Baerbock redet in Biberach mit den Bauern
Landwirte protestieren mit Traktoren – Kretschmann fordert Gesellschaftsvertrag
GBIBERACH - Wie es um die Laune der Grünen steht, das lässt sich seit Jahren gut beobachten beim politischen Aschermittwoch in Biberach. 2019 war Robert Habeck in der Stadthalle. Der Bundeschef der Partei warnte in düsterem Ton vor einem Triumph rechter Populisten bei der Europawahl. Ein knappes Jahr später ist Annalena Baerbock in Biberach, die Partei ist umgezogen in die Gigelberghalle, den „Biberacher Olymp“, wie Oberbürgermeister Norbert Zeidler beim Grußwort sagt. Aber das ist bei Weitem nicht der gravierendste Unterschied.
Baerbock hält vor rund 750 Zuhörern in ziemlich genau einer Stunde auf dem Podium eine Rede, die wie eine Bewerbung für das Kanzleramt klingt. Anderthalb Jahre sind es noch bis zur Bundestagswahl, die Grünen trennen laut mehreren Umfrageinstituten noch drei bis vier Prozent Wählerstimmen von CDU und CSU.
Baerbock stichelt gegen die Politik der schrumpfenden Großen Koalition. Sie spricht von vernünftigem Regieren. Sie sagt über ihre Partei, die den Rückenwind der Klimaschutzbewegung Fridays for Future spüre: „Wir nörgeln nicht nur, wir packen es an, wir machen die Dinge besser.“Sie lässt erkennen, wie sie anderen Parteien die Prozentpunkte abluchsen will, die noch fehlen für eine grüne Bundeskanzlerin.
Als es um die Verkehrspolitik geht, sagt sie: „Ich komm’ vom Dorf. Ich weiß, es gibt Regionen, da ist man auf das Auto angewiesen.“Und dann: „Wenn man von Biberach heute Abend nach Bad Schussenried nach Hause will, dann fährt der Bus um 20.05 Uhr.“Als es um den Kampf gegen den Klimawandel geht, warnt sie vor mageren Gersteernten – und sagt: „Entweder ihr trinkt weniger Bier oder ihr werdet Klimaschützer. Biertrinker for Future, das hat es noch nicht gegeben!“
Dass derlei Sprüche bei vielen Wählern aber wohl nicht reichen werden, das hat sich schon vor Baerbocks Rede gezeigt, auf dem Platz vor der Gigelberghalle. 400 Landwirte sind laut den Veranstaltern hierher gekommen, mit 262 Traktoren. Die Bauern demonstrieren für eine Wende in der Agrarpolitik. Baerbock geht zu der Versammlung, noch bevor sie ihre Rede in der Halle hält. Sie steigt auf die Bühne, spricht knappe zehn Minuten lang, klagt über riesige Hühnermastbetriebe, die nichts mehr mit bäuerlicher Landwirtschaft zu tun hätten. „Ihr habt uns da als Grüne auf eurer Seite“, sagt sie und, mit Blick auf den Zustand der Branche: „Dieses System ist krank.“Sie fordert, die Agrapolitik „vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Subventionen müssten künftig an diejenigen Landwirte gehen, die nachhaltig wirtschafteten. Sie bekommt nur dünnen Applaus.
Drinnen in der Halle geht es, eine Woche nach den Terroranschlägen von Hanau, auch um Rechtsterrorismus und Rassismus. Baerbock sagt, man habe in Deutschland ein „massives Rassismusproblem“, sie zählt rechte Terroranschläge vergangener Jahre auf und fordert dazu auf, Menschen migrantischer Herkunft mehr zuzuhören. Weil sie es seien, die davon am stärksten bedroht sind. Zum Schluss sagt Baerbock: „Dieses Land ist bunt, ist vielfältig, dieses Land ist unteilbar, herzlichen Dank!“Dann klatschen die Zuhörer laut auf, vereinzelte Jubelrufe, die Hälfte der Menschen erhebt sich, eine gute Minute lang klatschen sie.
Dann spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wie jedes Jahr in Biberach. Er redet zuerst in Richtung der protestierenden Landwirte, fordert einen „neuen Gesellschaftsvertrag“zwischen Landwirten, Lebensmittelhandel und Verbrauchern, damit Bauern von ihrer Arbeit leben könnten. Kretschmann fordert einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel. Deutschland müsse beweisen, dass Ökologie und wirtschaftliche Prosperität zusammengingen. Und er endet mit einem Appell zur Verteidigung der offenen Gesellschaft. Und sagt, mit Blick auf Rechtsextreme in Deutschland: „Wenn die was zum sagen haben, dann haben wir wirklich nichts mehr zum Lachen.“
„Es muss dazu kommen, dass dieses Land vernünftig regiert wird“, hat Baerbock am Anfang ihrer Rede gesagt. Und wer dafür sorgen soll, das macht später ausgerechnet Kretschmann klar. „Wir können dir vertrauen, du wirst dieses Land gut führen“, sagt der baden-württembergische Ministerpräsident in Richtung Baerbock.