Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gestörte Würmer

Mikroplast­ik bringt den Untergrund von Gewässern durcheinan­der – Die Lebenskrei­släufe werden behindert

- Von Roland Knauer

RGeichern sich winzige Kunststoff­teilchen im Schlamm am Grund von Gewässern stark an, bringen sie das Leben dort mit der Zeit kräftig durcheinan­der: Nach 15 Monaten fressen sich dann von den nur wenige Zentimeter langen Ringelwürm­ern aus der Naididae-Familie viel weniger Tiere durch den Untergrund. Von ein paar anderen Arten finden Bart Koelmans und seine Kollegen von der Universitä­t Wageningen in den Niederland­en dagegen ein paar mehr als sonst, berichten die Forscher in der Zeitschrif­t Science Advances. Da die Ringelwürm­er in der Natur eine sehr wichtige Rolle spielen, können solche Änderungen eine enorme Bedeutung haben.

Bart Koelmans und seine Kollegen schließen mit ihrer Forschung eine wichtige Lücke: So zeigen inzwischen eine Reihe von Studien, wie stark sich Kunststoff­e in der

Umwelt anreichern.

„Es fehlten aber Untersuchu­ngen, wie diese oft winzig kleinen Plastiktei­lchen das Ökosystem langfristi­g beeinfluss­en“, erklärt Martin Löder, der an der Universitä­t Bayreuth die „Plastic Group“am Lehrstuhl von Christian Laforsch leitet und dort auch das Verhalten von Kunststoff­en in der Umwelt untersucht.

Genau diese Untersuchu­ngen liefern jetzt die Forscher in den Niederland­en: Sie nahmen zunächst sauberes Sediment vom Grund eines Kanals, das sie bei minus zwanzig Grad einfroren, um darin lebende Organismen

abzutöten. Dazu mischten die Forscher in verschiede­nen Konzentrat­ionen entweder Nanoplasti­kteilchen, die im Durchschni­tt einen Durchmesse­r von etwa einem Zehntausen­dstel Millimeter hatten, oder Mikroplast­ik mit einem Durchmesse­r zwischen einem Fünfzigste­l und einem halben Millimeter. Insgesamt 80 solcher Mischungen wurden in Versuchsge­fäße gefüllt, die im Juli 2016 in den Grund eines 50 Zentimeter tiefen Wasserkana­ls eingegrabe­n wurden.

Als die Forscher diese Gefäße nach drei Monaten untersucht­en, waren wie erwartet aus dem Kanal bereits etliche Organismen in das vorher leblose Material eingewande­rt. Nennenswer­te Unterschie­de gab es zwischen den Gefäßen mit verschiede­nen Nano- und Mikroplast­ikanteilen jedoch kaum. Ganz anders aber sah die Situation ein Jahr später im September 2017 nach insgesamt 15 Monaten aus. In den Gefäßen ohne Plastikbei­mischung und in den Behältern mit 0,005, 0,05 oder einem halben Prozent zugesetzte­n Plastiktei­lchen lebten jeweils sehr viel mehr Organismen

als in den Behältern, denen die Forscher mit fünf Prozent den höchsten Anteil von Nano- oder Mikroplast­ik mitgegeben hatten.

Dabei hatte der Kunststoff offensicht­lich vor allem die Naididae-Ringelwürm­er sehr stark in Mitleidens­chaft gezogen, die für das Ökosystem eine entscheide­nde Rolle spielen: Diese Tiere fressen sich regelrecht durch das Sediment. Ähnlich wie Regenwürme­r im Gartenbode­n

scheiden sie unverdauli­chen Inhalt wie Sand und Schlick wieder aus, verdauen aber die im Boden steckenden Reste von Pflanzen, Tieren und Mikroorgan­ismen und stellen die darin enthaltene­n Nährstoffe später über ihren Kot wieder anderen Organismen zur Verfügung.

Bei ihrer Wühlarbeit mischen diese Ringelwürm­er nicht nur den Boden gut durch, sondern lockern ihn auch. Dadurch können das lebensnotw­endige Wasser und der für viele Organismen unverzicht­bare Sauerstoff weiter in den Untergrund dringen und verbessern so die Bedingunge­n für andere Lebewesen. Wühlen sich also weniger Naididae-Ringelwürm­er durch den Schlamm, dürften sich dort auch die Lebensbedi­ngungen verschlech­tern.

„Wie die winzigen Plastiktei­lchen den Würmern schaden, ist bisher kaum bekannt“, erklärt der Bayreuther Umweltfors­cher Martin Löder. Vielleicht verdünnen die reichlich vorhandene­n Mikro- oder Nanoplasti­kteilchen das ohnehin karge Nahrungsan­gebot für die Tiere weiter. Dadurch könnten die Würmer langsamer wachsen und sich schlechter vermehren. Das würde auch erklären, weshalb nur die höchsten Plastikkon­zentration­en die Zahl der Würmer erheblich dezimieren.

Allerdings wurden in der Umwelt zum Beispiel am Grund der Flüsse im Rhein-Main-Gebiet bisher nur erheblich niedrigere Mikroplast­ikkonzentr­ationen von rund 0,1 Prozent nachgewies­en. „Das liegt daran, dass sich kleines Mikroplast­ik in Umweltprob­en bisher nur sehr schwer nachweisen ließ und daher in Studien häufig nur die größeren Partikel mit mehr als einem halben Millimeter Durchmesse­r erfasst wurden“, erklärt Martin Löder. Er selbst arbeitet inzwischen mit erheblich feineren Filtern, die schon Mikroplast­ik mit einem Durchmesse­r von einem Hundertste­l Millimeter zurückhalt­en. „Damit finden wir erheblich größere Mengen an Kunststoff­teilchen“, nennt der Bayreuther Forscher ein noch vorläufige­s Ergebnis seiner Untersuchu­ngen.

Dieser Trend lässt sich mit der Entstehung­sgeschicht­e von Mikroplast­ik erklären: „Am Anfang wird eine Bonbon- oder Pralinen-Verpackung, vielleicht auch eine Plastiktüt­e achtlos weggeworfe­n oder liegen gelassen“, beschreibt Martin Löder die erste Etappe auf dem Weg zum Mikroplast­ik. Sonnenlich­t, Wind und Wellen lassen den Kunststoff mit der Zeit zu immer kleineren Teilchen zerbröseln, die sich so zunehmend in der Umwelt ansammeln.

„Auch wenn wir solche Werte bisher noch nicht gemessen haben, könnten fünf Prozent Mikro- oder auch Nanoplasti­kanteil im Sediment an hochbelast­eten Stellen bereits heute in Reichweite sein“, vermutet Martin Löder. Die in den Experiment­en an der Universitä­t Wageningen gemessenen Veränderun­gen des Ökosystems am Grund von Kanälen, Gräben, Tümpeln und Seen könnten daher in Zukunft auch in Mitteleuro­pa die Umwelt umkrempeln.

Seine Messungen liefern Martin Löder aber auch einen Hinweis für Gegenmaßna­hmen: „Wir finden in der Umwelt vor allem die meist in Verpackung­smateriali­en verwendete­n Kunststoff­e.“Wer also meist Produkte mit wenig oder sogar ganz ohne Verpackung einkauft und kein Plastik in der Umwelt hinterläss­t, könnte damit die Ringelwürm­er am Grund unserer Gewässer und die gesamten Ökosysteme entlasten.

Wie die winzigen Plastiktei­lchen den Würmern schaden, ist bisher kaum bekannt.

Martin Löder, Umweltfors­cher aus Bayreuth

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FOTO: BART KOELMANS Am Grunde dieses Kanals testen niederländ­ische Forscher, wie sich winzige Plastiktei­lchen auf die Umwelt auswirken.
 ?? FOTO: TACK/IMAGO IMAGES ?? Alles in Plastikfol­ie: Wissenscha­ftler untersuche­n, wie sich das Verpackung­smaterial langfristi­g auf die Umwelt auswirkt.
FOTO: TACK/IMAGO IMAGES Alles in Plastikfol­ie: Wissenscha­ftler untersuche­n, wie sich das Verpackung­smaterial langfristi­g auf die Umwelt auswirkt.

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