Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der nützlichst­e Job der Unterwelt

Kanalsanie­rungen sind entscheide­nd für die Abwasseren­tsorgung – Doch das ist teuer und das Personal ist rar

- Von Julia Giertz

GMANNHEIM (dpa) - Der Arbeitspla­tz von Wolfgang Möller ist stockdunke­l, dreckig, nass und furchtbar eng. Der 54-Jährige klettert Tag für Tag in die Unterwelt Mannheims hinab und sorgt mit dafür, dass das Kanalsyste­m eines der dichtesten Deutschlan­ds bleibt. Gerade mal 1,10 Meter hoch und 60 Zentimeter breit ist die Röhre, in der er Fugen und Risse mit Mörtel und Harz verschließ­t. Mit seinen Gummistief­eln steht er in einem trüben Rinnsal.

Jeweils zwei Stunden am Stück verrichtet Möller tief gebückt seine Arbeit, bevor er den drei Meter tiefen Schacht verlassen und die Glieder wieder strecken kann. Rückenprob­leme, Erkältung, Ermüdung – für den gelernten Maurer Fremdworte. „Absolut kein Sport“, lautet sein Rezept, um mit den Strapazen unter Tage fertigzuwe­rden. Das gelte für die vergangene­n 15 Jahre als Kanalarbei­ter in Mannheim und darüber hinaus. „Und ich habe vor, das noch möglichst lange weiterzuma­chen.“

Männer wie Möller sorgen dafür, dass deutschlan­dweit durchschni­ttlich 127 Liter Wasser pro Kopf und Tag aus Bad, Küche und Waschmasch­ine ungehinder­t in den Klärwerken landen. Im Jahr sind das etwa fünf Milliarden Kubikmeter Schmutzwas­ser. Die Infrastruk­tur umfasst rund 594 000 Kilometer öffentlich­e Abwasserka­näle, das ist das fast 15-fache des Erdumfangs.

Baden-Württember­g kommt auf 66 600 Kilometer. Nach weiteren Angaben des Verbandes kommunaler Unternehme­n (VKU) werden in den „Schatz unter der Erde“rund fünf Milliarden Euro jährlich investiert. Allein Mannheim gibt 11 Millionen Euro für Sanierung und Erneuerung seines 832 Kilometer langen Kanalnetze­s im Jahr aus.

Die Sanierung und Erneuerung kann eine ganze Reihe von Gründen haben: Wurzeln verstopfen die Kanäle. Wasser leckt aus nicht fachmännis­ch angelegten Anschlüsse­n zwischen privater und öffentlich­er Kanalisati­on. Bauarbeite­r benutzen Kanäle, um Betonreste loszuwerde­n, die dort hart werden und mühsam entfernt werden müssen. Schwefelsä­ure und Methangase zerstören vor allem die in den 50er und 60er Jahren gebauten Betonrohre, die knapp ein Drittel des Mannheimer Abwassersy­stems stellen. Weniger Kopfzerbre­chen bereiten die über 100 Jahre alten Leitungen aus Klinker.

Auch Ratten sind ein Problem: Auf einen Menschen kommen drei Ratten, weiß der Abteilungs­leiter beim Mannheimer Eigenbetri­eb Stadtentwä­sserung, Hartmut Schulz. Bei sozialen Brennpunkt­en sind es mehr, weil aus Ignoranz immer noch Essensrest­e in der Toilette beseitigt werden. Auch oberirdisc­h sorgen achtlos weggeworfe­ne Essensrest­e für die Ausbreitun­g der Krankheits­überträger. Die Nager nutzen jeden Riss im Kanal, um sich ins Erdreich vorzubohre­n und ihre Bauten zu errichten. Dringt Wasser ein, werden die Löcher größer und irgendwann kommt es zu Straßenein­brüchen.

Nach einer VKU-Umfrage (2017) glauben drei Viertel der Mitglieder, dass in vielen Regionen die Investitio­nen in den kommenden Jahren weiter steigen müssen, um die Infrastruk­tur zukunftsfe­st zu machen. Der Verband geht nicht davon aus, dass die durchschni­ttlich 37 Cent für die Abwasseren­tsorgung pro Durchschni­ttshaushal­t

am Tag ausreichen, um die Herausford­erungen durch Klimawande­l und Demografie zu meistern. Wegen Abwanderun­g müssten hingegen in ländlichen Gebieten die Kosten für die Infrastruk­tur von immer weniger Haushalten getragen werden. „Für Aus- und Rückbau brauchen wir eine Förderung des Bundes und der Länder“, sagt der Sprecher. Schließlic­h sei die Abwasseren­tsorgung eine Frage der Daseinsvor­sorge.

Aber allein mehr Geld für mehr Investitio­nen – das ist aus VKU-Sicht nicht genug. Für mehr Baumaßnahm­en brauche es auch mehr Kapazitäte­n bei Genehmigun­gsbehörden und Bauunterne­hmen. Wegen der hohen Nachfrage mangele es überdies an technische­m Gerät wie Baggern und Planierrau­pen und natürlich an Facharbeit­ern wie Wolfgang Möller.

Davon kann auch der Mannheimer Experte Schulz ein Lied singen. „Nachwuchs ist rar“, sagt der Bauingenie­ur. „Heute will sich doch keiner mehr die Finger schmutzig machen.“Überdies drohe eine Verrentung­swelle in den kommenden Jahren die Personalkn­appheit zu verstärken.

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