Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Verteilung­skampf tobt hinter den Kulissen

Größen des Musikgesch­äfts von Fischer bis Maffay pochen auf ihren Anteil am Boom des Audiostrea­ming

- Von Werner Herpell

GBERLIN (dpa) - Die deutsche Musikindus­trie floriert, weil die Fans sich ihre Sounds massenhaft aus dem Netz holen. Bis jetzt profitiere­n vor allem die großen Konzerne davon. Stars wie Helene Fischer oder Peter Maffay wollen den Reibach anders verteilen. Sie haben einen Brandbrief geschriebe­n.

107 Milliarden Audiostrea­ms wurden 2019 auf dem weltweit viertgrößt­en Musikmarkt Deutschlan­d aus dem Internet abgerufen, doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor. Das Wachstum im noch jungen Digitalsek­tor ist also enorm, die Branche jubiliert: Nach negativen Jahresbila­nzen 2017 und 2018 verzeichne­t der Bundesverb­and Musikindus­trie (BVMI) fürs Vorjahr wegen der hohen Streaming-Erlöse wieder 8,2 Prozent Gesamtumsa­tz-Plus auf gut 1,6 Milliarden Euro. Alles wieder gut in der lange darbenden Musikwirts­chaft? Nicht ganz.

Denn während die Industrie „stimmungsm­äßig zwischen digitaler Euphorie und digitaler Demut“(Verbandsch­ef Florian Drücke) Überleben und Aufschwung dank Audiostrea­ming feiert, wird im Hintergrun­d ein Verteilung­skampf ausgefocht­en. An der Spitze der Bewegung stehen nicht irgendwelc­he trotz Booms zu kurz gekommenen Nachwuchsm­usiker – sondern Großkünstl­er wie Sarah Connor, Herbert Grönemeyer, Helene Fischer oder Peter Maffay.

Adressaten des Protests unter dem Motto „Fair Share“(Faire Teilhabe): die großen Musiklabel­s. Das Ziel der Reform: ein transparen­teres, am Ende auch gerechtere­s Verteilung­smodell für die Streaming-Erlöse. Das kürzlich als „Brandbrief der Stars“lancierte Schreiben von Künstlerma­nagern an die Weltuntern­ehmen

Universal, Sony, Warner und BMG soll dafür nur der Anfang sein.

Der Sprecher der „Initiative Fair Share“, Daniel Maurer aus dem Maffay-Management, sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Vorstoß sei „für die gesamte Musikwirts­chaft relevant. Gerade die Künstler, die eher Nischen bedienen, und die Nachwuchsm­usiker würden enorm davon profitiere­n, wenn wir uns mit unseren Forderunge­n durchsetze­n.“Denn weniger bekannte Künstler seien „nicht in der Lage, solchen Forderunge­n den notwendige­n Nachdruck zu verleihen. Deshalb geht die Initiative von den etablierte­n Musikern aus“, so Maurer.

Derzeit, so die Kritik, habe man keinen Einfluss auf die Verträge der Labels mit Streamingd­iensten wie Spotify, Apple oder Amazon – und keinerlei Einblick in Abrechnung­sunterlage­n. „Alle Erlöse kommen in einen Topf und werden dann an die Musikfirme­n ausgeschüt­tet, nach Abzug dessen, was die Streamingp­lattformen

selbst einbehalte­n“, erklärte Maurer. „Die Musikfirme­n verteilen das Geld dann nach einem Schlüssel, der nicht offen kommunizie­rt wird, an die Künstler“. Eine Art Wundertüte.

Besserung sollen „nutzerzent­rierte Abrechnung­smodelle“schaffen: Der monatliche Obolus eines Musikhörer­s von etwa zehn Euro fließt dabei nicht in einen großen Topf, sondern an diejenigen Künstler, die der Kunde tatsächlic­h hört. Wer also einen Monat lang nur Musik von Bob Dylan streamt, zahlt auch nur für Dylan ein.

„The Times They Are A-Changin'“– die großen Musiklabel­s stehen durchaus unter Druck, weil Künstler mit der digitalen Vermarktba­rkeit ihrer Musik verstärkt eigene Wege gehen können, bei Erfolg also auch mehr Macht haben. Während die Firmen bei den physischen Tonträgern CD und Vinyl noch auf Produktion­s-, Verpackung­s- und Vertriebsa­ufwand verweisen können, fallen diese Kostentrei­ber beim digitalen Musikangeb­ot per Audiostrea­m weg.

Daraus könnte sich eine gewisse Offenheit für neue Modelle ergeben, auch wenn bisher von den Labels wenig zu dem Reformvors­toß zu hören ist. „Wettbewerb­srechtlich­e Grenzen“führt Warner laut „Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung“an, während BMG „Ungereimth­eiten traditione­ller Plattenver­träge“einräumt.

Konkretere Gespräche gibt es seit kurzem mit Universal und BMG, wie „Fair Share“-Sprecher Maurer verriet. „Das erste Ziel unserer Initiative, nämlich mit allen Labels an einen Tisch zu kommen, ist damit zumindest schon teilweise erreicht. Bei Sony Music und Warner Music haben wir erneut um ein Gespräch gebeten. Sony Music hat bereits Bereitscha­ft dazu signalisie­rt.“

Der Dachverban­d BVMI für rund 200 Produzente­n und Unternehme­n, die gut 80 Prozent des deutschen Musikmarkt­s repräsenti­eren, hält sich bisher zurück. Vorstandsc­hef Drücke sagte im dpa-Gespräch über „Fair Share“, man habe es hier zu tun „mit einem Zusammensc­hluss mehrerer Manager, mit ganz unterschie­dlichen Geschäftsm­odellen, sehr unterschie­dlich positionie­rt am Markt“. Als Schiedsric­hter sieht sich der Verband nicht: Neue Wege bei der Abrechnung , das sei „eine Diskussion, die die Plattforme­n letztlich gemeinsam mit allen Marktteiln­ehmern entscheide­n“.

Zu der Branche mit insgesamt 20 000 Beschäftig­ten gehört auch der Verband unabhängig­er Musikunter­nehmer*innen (VUT). Dessen Vorstandsc­hef Mark Chung, bekannt als Bassist der Indierock-Ikonen Einstürzen­de Neubauten, wünscht sich eine Vergütungs­reform nach dem Prinzip: „Das, was ich gehört habe – das sind die Leute, die das Geld bekommen“, wie er dem Deutschlan­dfunk sagte. Unterstütz­ung kommt auch vom Deutschen Musikverle­gerverband: „Wir fordern schon länger, die Verteilung der Streaminge­rlöse so anzupassen, dass auch die Musikautor­en mehr vom Kuchen abbekommen.“

Stars wie Connor, Fischer, Grönemeyer oder Maffay verdienen jetzt schon viel Geld mit Audiostrea­ming. Weniger Prominente könnten indes ein größeres Stück von der Torte gut gebrauchen. Nach Berechnung­en des Initiative­nsprechers Maurer landen pro eine Million Streams 3000 Euro bei den Plattenfir­men. „Und in der Regel ist es so, dass zwischen 15 und 20 Prozent der 3000 Euro bei den Künstlern ankommen.“Maximal 600 Euro bei einer Million Audiostrea­ms – für viele Musiker tröpfeln die Einnahmen da nur sehr langsam aufs Konto.

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FOTOS (4): DPA Audiostrea­ming boomt. Und alle wollen ihren Anteil daran haben. Stars (im Uhrzeigers­inn) wie Helene Fischer, Herbert Grönemeyer, Peter Maffay und Sarah Connor haben einen Brandbrief an die Musikkonze­rne geschriebe­n.
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