Der alte Hass auf das Fremde
Die Wurzeln des Rassismus reichen weit zurück – Eine Spurensuche von Aristoteles über Luther bis zu Hegel und Kant
Es ist überall, dieses tiefsitzende Bedürfnis für die Herabsetzung des Fremden, diese Ideologie der Ausgrenzung bis hin zu Vertreibungs- und Vernichtungsfantasien. Diesen Rassismus gab es bereits in der Antike. Er richtete sich vor allem gegen das Barbarentum. Aristoteles verteidigte sogar die Sklaverei damit, dass Sklaven von ihrer Natur her nicht imstande seien, ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen. Gleichwohl hat er in seiner „Politik“gelehrt, dass der Mensch ein von Natur aus der Gemeinschaft bedürftiges und damit staatenbildendes Wesen sei. Dass dies im Zustand der Sklaverei nicht möglich ist, liegt auf der Hand.
Der Begriff des Rassismus im Sinne einer Ideologie taucht erst im 15. Jahrhundert in Spanien auf. Rasse, als Begriff aus dem mittelhochdeutschen „Reiz“und dem altdeutschen „Reiza“stammend, wurde von den spanischen Christen zur Abgrenzung von den Juden benutzt. Es ging dabei nicht mehr nur um die „Reinheit des Glaubens“, sondern um die „Reinheit des Blutes“.
Der Begriff Rasse wurde mehr und mehr biologisch aufgeladen. Philosophen, Anthropologen, Naturforscher und Mediziner eiferten mit Theologen aus ganz Europa um die markanteste Deutung des Begriffs. Damit war die „jüdische Rasse“begründet.
In Spanien konnten Juden nach der Rekatholisierung der Iberischen Halbinsel nur noch leben, wenn sie sich taufen ließen. Der Nachweis der Abstammung und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definierten seit Ende des 15. Jahrhunderts den ideologischen Hintergrund der rassischen Kategorie. Die Verfolgung der Juden forderte im ausgehenden Mittelalter in ganz
Europa Tausende Opfer. Dahinter stand ein Antisemitismus, den man religiös grundiert als Antijudaismus bezeichnet. Der Reformator Martin Luther befeuerte ihn in seinen Hassreden auf die Juden. In seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“(1534) heißt es: „Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserem erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, dass wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein … sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“
Beschimpfungen dieser Art waren es, die Rechtsextremisten und Judenhasser aller Provenienz bis heute dankbar aufgreifen. Luther lebte in einer Umbruchzeit, die von Krisenstimmung und der Angst vor einem nahenden Weltuntergang geprägt war. Und so beteiligten sich schon zu seinen Lebzeiten viele an der Jagd auf Sündenböcke, die man für die Probleme verantwortlich machen konnte.
Dazu zählte auch die Hexenverfolgung, denen Abertausende Frauen in ganz Europa zum Opfer fielen. Hatte nicht schon Aristoteles die Frau wegen vermeintlicher körperlicher und geistiger Schwächen als „unvollständigen Mann“betrachtet? Und folgten diesem Urteil nicht auch Kirchenväter und renommierte Theologen?
Hatten die Humanisten noch die Ansicht vertreten, die Barbaren seien offensichtlich nicht so ungerecht , dass man ihre Gerechtigkeit nicht näher untersuchen könnte. So ging der Dominikaner Francisco de Vitoria noch einen Schritt weiter, als er schrieb, die Spanier seien die Nächsten der Barbaren und daher verpflichtet, sie wie sich selbst zu lieben. Zu dem Zeitpunkt hatten die Spanier allerdings schon das mexikanische Aztekenreich und das Inkareich erobert. Der „Apostel der Indianer“und spätere Bischof von Chiapas, Bartolomé de Las Casas, ließ dann schwarze Sklaven aus Afrika einführen, um die Versklavung der Indios zu beenden. Besonders überzeugend war dabei sein Argument, dass die Schwarzen aus Afrika als körperlich stärker belastbar galten. Einerseits war damit der päpstliche Missionsauftrag gerechtfertigt, zum anderen die spanische Landnahme in Übersee legitimiert.
Sklaven waren aus der Sicht des englischen Philosophen John Locke (1632-1704) Menschen, denen keine Rechte zustanden, auch nicht zur bürgerlichen Gesellschaft gehörten, sondern in ihrem Naturzustand verharrten. Alle Menschen seien zwar von Natur aus gleich. Das immerhin. Aber seine Leser warnte er davor, darunter jede Art von Gleichheit zu verstehen.
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“So lautet der erste Satz aus der Schrift „Was ist Aufklärung ?“von Immanuel Kant (1724-1804), der als einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit gilt – und sich trotzdem rassistisch und antisemitisch äußterte. So bezeichnete er die Juden als „Nation von Betrügern“, als „Vampyre der Gesellschaft“– und bescheinigte ihnen eine „Gemüthsschwäche im Erkenntnißvermögen“. Und die Menschheit, so Kant an anderer Stelle, „ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften (...) Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“
Die meisten Klassiker der Aufklärung hatten gegen den transatlantischen Sklavenhandel und gegen die Teilnahme aller europäischen Kolonialmächte nichts einzuwenden. Am meisten waren ohnehin Schwarzafrikaner betroffen und galten schon daher als Angehörige einer primitiven Entwicklungsstufe. So urteilte Georg Friedrich Wilhelm Hegel: „Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden.“Der afrikanische Kontinent sei ein „Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichten in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist.“Das Charakteristische an ihnen sei gerade, dass ihr Bewusstsein noch nicht zur Anschauung irgendeiner Objektivität gekommen sei.
In seiner „Phänomenologie des Geistes“befasst sich Hegel auch mit dem Judentum, auf eine Weise, die einen stupenden Antisemitismus nicht leugnet: „Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbaths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermordet, von seinen Göttern endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden musste.“Und an anderer Stelle: „Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele.“Johann Gottlieb Fichte, Georg Christoph Lichtenberg, Rousseau, Diderot, Voltaire – die Liste ließe sich noch verlängern: Sie alle waren in ihren Überzeugungen antisemitisch kontaminiert – und beeinflussten damit Generationen bis in unsere Zeit.