Durch die Wand
Burhan Qurbanis Aktualisierung von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ist ausgezeichnet
GBERLIN - Gestern Abend hatte der zweite deutsche Film im BerlinaleWettbewerb Premiere: die Aktualisierung von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“für das 21. Jahrhundert.
Francis hat die Flucht aus Afrika geschafft, doch nun muss er im Moloch Berlin um sein Überleben kämpfen. Er lebt an der Hasenheide und lernt die Clubs und Bars des Nachtlebens kennen. Sein Kumpel Reinhold führt ihn ein und wird bald zum geliebten Feind. Mit der Hure Mieze kommen Liebe und Tragik in Francis’ Leben.
Der ehemalige Ludwigsburger Filmstudent Burhan Qurbani hat Döblin in die Gegenwart verpflanzt: Franz Biberkopf heißt jetzt Francis, und Döblins Roman entpuppt sich als düstere Odyssee durch unsere Gegenwart: „Da steht mein Franz und fragt sich: ,Was tun? Soll ich gehen, soll ich bleiben?’ Als wenn ihn einer in’nen Teig geschmissen hätte und nu kriegt er das Zeug nicht los. Er möchte fort, aber es geht nicht. Franz, man hat Dich reingelegt.“
Qurbani erzählt mit langem Atem und Geduld, schmeißt sich nicht ran ans Publikum, hat aber auch keine Angst vor ihm. Er schlägt einen mythisch Ton an, bleibt dabei aber immer realistisch, wird nie romantisch oder verkitscht.
Es ist der expressionistische Ton von Alfred Döblin und seinem Jahrhundertroman „Berlin Alexanderplatz“. Aber es ist auch der Ton von Burhan Qurbani. Er hat Döblins Vorlage in die Gegenwart verpflanzt, aktualisiert, auch verpoppt, ohne ihr etwas von ihrer archaischen Kraft zu nehmen, ihrem Fremdartigen.
Besonders einfallsreich und schlüssig ist dabei der Kniff, Mieze zur Erzählerin zu machen, die große Liebe von Franz Biberkopf, die Hure des Babylon Berlin, die von sich selber sagt, sie sei nicht aus Zucker, sie sei aus Marmor. Jella Haase ist in dieser doppelten Funktion der Gravitationspunkt des Films. Zusammen mit
Albrecht Schuch als Reinhold, der Teufel und Gegenspieler im Leben von Franz Biberkopf. Sein Reinhold ist ein Unhold, ein Verführer mit dem Charme des Irrsinns.
Hauptfigur Francis ist ein Afrikaner, der als Flüchtling nach Berlin kam, sich ohne Passdokumente auf illegalen Baustellen verdingt und dann von Reinhold für Drogendeals und Schlimmeres angeheuert wird, und in das Dunkel der Großstadt Berlin eintaucht. Aber innerlich ist er ein Guter, ein Naivling, ein Lazarus. Gespielt vom Brasilianer Welket Bungué.
Dies ist ein weiterer großer Kniff des Regisseurs: Franz Biberkopf ist nicht mehr der proletarische Arbeiter aus den 1920er-Jahren, sondern ein afrikanischer Flüchtling. So macht Qurbani aus „Berlin Alexanderplatz“eine Geschichte des Kampfes um Anerkennung und Würde.
Er zeigt Menschen eines bunten Deutschland, die nicht länger gegen die Wand prallen, sondern durch sie hindurchbrechen. So wird die Geschichte von Franz zur Geschichte aus einem neuen Deutschland, das so multikulti ist wie das Berlin der Zwanzigerjahre, in dem Döblins Roman spielt. Nur für die Rechtsextremisten von heute ist das eine FreakShow – was Qurbani ironisch aufgreift
Hervorzuheben sind Qurbanis Mitarbeiter: ein junges Team um die „Sommerhaus“-Produzenten Jochen Laube und Fabian Maubach, das mit einem jungen Zugang belegt, wie frisch und unverstaubt Döblins Stoff ist: etwa die Filmmusikerin Dascha Dauenhauer, der Kameramann Yoshi Heimrath. Und Phillipp Thomas, der Döblins Montagetechnik adäquat auf die Leinwand überträgt. Eine tolle Schnittfolge ist etwa die Szene, wie Franz und Mieze jeweils allein in ihrem Apartment umherstreifen , doch ihre Bewegungen so aufeinander abgestimmt sind, dass es ist, als wären sie zusammen im Zimmer.
„Berlin Alexanderplatz“ist ein Favorit für höchste Auszeichnungen bei dieser Berlinale. Spätestens mit diesem Werk beweist Qurbani, dass er einer der wichtigsten Filmemacher des aktuellen deutschen Gegenwartkinos ist.