Norbert Lammert begeistert mit Festrede Bundestagspräsident a. D. war Ehrengast bei Manuel Hagels Jahresempfang.
Norbert Lammert warnt beim Jahresempfang von Manuel Hagel vor Populismus und „zu einfachen Antworten“
GUNTERMARCHTAL - Die Demokratie als Regierungsform steht unter Beschuss. Nicht von außen, sondern von innen: Davon ist der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) überzeugt. „Demokratien stehen nicht unter Denkmalschutz“, warnte er am Freitagabend in der Mehrzweckhalle Untermarchtal. Die Demokratie sei kein stabiles, sich selbst erhaltendes System, kein Selbstläufer. In der Geschichte gebe es viele Beispiele dafür – auch und gerade in Deutschland und leider auch in der Gegenwart. Als Festredner begeisterte Lammert beim Jahresempfang von CDU-Generalsekretär Manuel Hagel.
Die Liste der hochkarätigen Redner beim traditionellen Jahresempfang – Hagel führt die Tradition von Karl Traub und Ventur Schöttle fort – ist lang. Nach zuletzt Günther Oettinger, Wolfgang Schäuble und Anselm Grün folgte Norbert Lammert der Einladung. „Prof. Dr. Norbert Lammert ist ein Verfechter unverzichtbarer Grundwerte. Wenn ich ihn in drei Worten beschreiben müsste, sage ich, er ist Verfassungspatriot, Christ und Demokrat“, lobte Hagel eingangs. Im Jubiläumsjahr der Wiedervereinigung sowie 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Jahr nach den großen Jubiläen 70 Jahre Grundgesetz und 100 Jahre Verfassung von Weimar sei Lammert genau der richtige Festredner für diesen Abend.
In seiner Anmoderation vor mehreren Hundert Gäste aus Ehrenamt, Kirche, Wirtschaft und (Kommunal) politik in der gut besuchten Mehrzweckhalle betonte Gastgeber Hagel auch, dass Friede und Freiheit in Zeiten von „hochaktuellem Hass“umso wichtiger sind. „Es ist Aufgabe und Verpflichtung, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen“, sagte Hagel und dankte insbesondere Ehrenamtlern und Unternehmern für ihr Engagement.
Welch großen Stellenwert bürgerschaftliches Engagement in unserer Gesellschaft hat und was dieses für eine gesunde Demokratie bedeutet, machte auch Lammert deutlich. „Ohne das Engagement der Bürger bleibt die Demokratie nicht stabil“, betonte er. Nicht übersehbar sei, dass seit geraumer Zeit die Zahl der Demokratien auf der Welt ab- statt zunimmt. Laut des Demokratieindex für das Jahr 2019 gibt es lediglich 20 vollständige Demokratien, „in denen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung lebt“.
Die große Gefahr sei, dass „Demokratien
von innen erodieren, sie bluten regelrecht aus“. Kein Bürgerkrieg, kein Militärputsch sei für den Niedergang dieser Demokratien verantwortlich, sondern dass durch Wahlen Personen und Gruppierungen Mandate erhalten und sie durch diese demokratische Legitimierung regelmäßig an der Presse- und Wissenschaftsfreiheit rütteln und auch die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen. „So wird die Demokratie gefährdet, von innen“, sagte Lammert mit fester Stimme.
Zu tun habe die Sehnsucht nach Stabilität und die damit fatalerweise Annahme mit totalitären Systemen kehre diese ein, auch mit dem Ausmaß und dem Tempo von Veränderungen. Der Wunsch nach Ruhe und Abstand in Zeiten, „in denen ständig alles in Bewegung ist“, sei zwar nachvollziehbar. Doch das Verlangen nach Übersicht, einfachen Lösungen und einer starken Führungsperson münde, das zeige die Geschichte mehrfach, in der „Renaissance autoritärer Regime“wie etwa in der Türkei und in Brasilien. Autoritäre System lassen bürgerschaftliches Engagement nicht zu, weil diese diesen Einsatz nicht brauchen – ganz im Gegensatz zu Demokratien. „Daher meine besten Wünsche, mein Dank und Respekt an alle Ehrenamtler“, sagte Lammert abschließend und erhielt von den Gästen für die deutlichen Worte reichlich Applaus.
Lammert habe die Stimmung des Abends nicht trüben wollen, versicherte er. Jedoch wollte er deutlich machen, wie schnell die Demokratie doch gefährdet sein kann. Doch bei allem Unmut über die schrecklichen Geschehnisse der vergangenen Tage plädierte er auch zu Besonnenheit: „Die Ereignisse sacken lassen, Ursachen nüchtern betrachten, das würde ich mir öfters wünschen.“
Ebenfalls Wünsche trug der Hausherr, Untermarchtals Bürgermeister Bernhard Ritzler am Abend vor – gerichtet an den Veranstalter sowie den Ehrengast. „Bei Manuel Hagel möchte ich mich bedanken, dass er auch mit der Veranstaltung wieder gezeigt hat, dass er ein Augenmerk auch für kleine Gemeinden hat“, sagte Ritzler. Beim Ausbau des schnellen Internets, gerade in kleinen Kommunen, so der Bürgermeister Richtung Lammert, würde er sich wünschen, dass der Staat mehr in die Verantwortung gehen würde und auch bei anderen Themen, sei es bei der Dorfinnenentwicklung oder beim Schienenverkehr, bei der Gesetzgebung mehr auf den „gesunden Menschenverstand“setzen würde. Zum Festredner Lammert sagte er direkt: „Danke für ihre entwaffnende Freundlich- und Deutlichkeit.“
Lammert bedankte sich im Gegenzug für die Einladung und erwiderte mit einem großen Lächeln: „Durch den Besuch in Untermarchtal konnte ich die Lücke in meiner Biografie nun endlich schließen.“Als Geschenk erhielt er zum Abschluss gleich zwei Präsentkorbe vom Klosterladen der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul. „Damit haben sie Linsen und Wurst fürs nächste halbe Jahr“, sagte Manuel Hagel abschließend, ehe es für alle in den gemütlichen Teil überging, bei dem sich die Gäste in lockerer Atmosphäre austauschten und den Abend vollends genossen. Für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung war der Musikverein Kirchbierlingen zuständig.