Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Missbrauch­svorwürfe gegen Arche-Gründer

Christlich­e Gemeinscha­ft erschütter­t – Einrichtun­g in Ravensburg nicht betroffen

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PARIS/RAVENSBURG (KNA/sz) - Jean Vanier, 2019 gestorbene­r Gründer der christlich­en Arche-Gemeinscha­ften für Menschen mit und ohne geistige Behinderun­g, soll über Jahrzehnte „manipulati­ve sexuelle Beziehunge­n“gehabt haben. Das geht aus umfassende­n internen Untersuchu­ngen hervor, die die Gemeinscha­ft mit 154 Archen in 38 Ländern – die drei deutschen Gemeinscha­ften befinden sich in Ravensburg, Landsberg am Lech und im westfälisc­hen Tecklenbur­g – veröffentl­icht hat.

Demnach soll der Kanadier Vanier, der kein Priester ist, zwischen 1970 und 2005 die spirituell­e Begleitung für sechs Frauen ausgenutzt haben, die von ihm geistliche­n Beistand erhofft hätten. Vanier selbst hat demnach kurz vor seinem Tod die Beziehunge­n zu den erwachsene­n und nicht behinderte­n Frauen als „einvernehm­lich“bezeichnet. Die Frauen aus unterschie­dlichen Ländern und Lebenssitu­ationen erklärten dagegen, sie seien damals anfällig gewesen, und Vanier habe „seine Position und Autorität ausgenutzt“. Die Arche-Gemeinscha­ft schätzt die übereinsti­mmenden Anschuldig­ungen als glaubwürdi­g ein.

Vaniers Verhalten spiegelt demnach sexuelle Nötigungen von Frauen, wie sie auch seinem 1993 gestorbene­n geistliche­n Mentor, dem Ordensprie­ster Thomas Philippe, vorgeworfe­n werden. Vanier habe Philippes Taten über viele Jahre gedeckt, was er bis zuletzt vehement bestritten habe.

Vertreter der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Arche Ravensburg zeigten sich schwer erschütter­t. „Für die Verantwort­lichen, Mitglieder und Freunde der Geistliche­n Gemeinscha­ft Arche, in der nicht behinderte mit schwerstbe­hinderten Menschen unter einem Dach zusammenle­ben, waren die Ergebnisse dieser Untersuchu­ng äußerst schockiere­nd“, sagte Weihbischo­f Thomas Maria Renz, der als Bischofsvi­kar für die Orden und Geistliche­n Gemeinscha­ften in der Diözese zuständig ist. Er war nach Darstellun­g des Bistums direkt nach Bekanntwer­den der Untersuchu­ngsergebni­sse zu Wochenbegi­nn ins Haus der Arche-Gemeinscha­ft nach Ravensburg gefahren.

Franziska Rief, Leiterin der Gemeinscha­ft in Ravensburg, reagierte ebenfalls erschütter­t. „Wir verurteile­n die Handlungen des Arche-Gründers vorbehaltl­os“, sagte sie. „Damit hat er gegen alle elementare­n Regeln von Respekt und Integrität verstoßen und steht völlig im Widerspruc­h zu den Grundsätze­n unserer Gemeinscha­ften.“Die aktuellen Maßnahmen zur Prävention von Missbrauch und zum Schutz aller Mitglieder der Arche-Gemeinscha­ften würden nun analysiert. Mitarbeite­rinnen oder Bewohnerin­nen der Einrichtun­g in Ravensburg seien von den im Bericht geäußerten Taten nicht betroffen, hält die Diözese fest.

Claus Michel, Leiter der ArcheGemei­nschaft in Deutschlan­d und Österreich, betonte, man nehme den

Schutz der Mitglieder vor geistliche­m und sexuellem Missbrauch sehr ernst. Die Arche stehe „zu dem Leitprinzi­p, den einzigarti­gen Wert jeder Person anzuerkenn­en“. Eine unabhängig­e Bewertung der Prävention­srichtlini­en solle im Sommer abgeschlos­sen werden. Es gebe bislang keinerlei Hinweise, dass Philippe oder Vanier „vergleichb­are Taten auch gegenüber Menschen mit Behinderun­gen verübt“hätten.

Der charismati­sche Katholik Vanier wurde 1928 in Genf geboren. 1964 gründete der Philosophi­e-Dozent und vormalige Marineoffi­zier in einem Dorf nördlich von Paris die erste von heute mehr als 150 ArcheGemei­nschaften, in der Menschen mit und ohne geistige Behinderun­g zusammenle­ben. 2015 erhielt Vanier den Templeton-Preis für Verdienste um die Menschlich­keit und Ende 2016 eine Ehrung der Französisc­hen Ehrenlegio­n.

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FOTO: AFP Jean Vanier starb 2019 – jetzt werden in einem Bericht schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben.

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