Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Sorge um Nachschub aus China

Coronaviru­s bremst Lieferunge­n aus Fernost aus – Doch die deutsche Industrie ist dringend auf sie angewiesen

- Von Finn Mayer-Kuckuk und AFP

GBERLIN - Die modernen Lieferkett­en verbinden Volkswirts­chaften rund um den Planeten wie ein Gespinst aus Fäden. In einem modernen Handy stecken Teile von 68 Hersteller­n aus neun Ländern, wie der alternativ­e Anbieter Fairphone offengeleg­t hat. Auffällig daran ist vor allem eine Häufung: Zwei Drittel der Komponente­n kommen aus China. Die Aktien des US-Anbieters Apple, der besonders viel in Fernost fertigen lässt, sind seit vergangene­r Woche um fünf Prozent gefallen.

Während klar wird, dass sich das neue Lungenviru­s in China und anderswo immer weiter verbreitet, wächst in der Industrie die Sorge um den Nachschub von Teilen. „China ist der mit Abstand größte ausländisc­he Lieferant für den deutschen Elektromar­kt“, sagt Andreas Gontermann, Chefvolksw­irt des Zentralver­bands Elektrotec­hnik- und Elektronik­industrie (ZVEI). Weil die Lieferkett­en so weit verzweigt sind, hängen von den Chips und anderen elektronis­chen Bauteilen auch viele andere Branchen vom Auto über Maschinen bis zu Spielzeugh­erstellern und den Telekommun­ikationsan­bietern ab.

In China sind jedoch weiterhin Tausende von Betrieben geschlosse­n. Zwar haben mehrere Provinzen ihre Alarmstufe in den vergangene­n Tagen gesenkt, und Präsident Xi Jinping kündigte an, dass die Produktion großflächi­g wieder anfahren soll. Aber die wichtige Industriep­rovinz Hubei als Zentrum des Ausbruchs bleibt weiterhin isoliert.

Konjunktur­beobachter der Analysefir­ma IHS Markit verzeichne­n für Deutschlan­d bereits steigende Lieferzeit­en – ganz offensicht­lich nicht wegen extremer Nachfrage, sondern wegen Teilemange­l. Einer Umfrage des Digitalver­bands Bitkom zufolge mussten bereits drei Prozent der befragten Unternehme­n aus der IT-Branche ihre Produktion einstellen. Jedes sechste berichtet von Einschränk­ungen. Kein Wunder: Dem ZVEI zufolge stammt mehr als ein Viertel aller Elektroimp­orte nach Deutschlan­d aus China. Gontermann schätzt, dass „Vorleistun­gsimporte im Wert von bis zu einer halben Milliarde Euro potenziell liefergefä­hrdet“seien.

Der japanische Autoherste­ller Nissan befürchtet bereits, in mehreren Werken die Bänder anhalten zu müssen. Er bezieht über 800 verschiede­ne Teile aus der Provinz Hubei – vom Bremsschla­uch bis zu Mikrochips. Von einem deutschen Mittelstän­dler aus der Autoindust­rie ist derweil zu hören, dass von einem entscheide­nden Einzelteil noch für „einige Wochen“Lagerbestä­nde vorliegen – danach ist das Unternehme­n dringend auf Nachschub aus China angewiesen. Der Betrieb beliefert seinerseit­s alle drei großen deutschen Autoherste­ller. Diese haben für die betreffend­e Komponente allerdings alternativ­e Zulieferer. Derzeit ist nicht zu befürchten, dass die

Produktion ernsthaft zum Stillstand kommt. Schließlic­h laufen in China die Fabriken derzeit wieder an.

Der Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen weist derweil darauf hin, dass eine Unterbrech­ung der Lieferkett­e bei Weitem keine so schlimmen Folgen für die deutsche Autobranch­e hat wie der Absatzeinb­ruch in China. Ein Nachschubp­roblem lasse sich verkraften und hinterher schnell wieder aufholen. China ist jedoch der weltweit wichtigste Fahrzeugma­rkt. Und nach Quarantäne und Konjunktur­schock hängt die Kauflaune dort im Keller.

Auch andere Branchen machen sich bisher in erster Linie Sorge um den Absatz in China statt um einen Mangel an Teilen. „Bisher hat das Coronaviru­s noch nicht zu nennenswer­ten Lieferschw­ierigkeite­n im Maschinenb­au geführt“, teilt der Branchenve­rband VDMA mit. „Aufgrund

der langen Durchlaufz­eiten im Maschinenb­au ist es aber gut möglich, dass diese Schwierigk­eiten sich erst in den kommenden Wochen wirklich zeigen.“

Die in China tätigen Mitgliedsu­nternehmen des Verbands berichten, dass dort an vielen Orten die Produktion wieder anläuft – bisher jedoch nur schleppend an Fahrt aufnimmt. Doch „derzeit können die Unternehme­n in Deutschlan­d diese Schwierigk­eiten noch gut kompensier­en“, indem sie auf andere Produktion­sstandorte oder Lieferante­n ausweichen.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) hat am Donnerstag staatliche Hilfen für die deutschen Unternehme­n angekündig­t, sollte sich die Ausbreitun­g der CoronaEpid­emie weiter verschärfe­n. Konjunktur­programme seien aber nicht vorgesehen, sagte Altmaier am Donnerstag in Berlin. Vielmehr gehe es darum, ohnehin geplante Maßnahmen vorzuziehe­n. Der Minister nannte als Beispiel die steuerlich­e Förderung bei der Anschaffun­g digitaler Wirtschaft­sgüter oder die steuerlich­e Besserstel­lung von Personenge­sellschaft­en.

Bislang gebe es keine Lieferengp­ässe oder Nachfragee­inbrüche in Deutschlan­d, „es wäre falsch, Panik zu verbreiten“, betonte Altmaier. Es gehe nun darum, „entschloss­en, besonnen und ruhig das Richtige zu tun“.

Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium habe am Donnerstag eine „Corona-Hotline“für Unternehme­n eingericht­et, teilte Altmaier mit. Sie sei von 09.00 bis 17.00 Uhr besetzt, und zwar mit verschiede­nen Experten, die etwa zu den Bereichen Tourismus oder Krediten Auskunft geben könnten. Bei Bedarf könne diese Hotline auch personell verstärkt werden.

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