Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Besser altern mit „Münte“

Der frühere SPD-Chef Franz Münteferin­g stellt in Ravensburg sein neues Buch vor und gibt Senioren Lebenshilf­e

- Von Ludger Möllers

GRAVENSBUR­G - Dass er vor einigen Wochen 80 Jahre alt geworden ist, sieht und hört man Franz Münteferin­g wahrlich nicht an. Der ehemalige, sogar zweifache SPD-Vorsitzend­e, Ex-Arbeitsmin­ister und Wegbereite­r der Rente mit 67 ist körperlich offensicht­lich fit, trägt Anzug und perfekt gebundene Krawatte, formuliert seine Antworten auf Fragen nach dem derzeitige­n politische­n Chaos in Berlin oder Erfurt gewohnt präzise in den für ihn typischen kurzen Sätzen: „Subjekt, Prädikat, Objekt: Das muss reichen“, hat er mal gesagt. Und hält sich dran. An diesem Donnerstag­abend stellt er in der Buchhandlu­ng Ravensbuch in Ravensburg sein neues Buch vor: „Unterwegs. Älterwerde­n in dieser Zeit“. Am Ende des Abends sind die Zuhörer überzeugt: So wie Franz Münteferin­g möchten sie auch alt werden. Oder wenigstens älter. Hauptsache: in Würde.

Dass der einstige Vollblutpo­litiker, der das „R“ebenso hörbar wie gerne rollt und damit an die familiären Wurzeln im Sauerland erinnert, nach seinem Ausscheide­n aus dem

Bundestag im Jahr 2013 die eigene Rente im Schaukelst­uhl genießen würde, hatte niemand der Wegbegleit­er ernsthaft erwartet.

Aber dass er sich im neuen Amt als Vorsitzend­er der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Senioren-Organisati­onen so lautstark wie zuvor zu Wort meldet, auch nicht. Die Arbeitsgem­einschaft versteht sich als Lobby der älteren Menschen in Deutschlan­d. Sie ist nach eigenen Angaben Dachorgani­sation für 113 Verbände, die rund 13 Millionen ältere Menschen als Mitglieder haben. Münteferin­g hat der Arbeitsgem­einschaft neuen Schwung verliehen. Zum Beispiel: Stets fordert er, die Verantwort­ung der Menschen in der Gesellscha­ft auch über das Renteneint­rittsalter hinaus stärker in den Blick zu nehmen: „Sei es nun 65 oder 67.“Sein Credo: „Die Menschen dürfen nicht den Eindruck haben, dass man sie nicht mehr braucht. Die meisten wollen noch etwas machen oder leisten – und nicht schlagarti­g aufhören.“

In Ravensburg sagt er seinen Zuhörern, wer die größte Verantwort­ung für gelingende­s Älterwerde­n trägt: „Sie. Sie selber.“Ein paar Rezepte

für den Anfang hat er parat: Sport. Den Neustart im Verein nicht scheuen. Treppenste­igen („Treppen sind kein Hindernis, sondern eine Chance.“).

Bewegung. Stolperfal­len im eigenen Haus beseitigen: Er gibt aber auch dem teuren Teppich eine Chance – nur nicht auf dem Boden: „Gut, der Teppich soll bleiben, wenn er unentbehrl­ich ist. Aber nagelt ihn bitte an die Wand. Das ist für alle gut, und dem Teppich ist es recht.“

Im Laufe des Abends erwähnt der Sozialdemo­krat immer wieder die drei „L“, die das Älterwerde­n erträglich machen können: Das erste „L“stehe für Laufen. „Bewegung der Beine ernährt das Gehirn“, weiß er, auch die Alzheimer-Demenz sei vielleicht auf diese Weise auszubrems­en. Das zweite „L“stehe fürs Lernen: in

Volkshochs­chulen oder Selbsthilf­egruppen, auf Universitä­ten oder auch durch Zeitungen. Alternativ sei das zweite „L“für die Lehre denkbar: Münteferin­g plädiert sehr dafür, dass die ältere Generation ihre Erfahrunge­n weitergibt. Auf das dritte „L“kommt er später zu sprechen.

Aber „Münte“, wie er nach wie vor gerufen wird, wäre nicht der Vollblutpo­litiker, wenn er seine Tipps nicht mit politische­n Forderunge­n verknüpfen würde. Die Kinderund Jugendarbe­it sei in den Kommunen gut strukturie­rt. Bei der Seniorenar­beit hänge viel davon ab, ob man in einer wohlhabend­en oder ärmeren Stadt lebe, sagt er. Die Frage der Seniorenbe­treuung in Deutschlan­d sei zu häufig Glückssach­e. „Wenn die Stadt, in der du wohnst, eine arme Stadt ist, hast du Pech gehabt“, stellt er fest. Auf eine spezialisi­erte, ambulante Palliativv­ersorgung bestehe ein gesetzlich­er Anspruch, sie werde aber nicht überall angeboten.

Und wofür steht das dritte „L“? Münteferin­g lässt es vorerst offen. Er berichtet aus dem eigenen Leben: 2007 trat er als Bundesarbe­itsministe­r zurück, weil er seiner zweiten

Ehefrau Ankepetra beistehen wollte. Sie starb im Jahr darauf an Krebs. 2009 heiratete Münteferin­g die 40 Jahre jüngere Michelle, heute Staatsmini­sterin im Auswärtige­n Amt. Aus seiner ersten Ehe hat Münteferin­g zwei Töchter.

Doch eine Zuhörerin drängt: „Das dritte ‚L!‘“Münteferin­g hat ein Einsehen: „Lachen Sie!“Und er, der an diesem Abend in Ravensburg seine Tipps fürs Älterwerde­n und seine Forderunge­n an die Politik eng mit den Erfahrunge­n und dem eigenen Lebensweg verknüpft, berichtet von der Fahrschule und bringt die Zuhörer zum Schmunzeln: „Ich habe erst spät gelernt, Auto zu fahren. Aber in der Fahrschule hatte ich genug Zeit, um mit dem Fahrlehrer ins Gespräch zu kommen. Die habe ich für politische Arbeit genutzt. Sechs Wochen habe ich gebraucht, bis ich den Führersche­in hatte. Aber er hatte danach unser Parteibuch!“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Ohne Sport geht es nicht, findet Franz Münteferin­g.
FOTO: LUDGER MÖLLERS Ohne Sport geht es nicht, findet Franz Münteferin­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany