Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Baerbock redet in Biberach mit den Bauern

Landwirte protestier­en mit Traktoren – Kretschman­n fordert Gesellscha­ftsvertrag

- Von Sebastian Heinrich

GBIBERACH - Wie es um die Laune der Grünen steht, das lässt sich seit Jahren gut beobachten beim politische­n Aschermitt­woch in Biberach. 2019 war Robert Habeck in der Stadthalle. Der Bundeschef der Partei warnte in düsterem Ton vor einem Triumph rechter Populisten bei der Europawahl. Ein knappes Jahr später ist Annalena Baerbock in Biberach, die Partei ist umgezogen in die Gigelbergh­alle, den „Biberacher Olymp“, wie Oberbürger­meister Norbert Zeidler beim Grußwort sagt. Aber das ist bei Weitem nicht der gravierend­ste Unterschie­d.

Baerbock hält vor rund 750 Zuhörern in ziemlich genau einer Stunde auf dem Podium eine Rede, die wie eine Bewerbung für das Kanzleramt klingt. Anderthalb Jahre sind es noch bis zur Bundestags­wahl, die Grünen trennen laut mehreren Umfrageins­tituten noch drei bis vier Prozent Wählerstim­men von CDU und CSU.

Baerbock stichelt gegen die Politik der schrumpfen­den Großen Koalition. Sie spricht von vernünftig­em Regieren. Sie sagt über ihre Partei, die den Rückenwind der Klimaschut­zbewegung Fridays for Future spüre: „Wir nörgeln nicht nur, wir packen es an, wir machen die Dinge besser.“Sie lässt erkennen, wie sie anderen Parteien die Prozentpun­kte abluchsen will, die noch fehlen für eine grüne Bundeskanz­lerin.

Als es um die Verkehrspo­litik geht, sagt sie: „Ich komm’ vom Dorf. Ich weiß, es gibt Regionen, da ist man auf das Auto angewiesen.“Und dann: „Wenn man von Biberach heute Abend nach Bad Schussenri­ed nach Hause will, dann fährt der Bus um 20.05 Uhr.“Als es um den Kampf gegen den Klimawande­l geht, warnt sie vor mageren Gersteernt­en – und sagt: „Entweder ihr trinkt weniger Bier oder ihr werdet Klimaschüt­zer. Biertrinke­r for Future, das hat es noch nicht gegeben!“

Dass derlei Sprüche bei vielen Wählern aber wohl nicht reichen werden, das hat sich schon vor Baerbocks Rede gezeigt, auf dem Platz vor der Gigelbergh­alle. 400 Landwirte sind laut den Veranstalt­ern hierher gekommen, mit 262 Traktoren. Die Bauern demonstrie­ren für eine Wende in der Agrarpolit­ik. Baerbock geht zu der Versammlun­g, noch bevor sie ihre Rede in der Halle hält. Sie steigt auf die Bühne, spricht knappe zehn Minuten lang, klagt über riesige Hühnermast­betriebe, die nichts mehr mit bäuerliche­r Landwirtsc­haft zu tun hätten. „Ihr habt uns da als Grüne auf eurer Seite“, sagt sie und, mit Blick auf den Zustand der Branche: „Dieses System ist krank.“Sie fordert, die Agrapoliti­k „vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Subvention­en müssten künftig an diejenigen Landwirte gehen, die nachhaltig wirtschaft­eten. Sie bekommt nur dünnen Applaus.

Drinnen in der Halle geht es, eine Woche nach den Terroransc­hlägen von Hanau, auch um Rechtsterr­orismus und Rassismus. Baerbock sagt, man habe in Deutschlan­d ein „massives Rassismusp­roblem“, sie zählt rechte Terroransc­hläge vergangene­r Jahre auf und fordert dazu auf, Menschen migrantisc­her Herkunft mehr zuzuhören. Weil sie es seien, die davon am stärksten bedroht sind. Zum Schluss sagt Baerbock: „Dieses Land ist bunt, ist vielfältig, dieses Land ist unteilbar, herzlichen Dank!“Dann klatschen die Zuhörer laut auf, vereinzelt­e Jubelrufe, die Hälfte der Menschen erhebt sich, eine gute Minute lang klatschen sie.

Dann spricht Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, wie jedes Jahr in Biberach. Er redet zuerst in Richtung der protestier­enden Landwirte, fordert einen „neuen Gesellscha­ftsvertrag“zwischen Landwirten, Lebensmitt­elhandel und Verbrauche­rn, damit Bauern von ihrer Arbeit leben könnten. Kretschman­n fordert einen entschloss­enen Kampf gegen den Klimawande­l. Deutschlan­d müsse beweisen, dass Ökologie und wirtschaft­liche Prosperitä­t zusammengi­ngen. Und er endet mit einem Appell zur Verteidigu­ng der offenen Gesellscha­ft. Und sagt, mit Blick auf Rechtsextr­eme in Deutschlan­d: „Wenn die was zum sagen haben, dann haben wir wirklich nichts mehr zum Lachen.“

„Es muss dazu kommen, dass dieses Land vernünftig regiert wird“, hat Baerbock am Anfang ihrer Rede gesagt. Und wer dafür sorgen soll, das macht später ausgerechn­et Kretschman­n klar. „Wir können dir vertrauen, du wirst dieses Land gut führen“, sagt der baden-württember­gische Ministerpr­äsident in Richtung Baerbock.

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