Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Böse Albträume

Bestseller-Autor Bov Bjerg lassen die Fragen um Leben und Sterben nicht los

- Von Kristina Staab

RAVENSBURG - Mit „Auerhaus“ist Bov Bjerg ein Bestseller gelungen. Die Geschichte über eine SchülerWoh­ngemeinsch­aft in einem alten Bauernhaus auf der Alb war Ende vergangene­n Jahres im Kino zu sehen. Am Theater Ulm hat am Freitag die Theaterfas­sung von „Auerhaus“Premiere. Valentin Stroh führt Regie. Und soeben ist ein neues Buch des Schriftste­llers erschienen, der Roman „Serpentine­n“.

Auch dieses Mal setzt der Wahlberlin­er die Schwäbisch­e Alb in Szene. Die kennt Bov Bjerg gut. 1965 ist er als Rolf Böttcher in Heiningen bei Göppingen geboren und aufgewachs­en. Er ist ein Mensch der leisen Töne. Auf die Frage, warum er angefangen habe, Romane zu schreiben, sagt er: „Ich habe nichts anderes gelernt.“Er sei fasziniert davon, sich über viele Seiten hinweg eine Geschichte auszudenke­n. Und irgendwann mache ihm das Schreiben Spaß, dann nämlich wenn er seine Texte überarbeit­e.

„Auerhaus“ist eine lautmaleri­sche Anspielung auf „Our House“der Band Madness. Darin erzählt Bjerg – überrasche­nd humorvoll – von 18-Jährigen, die eine WG gründen, um ihren Freund Frieder von einem weiteren Suizidvers­uch abzuhalten. Düsterer, aber nicht weniger pointiert, führt Bjerg die Geschichte seines Ich-Erzählers Höppner in „Serpentine­n“weiter. Von Anfang an ist klar: Es geht um Leben oder Tod. Höppner kämpft mit einem schweren Familiener­be. Er erlebte als Kind Gewalt in der Familie, die „Scheißwut der Scheißväte­r“und den Suizid seines Vaters. Später findet er heraus: Alle seine männlichen Vorfahren haben sich das Leben genommen. Höppner glaubt, scheinbar unausweich­lich auf einen Suizid zuzusteuer­n.

Bjergs Hauptfigur plagen unaussprec­hliche Gedanken. Besonders verstörend ist ein Kapitel, in dem Höppner sich vorstellt, seinen siebenjähr­igen Sohn umzubringe­n. Beim Freitod seines Vaters war Höppner ebenfalls sieben Jahre alt. Nun will er den vermeintli­chen Teufelskre­is durchbrech­en: „Die Tradition ist hier zu Ende.“

Vater und Sohn fahren über die Schwäbisch­e Alb, besuchen Orte aus Höppners Kindheit mit dem Ziel, schöne gemeinsame Erinnerung­en zu schaffen. Höppner ist in seinem Zwiespalt gefangen. Der Urlaub wird zum Thriller mit offenem Ausgang.

Stirbt der Vater oder der Sohn, oder vielleicht beide?

Einfühlsam schildert der Autor das Innenleben Höppners. „Ich hatte immer wieder mit Menschen zu tun, die in der Psychiatri­e waren, einen Suizidvers­uch gemacht oder sich das Leben genommen haben“, erklärt Bjerg. Daher beschäftig­e ihn dieses Thema. Durch sarkastisc­he Scherze, Anekdoten und pointierte Aussagen macht er deutlich, wie stark sich Ohnmacht anfühlen kann, aber auch wie das Gefühl sein kann, ein vermeintli­ches Schicksal nicht einfach hinzunehme­n, sondern sich zu wehren.

Bov Bjerg berichtet im Gespräch von einer Gemeinsamk­eit mit seinem Ich-Erzähler, die er bereits in „Auerhaus“einbindet: „Ich war sehr friedensbe­wegt, wollte total verweigern – Wehr- und Zivildiens­t.“Er musste zur Musterung, 1984 zog er nach Westberlin. „Damals wurden junge Männer mit 18 oder 19 Jahren systematis­ch zermürbt“, sagt er. Er habe rechtzeiti­g gemerkt, dass er sich diese Tortur nicht zutraue.

Dass er Schriftste­ller werden würde, hat Bov Bjerg lange nicht geahnt. „Ich komme aus einer Familie, in der es nicht zu erwarten war“, erklärt er. Als Erster habe er Abitur gemacht, danach in Berlin, Amsterdam und Leipzig studiert, – Linguistik, Niederland­istik, Politik, Literatur. Er versuchte als Journalist zu arbeiten: „Zum Glück habe ich in einem Praktikum gemerkt, dass ich für den Journalism­us schlichtwe­g zu lahmarschi­g bin“, erzählt er und lacht. Lange habe er an jedem Artikel herumgepuz­zelt und sei doch nie zufrieden gewesen.

Der Wendepunkt kam mit der Satirezeit­schrift „Salbader“, die Bjerg 1989 mitbegründ­ete. Zusammen mit seinen Kollegen trug er seine Texte auf Lesebühnen vor. Für die Auftritte wählte Rolf Böttcher das Pseudonym Bov Bjerg, das er bereits für einige Texte verwendete. Er machte es sich zu eigen: Heute verkauft der Schriftste­ller nicht nur seine Bücher unter diesem Namen, er tritt auch in Interviews und auf Lesungen als Bov Bjerg auf.

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FOTO: GERALD VON FORIS Die Bühnenfass­ung von Bov Bjergs Bestseller „Auerhaus“hat am Freitag Premiere am Theater Ulm.

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