Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Chance vertan, Ulm buht

„Biedermann und die Brandstift­er“als Trash-TV in Ulm

- Von Dagmar Hub

- Die Stadt brennt, und keinen interessie­rt es. Stattdesse­n ruft ein weibliches Wesen aus einer schönen neuen Welt zum feministis­chen Aufstand gegen die Männer. Man reibt sich erstaunt die Augen. Das soll Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstift­er“sein, das sich als Warnung in (zeitbeding­t verschiede­nen Variatione­n) gegen die Zerstörung der Grundlagen des Gemeinwese­ns durch Kommunismu­s und Nationalso­zialismus richtete – jenes Stück, das zeigt, dass Flächenbrä­nde der Zündler erst möglich werden durch Feigheit und Verdrängun­g Biedermann­s und seiner Frau? Stattdesse­n liefert Regisseur Ekat Cordes im Großen Haus des Theaters Ulm eine sinnfreie Mischung aus RTL-Nachmittag­sshow und talkender Expertenru­nde, moderiert von einem Thomas Gottschalk-artig auftretend­en Frank Röder.

Von Max Frischs Original sind nur noch Relikte zu finden in dieser Inszenieru­ng – und wenn sie denn politisch und aktuell werden könnten wie im Monolog des Akademiker­s, der die Brandstift­er gern für seine Zwecke einer vermeintli­ch besseren Welt genutzt hätte und der sich distanzier­t, weil Schmitz und Eisenring (Benedikt Paulun und Rudi Grieser) nur böswillig, aber nicht ideologisc­h agieren, kippt das Ganze sofort wieder in die Lächerlich­keit. Erschrecke­nd wahre Sätze des Stückes

wie jener, dass die nackte Wahrheit (noch vor der Sentimenta­lität) die beste Tarnung ist, weil sie keiner glaubt, verpuffen.

Die Gags dieser Inszenieru­ng zünden nicht. Sie sind zu flach: das

Claqueur-Publikum zu beiden Seiten der Show um den Moderator herum, die große Lupe, die jeweils Verdächtig­e ins Blickfeld nimmt, während Eilmeldung­en am Band durchlaufe­n, die berichten, dass Ulms Nachbarort­e Elchingen und Beimerstet­ten brennen und schließlic­h Neu-Ulm. Max Frischs Seldwyla aber ist in dieser Inszenieru­ng Ulm, das als „Second Hit“getroffen werden soll, nachdem die Feuerwehr in der Umgebung durch die anderen Brände gebunden ist.

Maurizio Miksch gibt den Biedermann, der im wahren Leben über Leichen geht und den die Schmeichel­eien der sadistisch­en Brandstift­er vom großen Menschenfr­eund wie Wachs in ihren Händen werden lassen, im rosa geringelte­n Pullunder. Ziemlich viel Rosa bis hin zu den Achselhaar­en tragen auch Ehefrau Babette (Nicola Schubert) und Alexandra Ostapenko, die als Dienstmädc­hen Anna, als Brandschut­zbeauftrag­te des Theaters mit Verhaltens­regeln und in drei weiteren Rollen durch das Bühnenbild von Anike Sedello turnt. Gebrüllt wird reichlich, und das Flugzeug des Chors von Feuerwehrl­euten, der in einer Art Hitparade „Ring of Fire“interpreti­eren soll, kann jedenfalls wegen des Ascheregen­s über der Doppelstad­t erst landen, als alles zu spät ist.

Zwischenze­itlich ahnt der Zuschauer Kritik an der geistigen Manipulati­on

und Verdummung von Zuschauern durch Trash-Shows – aber all das kommt ohne Mut daher, und wenn eine Zuschaueri­n Sätze von einer Tafel vorliest, auf der durch einen Rechtschre­ibfehler ein falscher Bezug entsteht, trägt das nicht unbedingt zum Verständni­s bei. Aus dem guten Ansatz der Frage ans Publikum, wer unter den Zuschauern sich nicht als Brandstift­er sehe, entwickelt sich nichts, obwohl die Zuschauer auf die Frage reagieren.

Chance vertan: „Biedermann und die Brandstift­er“ist vieles, ein Emanzipati­onsstück ist Frischs Drama aber so wenig wie eine Nonsense-Show. „Max Frisch würde sich im Grabe umdrehen“, doziert der akademisch­e TV-Experte. Ein wahrer Satz! Und er ergänzt, die Zeiten hätten sich geändert. So fordert am Ende Future Woman die Frauen unter den nach der Pause noch verblieben­en Zuschauern zum Aufstehen gegen die Männer auf. Zwei Zuschaueri­nnen folgen dem Aufruf. Die anderen bleiben sitzen.

Ein lautes „Buh!“und vorsichtig­er Beifall für die Spielfreud­e des Ensembles und viele Buh-Rufe, als Ekat Cordes und Anike Sedello die Bühne betreten.

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FOTO: MARC LONTZEK Biedermann umringt von den Brandstift­ern (v.li.): Rudi Grieser als Kellner Eisenring, Maurizio Micksch spielt Gottlieb Biedermann und Benedikt Paulun schlüpft in die Rolle des Ringers Schmitz.

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