Tiefer Blick in die Seele der Musik
Glanzvolles Jazz-Konzert mit US-Sängerin und Energiebündel Sidney Ellis in Laichingen
LAICHINGEN - Die temperamentvolle Afro-Amerikanerin hat den Samstagabend zu einem Höhepunkt der Kammermusikstunde gemacht. Die beliebte Konzertreihe, die seit 26 Jahren zum Kulturleben in Laichingen gehört, hat wieder einmal gezeigt, dass sie nicht nur in der Klassik, sondern auch im Jazz viel zu bieten hat – mit Musikern und Sängern, die sonst nur in Großstädten auftreten. Sidney Ellis ist ein gutes Beispiel dafür. Sie hat ihre Karriere in Los Angeles gestartet und reist seither um die Welt. Am Wochenende hat sie Station auf der Alb gemacht – ein Glücksfall für Jazz-Liebhaber.
Ellis beeindruckt mit einer außergewöhnlichen Bühnenpräsenz. Selbst wenn sie gerade nicht singt, hat sie die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Lässig, elegant und souverän steht sie vor ihren Zuhörern, immer Herrin der Lage. Der maskuline Nadelstreifenanzug ist kein Zufall: Von Anfang an ist klar, wer hier die Hosen an hat. Sidney hat ihre Band voll im Griff: Ihre Musiker halten ständig Blick-Kontakt und reagieren auf kleinste Zeichen. Ein Wimpernschlag, und der Einsatz ist klar. Piano, Sax, E-Bass und Schlagzeug reagieren auf ihr Kommando.
In einem Spielfilm wäre Sidney Ellis eine super Besetzung für einen stilechten Chicago-Gangster-Boss. Jeder würde ihr die Rolle abkaufen. Doch ihre Stärke liegt woanders: Ihr Kapital ist ihre Stimme. Sie ist die Quelle für ihr großes Selbstvertrauen: klar, tief, stark, schwarz. Trotz ihrer androgynen Züge ist Ellis immer als Frau zu spüren. Die schlichte Perlenkette ist keine Deko, sondern Ausdruck
ihrer Persönlichkeit, passend zu ihrem schnörkellosen Gesang. In klaren weiten Bögen spannt sie die Motive auf. Voller Wärme, Energie und Leidenschaft singt sie Blues, Jazz, Soul, Gospel und Spirituals. Das Band zwischen dieser breit gefächerten Palette ist sie selbst. Denn was sie auch singt, sie singt es auf ihre eigene, unverwechselbare Art.
Sidney Ellis bezeichnet ihr Repertoire als „afro-amerikanische Volksmusik“. Doch das genügt nicht, um das Besondere an ihrer Musik auf den Punkt zu bringen – nämlich die Art ihres Gesangs. Ellis steht als Sängerin in der gleichen Tradition wie Billie Holliday, auch wenn sie am Samstagabend kein Lied von ihr gesungen hat. Aber sie hat die gleiche Rolle übernommen: Nicht die Band gibt den Ton und das Tempo vor, sondern die Sängerin. Der „Trick“ist eine spezielle Gesangstechnik, die bei langsamen Stücken besonders gut heraus zu hören ist. Ellis lässt sich nicht vom Takt treiben, sondern singt dicht „hinter dem Beat“. Das erzeugt eine geheimnisvolle Spannung, die ihren Balladen eine besondere Note gibt.
Am besten kommt diese Art von Gesang mit einer sparsamen Besetzung zur Geltung. Kontrabass, Teller und Besen genügen für eine typische Bar-Szene, wie Billie Holliday sie liebte. Mit ihr ging die Ära der Bigbands zu Ende. Formationen wie die von Glenn Miller wurden abgelöst durch Star-Sängerinnen, die als Frontfrauen die Instrumentalisten auf die hinteren Ränge verwiesen. Trotzdem sind die Musiker von Ellis‘ Band einige Sätze wert.
Alle Mitglieder der „Midnigt Preachers“sind hervorragende Solisten.
Der Pianist spielte lässig aus dem Handgelenk und bekam zurecht viel Beifall für seine wunderschönen Improvisationen. Statt den üblichen Variationen des Motivs setzte er eigene, melodisch ungewöhnliche Akzente. Bei langsamen Passagen nutzte er seine Finger für eine „Tasten-Massage“am Flügel und ließ die Töne nachklingen. Ein echter Hörgenuss. Auch der Saxofonist war ein starker Gegenpart mit eigenen Ideen. Bei der Ablösung der Sängerin nahm er ihre Vorgaben auf und machte etwas Eigenes daraus, ohne ihr die Show zu stehen. Auch das Schlagzeug und der E-Bass fügten sich harmonisch in die Einheit der Band.
Bemerkenswert war auch der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Halbzeit. Normalerweise steigert sich das Tempo im Laufe des Konzerts, die zweite Halbzeit wird schneller. Hier war es umgekehrt: Die zweite Hälfte war deutlich langsamer als die erste – musikalischer Ausdruck statt Fingerakrobatik. Nicht im Tempo liegt die Kunst, sondern im Zelebrieren der Langsamkeit: Genuss Ton für Ton.