Visionär mit sozialer Ader
Egidius Braun wird 95 – Der Unternehmer hat den DFB maßgeblich geprägt
AACHEN (SID) - Egidius Braun ist für seine 95 Lenze noch recht rüstig. Hinter dem Ehrenpräsidenten des Deutschen Fußball-Bundes liegen einige gesundheitliche Rückschläge, deshalb macht er sich in der Öffentlichkeit rar. Seinen letzten großen Auftritt hatte er im Sommer, als die Nationalmannschaft vor dem Abflug zur WM nach Russland ein öffentliches Show-Training auf dem Aachener Tivoli veranstaltete. Braun im Kreis „seiner“Spieler, die Freude war ihm anzusehen. Am Donnerstag vollendet der langjährige Verbandschef, ein Visionär mit sozialer Ader, sein 95. Lebensjahr.
DFB-Boss Fritz Keller würdigte in einem Glückwunschbrief Brauns nachhaltiges soziales und gesellschaftspolitisches Engagement. „Die Werte, die Sie im DFB verankert haben, sind heute wichtiger und wertvoller als jemals zuvor“, schrieb er. Von Oktober 1992 bis April 2001 führte Braun den größten Einzelsportverband der Welt als achter Präsident des 1900 gegründeten DFB. Seine Amtszeit ist untrennbar mit der Öffnung des Verbands verbunden, sich auch zu seiner sozialen Verantwortung in der Gesellschaft zu bekennen. Für den ersten Bundestag, den er 1995 als Präsident leitete, ließ er das Motto prägen, das bis heute noch den DFB und seine Stiftung als Slogan durchzieht: „Fußball ist mehr als ein 1:0!“
Das waren keine hohlen Worte. Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen“, Kooperation mit dem Kindermissionswerk (Sternsinger-Aktion), „Ohne Rauch geht's auch“wurden unter ihm erfunden und umgesetzt, Kindersitze in Autos bezahlt, wenn Eltern Jugendliche zu Spielen fahren, Programme zur Integration von Ausländern erdacht und finanziert. Und für Braun ist der SpitzenFußball undenkbar ohne die Verknüpfung zur Basis, zum Amateur- und Jugend-Fußball. Einst gestand er: „Als Kind wollte ich immer Lokomotivführer werden, jetzt bin ich Weichensteller geworden.“Die Liebe zum Fußball hat den gläubigen Katholiken stets geprägt. Er war ein Präsident zum Anfassen, der allerdings immer das große Ganze des Fußballs im Auge hatte.
Brauns größte soziale Leistung war wohl, als er unter dem Eindruck der Not, die er als Delegationsleiter bei der WM 1986 in Mexiko in einem Waisenhaus (Casa de Cuna) beim Stammquartier
in Queretaro erlebt hatte, erst seine Spieler und dann alle Fußballfans zu Spenden aufrief. Die MexicoHilfe ging später in die DFB-Stiftung Egidius Braun auf. Sie besteht immer noch und hat über die Jahre Millionen Euro gesammelt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Finanzierung von Ferienfreizeiten für Jugendmannschaften. In den letzten Jahren hat die Stiftung massiv Vereine unterstützt, die sich um die Integration von Flüchtlingen gekümmert haben.
Dem Mann, der bei der WM in Mexiko nach Siegen in die Tasten griff, um dem Klavier Operetten-Melodien zu entlocken, der aber auch Uli Stein nach Hause schickte – und 1994 nach der Stinkefinger-Affäre Stefan Effenberg – wurde immer wieder das Klischee des „Pater Braun“umgehängt.
Tatsächlich konnte er zwar verschmitzt sein, über den Tisch ziehen ließ er sich aber nicht. Braun konnte hart sein, sehr hart, bisweilen auch zäh – vor allem bei Prämienverhandlungen. Nicht umsonst war er von 1977 bis 1992 Schatzmeister des DFB, von 1995 bis 2000 auch der UEFA. Er drehte jede Mark oder jeden Franken zweimal um, ehe er sie ausgab.
Die schwärzeste Stunde in seinem Funktionärsleben erlebte Braun, als bei der WM 1998 in Frankreich deutsche Hooligans einen Gendarmen in Lens fast zu Tode prügelten. Braun erwog sogar, das Team aus dem Turnier zurückzuziehen und wurde vom damaligen UEFA-Präsidenten Lennart Johansson, seinem langjährigen schwedischen Freund und Vertrauten, nur mit Mühe davon abgehalten.