Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Unten See, oben Schnee

Die Region rund um Millstatt in Oberkärnte­n lohnt auch im Winter einen Besuch

- Von Ulrich Mendelin

Das Schilf leise im Wind. Lautlos gleitet ein Schwan durch den See, während sich der Himmel rot verfärbt. Die Berge am gegenüberl­iegenden Ufer werden langsam zu einer schwarzen Silhouette und verschwind­en dann ganz in der Dunkelheit. Nur oben am Goldeck sind noch ein paar Lichter zu sehen, wahrschein­lich präpariert ein Bully die Skipisten für den nächsten Tag.

Hier unten, am Millstätte­r See, herrscht bald tiefe Ruhe, als ob es schon Mitternach­t wäre. Die Einsamkeit ist in dieser Ecke Oberkärnte­ns Programm: Als „Biwak unter den Sternen“vermarktet der hiesige Tourismusv­erband acht Holzhäusch­en in der Region, auf waldigen Lichtungen, mit Blick auf den See oder – wie in diesem Fall – direkt am Ufer. Jedenfalls: abseits des Trubels. Einige der Biwaks sind neuerdings auch im Winter geöffnet. Wobei die Bezeichnun­g „Biwak“falsche Vorstellun­gen wecken könnte: Es geht nicht darum, sich mit dem Schlafsack in einer Schneekuhl­e zu vergraben. Spartanisc­h ist die Hütte schon, das aber auf eine sehr angenehme Art. Die Wände verströmen einen Duft von Zirbenholz, durch das gläserne Dach scheint der Mond. Am Fußende des gut gepolstert­en Bettes ist eine Schublade eingelasse­n, in die man für die Zeit seines Aufenthalt­es sein Handy legen soll. Zwei Stühle auf der Terrasse sind mit kuschelige­m Fell ausgestatt­et, von drinnen blickt man durch eine wandhohe Glasfront direkt auf den See. Gut geheizt ist das Biwak sowieso. Alles ist ausgericht­et auf traute Zweisamkei­t – und genau für diese Zielgruppe ist das Angebot auch gedacht. Wäre jetzt Sommer, könnte man von einem kleinen Steg direkt neben der Hütte in den See springen.

Aber es herrschen Wintertemp­eraturen, und auch deswegen ist es so ruhig am Ufer. Der Millstätte­r See, der zweitgrößt­e See in Kärnten nach dem Wörthersee, ist traditione­ll ein Ziel für die Sommermona­te, wenn sich die Wassertemp­eratur in geschützte­n Buchten auf bis zu 28 Grad erwärmt. Im Winter entdecken Urlauber die Region erst langsam als Ziel. Denn dann wollen Menschen, die nach Österreich reisen, vor allem Ski fahren. Und das Goldeck, Hausberg der Gemeinden am Millstätte­r See und der nahen Bezirkshau­ptstadt Spittal an der Drau, kann mit seinen 25 Pistenkilo­metern nicht mit den großen Skiarenen mithalten – jedenfalls wenn man die Attraktivi­tät ausschließ­lich nach diesem Kriterium berechnet.

„Dafür gibt es an den Skiliften überhaupt keine Wartezeite­n“, erzählt Tanja Hinteregge­r, während die Seilbahnka­bine 1200 Höhenmeter von der Tal- zur Bergstatio­n überwindet. Die Kärntnerin arbeitet bei der Liftgesell­schaft und zählt die Vorteile ihres Berges auf, zum Beispiel die als „exzellent“zertifizie­rten Pisten: „Da kannst du drüberglei­ten und bekommst keine Schläge.“Ein Kinderland mit zwei Liften, das sehr sicher und übersichtl­ich ist. Die windgeschü­tzte und sonnige Lage, die daher rührt, dass die Wolken von Norden in den Hohen Tauern, von Süden in den Karawanken hängen bleiben. An der Bergstatio­n auf 1780 Metern angekommen, möchte man als weiteren Vorteil hinzufügen: die Aussicht. Tief unten im Tal liegt ruhig der Millstätte­r See, dahinter die Millstätte­r Alpe. Noch weiter oben, am 2142 Meter hohen Goldeck, dem höchsten Punkt des Skigebiets, markieren drei Gipfel in drei Ländern die Eckpunkte des Blickfelds: Im Norden der Großglockn­er. Im Südosten der Triglav, Sloweniens höchster Berg. Und im Südwesten der Antelao bei Cortina d’Ampezzo, den die Italiener den „König der Dolomiten“nennen.

Das Goldeck beteiligt sich an einem Verbund von 31 Skigebiete­n in Kärnten und Osttirol, die mit einem gemeinsame­n Skipass genutzt werden können – darunter auch große Liftverbün­de wie Katschberg, Bad Kleinkirch­heim oder der Mölltaler Gletscher. Urlauber, die länger bleiben, müssen also auf Abwechslun­g nicht verzichten. Das Skigebiet am Goldeck selbst lädt mit breiten Pisten und sonnigen Hängen zur Abfahrt ein. Man hört hier und da Ungarisch und Slowenisch, vor allem aber Kärntneris­ch. Das hat seinen Grund, berichtet Hinteregge­r. Die Einheimisc­hen wüssten es nämlich zu schätzen, dass sie hier oft ihre Ruhe haben, auch wenn es in den größeren Skigebiete­n der Umgebung turbulent zugeht: „Nicht alle Kärntner legen es darauf an, den Auswärtige­n von den Perlen in ihrer Heimat zu erzählen“, sagt sie.

Einer, der die Perlen seiner Heimat gerne den Besuchern zeigt, ist Hubert Granitzer. Der Bergführer ist sommers wie winters in den Alpen unterwegs, als Kletterer, Skitoureng­eher, Bergsteige­r – oder mit Schneeschu­hen. Die hat er am nächsten Morgen dabei, als es nach einem Tag auf präpariert­en Pisten nun auf die ungespurte­n Hänge des Goldeck geht. Er führt seinen Gast von der Bergstatio­n zunächst leicht bergab ins Dorf Goldeck, einen verschneit­en Weiler aus Ferienwohn­ungen. Von dort geht es durch einen Tobel mit dem passenden Namen Schneebode­n steil bergauf in Richtung Grat. „Gerade hoch, dann greifen die Schneeschu­hkrallen am besten“, empfiehlt er, während er durch eine märchenhaf­te Winterland­schaft stapft. Der Schnee glitzert in der strahlende­n Sonne, bald wird es für eine Jacke zu warm. Nach und nach lichten sich die Bäume und geben den Blick frei – zunächst auf den Goldeck-Gipfel, das Ziel der Wanderung. Dann, oben am Grat, erneut auf das grandiose Gebirgspan­orama, das auch am zweiten Tag nichts von seiner Faszinatio­n verloren hat. Die schneebede­ckten Kuppen am Grat wirken fast wie eine Dünenlands­chaft aus strahlend weißem Sand, so sommerlich wirkt die Szenerie im strahlende­n Sonnenlich­t. Viel zu früh ist der Gipfel erreicht, wo in der Panorama-Alm das Skigebiet erreicht wird – und eine Kärntner Kaspresskn­ödelsuppe zur Belohnung wartet.

Eine zweite Belohnung wartet später im Tal: Das Badehaus, direkt am Ufer gelegen, ist ein Schmuckstü­ck von Millstatt. 2012 eröffnet, empfindet es den Stil der historisch­en Badehäuser nach, die im 19. Jahrhunder­t die Schönen und Reichen der Habsburger­monarchie ins sonnige Kärnten lockten. Auch im Winter kann man sich direkt nach einem Saunagang zur Abkühlung in den See gleiten lassen und dann auf einer Liege am Kamin einschlumm­ern, während draußen still der See ruht und das Goldeck, einmal mehr, zu einer schwarzen Silhouette wird.

 ?? FOTOS: ULRICH MENDELIN ?? Am Nordufer des Millstätte­r Sees liegt Millstatt, die Gipfel ringsum sind noch mit Schnee bedeckt.
FOTOS: ULRICH MENDELIN Am Nordufer des Millstätte­r Sees liegt Millstatt, die Gipfel ringsum sind noch mit Schnee bedeckt.
 ??  ?? Die Sonne lässt die Landschaft glitzern bei der Schneeschu­hwanderung auf den Goldeck-Gipfel.
Die Sonne lässt die Landschaft glitzern bei der Schneeschu­hwanderung auf den Goldeck-Gipfel.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany