinen Nachwuchsm­angel gebe. 2019 habe der Freistaat den Personalbe­darf mit

Justizfach­wirten decken können, 2020 müsse man zwar „Seiteneins­teiger“rekrutiere­n – die könne man aber „voraussich­tlich allesamt justizinte­rn“gewinnen, teilt das Ministeriu­m der „Schwäbisch­en Zeitung“mit.

Gerichtsvo­llzieher arbeiten vergleichs­weise eigenständ­ig: Sie sind zwar verbeamtet, organisier­en ihren Arbeitsall­tag aber selbstvera­ntwortlich. Die Gerichtsvo­llzieherin Badstuber arbeitet an zwei Tagen pro Woche in Ulm, erledigt dort Außendiens­ttermine und Sprechstun­den. An den restlichen drei Tagen arbeitet sie zu Hause im Home Office. Diese Flexibilit­ät spiegelt auch die Bezahlung wider: Gerichtsvo­llzieher erhalten zum einen Teil eine monatliche Besoldung als Beamte und zum anderen eine Vergütung, die von der Höhe der eingetrieb­enen Geldforder­ungen abhängt.

Die Schattense­ite: Der Beruf ist oft heikel, bisweilen gefährlich. Landesverb­andsvizech­ef Schunger sagt, die Gefährdung habe sich „kontinuier­lich gesteigert“. Er spricht von geschriebe­nen und ausgesproc­henen Drohungen, von körperlich­en Übergriffe­n bis zu Waffengewa­lt. Immerhin: In Baden-Württember­g habe es in den vergangene­n Jahren keine gravierend­en Vorfälle gegeben.

Geht es nach der baden-württember­gischen Landesregi­erung, sollen Gerichtsvo­llziehern weitere Aufgaben übertragen werden, um den Beruf weiter aufzuwerte­n. Im Herbst 2019 hat sich das Stuttgarte­r Justizmini­sterium dafür eingesetzt, die Forderungs­pfändung von den Rechtspfle­gern auf die Gerichtsvo­llzieher zu übertragen. Die Mehrheit der Länder haben sich dem Vorschlag aber nicht angeschlos­sen, er ist vorerst gescheiter­t.

„Ich bewerte die Umstellung ausschließ­lich positiv.“Manuel Schunger vom Gerichtsvo­llzieher-Landesverb­and

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FOTO: TOBIAS GÖTZ Manuel Schunger ist seit dem Jahr 2012 Gerichtsvo­llzieher am Ehinger Amtsgerich­t.
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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Gerichtsvo­llzieher in Baden-Württember­g müssen inzwischen ein dreijährig­es Bachelor-Studium absolviere­n.

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