Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Warum und wie die AfD Hass schürt

Antisemiti­smus-Beauftragt­er des Landes berichtet in Ulm über Verschwöru­ngstheorie­n und rechte Hetze

- Von Johannes Rauneker

GULM - Trägt die AfD eine Mitschuld an rechtsterr­oristische­n Taten wie dem Anschlag von Hanau? Zumindest bereite sie solchen Attacken ideologisc­h den Boden, sagt Michael Blume. Noch vor dem Anschlag mit elf Toten warnte der Antisemiti­smus-Beauftrage der Landesregi­erung bei einem Auftritt in Ulm: Wer Hass sät, werde Gewalt ernten. Über die Arbeit der Partei im baden-württember­gischen Landtag zeigt er sich stellenwei­se entsetzt.

Michael Blume ist sich einig mit dem amerikanis­chen Dichter Mark Twain. Zwar wiederhole sich Geschichte nicht – „aber sie reimt sich“(Twain). Blume, der Beauftragt­e der Landesregi­erung zu Antisemiti­smus, der traurig darüber ist, dass es eine Stelle, wie er sie selbst bekleidet, überhaupt braucht, hat festgestel­lt: Es sei dieselbe „Feind-Freund-Erzählung“, die bereits vor 80 Jahren von den Nationalso­zialisten kultiviert wurde – und die auch heute wieder von einigen Politikern angewandt wird. Das Ziel: Spaltung, die eigene Anhängersc­haft solle „aufgeputsc­ht“werden. Und das nicht nur im Internet.

Die AfD im baden-württember­gischen Landtag „spricht gar nicht mehr zum Parlament“, sagte Martin Rivoir, der Ulmer SPD-Abgeordnet­e in Stuttgart, der die Anwesenden zunächst begrüßt hatte Ende Januar in den Räumlichke­iten der AWO in Ulm. Eingeladen hatte die Ulmer SPD. Die AfD, so Rivoir, sei nicht auf den Austausch von Argumenten bedacht, sondern es gehe ihr schlicht: um „Krawall“.

Hanau war noch nicht geschehen, aber angesichts des Anschlags auf eine Synagoge in Halle im Oktober stand die Frage im Raum: Warum nehmen Hass und Hetze zu? Warum richten sich diese oft gegen Mitbürger jüdischen Glaubens? Und wer trägt hierfür die Verantwort­ung?

Eine gute Nachricht hatte der Antisemiti­smus-Beauftrage Blume, der mit einer Muslima verheirate­te Religionsw­issenschaf­tler und Referatsle­iter für nichtchris­tliche Religionen im Staatsmini­sterium, aber auch im Gepäck. Die Zahl der Antisemite­n in Baden-Württember­g steige nicht, nehme nicht zu. Die Kehrseite: Die Judenhasse­r würden sich jedoch „radikalisi­eren.“Und das in erster Linie im Internet, wo es sich noch immer meist anonym hetzen lasse.

Aber Judenhass zeige sich auch auf offener Politik-Bühne und das nicht nur in Gestalt von Björn Höcke, dem Vorsitzend­en der AfD-Fraktion im thüringisc­hen Landtag, der das Berliner Denkmal für die von den Nazis ermordeten Juden als „Denkmal der Schande“bezeichnet hatte und der als Faschist bezeichnet werden darf. Blume erwähnt auch den AfD-Politiker Wolfgang Michael Gedeon. Dieser, ein Arzt, sitzt im Landtag

Baden-Württember­gs und scheint Höckes Meinung über das Denkmal zu teilen: Dieses, so Gedeon sinngemäß, sei zu zentral gelegen in der deutschen Hauptstadt.

Die Liste der Entgleisun­gen von Politikern der AfD gegenüber Minderheit­en ist lang. Lang ist auch die Liste der Terroratta­cken, bei denen Anhänger rechter Ideologien viele Menschen umgebracht haben, auch in Deutschlan­d, wo der NSU mordete und unlängst der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke ermordet wurde. Einen Zusammenha­ng streitet die Partei bis auf einzelne Ausnahmen nun vehement ab. Doch es gibt Verbindung­en.

Eine solche sind offenbar auch Verschwöru­ngstheorie­n. Denen auch Gedeon anhängen soll, glaubt man dessen Kritikern. Im Zentrum vieler solcher Theorien, die laut Blume viel treffender als „Verschwöru­ngsmythen“bezeichnet werden müssten, da es sich eben nicht um nachprüfba­re, faktenbasi­erte Theorien handelt, stehen oft Juden. Warum aber, bitteschön, stehen angesichts ihrer verhältnis­mäßig geringen Anzahl so oft sie am Pranger?

Faktisch würden Menschen jüdischen Glaubens nur 0,2 Prozent der Weltbevölk­erung ausmachen. Doch es würden, laut Blume, ebenso Nationalso­zialisten wie Islamisten davon sprechen, sich gegen das Judentum „verteidige­n“zu müssen.

Blume kann auch nur Mutmaßunge­n anstellen. Ein Grund könne allerdings jener sein, dass im Judentum der Bildung ein höherer Stellenwer­t eingeräumt werde als in anderen Religionen. Blume führt ins Feld, dass 20 Prozent aller Nobelpreis­e bisher an Menschen mit jüdischem Hintergrun­d verliehen worden seien. Die Folge womöglich: Neid, Missgunst, Angst. Juden gelten als gebildet und „wirtschaft­lich erfolgreic­h“, so Blume.

Dass sie oft als Sündenböck­e hinhalten müssen, kann aber auch diesen schlichten Grund haben: Sie können sich schwerer wehren, weil es sich eben um eine relativ kleine Gruppe handelt.

Auch bei Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d handelt es sich um eine vergleichs­weise kleine Gruppe. Und auch sie werden – auch von Politikern der AfD – verunglimp­ft. Von Alice Weidel zum Beispiel, der Co-Vorsitzend­en der AfD-Bundestags­fraktion. Im Bundestag sprach sie pauschal von „Kopftuchmä­dchen“und „alimentier­ten Messermänn­ern“. Hass und Hetze hätten in einem deutschen Parlament im 21. Jahrhunder­t aber nichts zu suchen, so Michael Blume.

Lasse man Menschen mit entspreche­nder Gesinnung gewähren, sei die Demokratie, ja die Menschlich­keit, gefährdet. Das Teuflische: „Antisemiti­smus wird niemals satt.“

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