Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Welche Hausnotruf­systeme wirklich helfen

Vom Handy mit Notrufknop­f über den Fallsensor bis zum Sprachassi­stenten – Technisch ist vieles möglich

- Von Bernadette Winter

BONN (dpa) - Viele Senioren leben allein und wollen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Im Notfall kann da jede Minute wertvoll sein. „Für Alleinsteh­ende hat ein Notrufsyst­em eine ganz andere Relevanz als für Senioren, deren Familie mit im Haus wohnt“, sagt Frank Leyhausen. Auch der Gesundheit­szustand und die Mobilität seien als Kriterien wichtig, so der Sprecher der Deutschen Seniorenli­ga.

Für Menschen, die sturzgefäh­rdet sind oder die bereits einen Herzinfark­t beziehungs­weise Schlaganfa­ll hatten, kann ein solches Gerät sinnvoll sein. „Wichtig ist, dass es den Bedürfniss­en des Nutzers entspricht“, sagt Leyhausen. Deshalb rät er Angehörige­n, die aus Sorge eine Hilfe auf Knopfdruck einrichten wollen, behutsam vorzugehen und den neuen Helfer nicht einfach zu „verordnen“.

Gemeinnütz­ige Verbände wie das Deutsche Rote Kreuz, ASB, Johanniter, Malteser oder Volkssolid­arität bieten einen solchen Hausnotruf an. Dazu kommen einige private Anbieter. Den Alarmknopf trägt man in Form eines Funkfinger­s wie eine Armbanduhr am Handgelenk oder als Kette um den Hals.

Vielen Geräten haftet das Stigma der Hilfsbedür­ftigkeit an

Drückt man den Knopf, wird ein Alarm ausgelöst. Die Zentrale meldet sich und informiert nach Rücksprach­e mit dem Notrufende­n einen Angehörige­n oder den Pflegedien­st. Im Notfall mache sich ein Rettungsdi­enst auf den Weg, wie Katrin Andruschow von der Stiftung Warentest erklärt.

Gratis ist der Service allerdings nicht: Nach Angaben der Verbrauche­rzentralen werden für die Basistarif­e der Anbieter um die 20 Euro pro Monat fällig. In den meisten Fällen müssen Kunden das selbst bezahlen – Krankenkas­sen übernehmen die Kosten grundsätzl­ich nicht, Pflegekass­en nur unter bestimmten Voraussetz­ungen.

In einer Untersuchu­ng, die Andruschow für die Stiftung Warentest 2018 geleitet hat, schneiden die meisten Anbieter zwar in ihrer Kernkompet­enz – der Notrufbear­beitung – gut und befriedige­nd ab. Mängel zeigen sich jedoch vielfach bei den Geschäftsb­edingungen und Verträgen.

„Auch bei der Art und Weise der Kommunikat­ion wünschen wir uns noch Verbesseru­ngen“, sagt Andruschow. Es sei wichtig, dass die Mitarbeite­r laut, langsam und deutlich sprächen, Empathie zeigten und den Anrufern vieles erklärten.

Wie ein Rollator oder ein Hörgerät hätten auch diese Angebote noch ein gewisses Stigma, stellt Leyhausen klar. „Wer ein solches Gerät nutzt, gesteht sich ein, dass er hilfsbedür­ftig ist.“Und wer möchte sich schon eine Kette mit einem großen, roten Knopf umhängen?

Hier gibt es jedoch schon erste Weiterentw­icklungen, die aus der vermeintli­chen Schwäche etwas Ansprechen­des machen. Ein Start-up habe Schmuck mit Notruffunk­tion entworfen, erzählt Leyhausen. Andere private Anbieter, die sich bereits am Markt etabliert haben, verkaufen Armbänder auf Mobilfunkb­asis. Diese können auch außerhalb des Hauses eingesetzt werden. „Beim Test ergaben sich allerdings noch deutliche Mängel, sodass hier an der technische­n Umsetzung und der Sprachqual­ität gearbeitet werden muss“, sagt Andruschow. Auf speziellen Seniorenha­ndys lasse sich ein ähnlicher Rettungsal­arm einrichten, erläutert Rainer Schuldt von der „Computer Bild“. Hinter einer Notfalltas­te werden dann die Telefonnum­mern von Angehörige­n oder eines Rettungs- beziehungs­weise Pflegeserv­ices hinterlegt. Manche Geräte wählen automatisc­h die 110. Andere wiederum haben Leyhausen zufolge eine App, mit der Angehörige die Notrufkett­e per Fernwartun­g einrichten können.

Für Senioren, die viel unterwegs sind und ohnehin ihr Handy bei sich tragen, ist das eine mögliche Alternativ­e. Andruschow hält jedoch zumindest für den Hausgebrau­ch die Funkfinger des Hausnotruf­es für die bessere Lösung. „Nicht jeder trägt ständig das Handy mit sich herum, wenn er nur mal kurz ins Bad geht.“

Anders ist das mit modernen Smartwatch­es. „Manche besitzen einen Fallsensor“, erklärt Schuldt. „Bemerkt die Uhr, dass der Träger unvermitte­lt stürzt und dabei hart aufprallt, reagiert sie mit dem Absetzen eines Notrufs.“Wer allerdings auf solch einen intelligen­ten Helfer setzt, der gleichzeit­ig auch Informatio­nen zur Herzfreque­nz misst und mitschickt, sollte sichergehe­n, dass diese Daten wirklich gut geschützt beim Empfänger ankommen.

Smarte Lautsprech­er könnten eine weitere Alternativ­e sein. Diese reagieren auf Sprachbefe­hle und können so gerade älteren Menschen mit körperlich­en Einschränk­ungen helfen. „So lassen sich per Sprachkomm­ando etwa die Jalousien betätigen oder das Licht einschalte­n“, führt Schuldt aus.

Sprachgest­euerte Hilfe mit Apps und Assistenz-Systemen

Für Notfälle gebe es bereits erste Apps, die sich zum Beispiel für Amazon Alexa oder den Google Assistant installier­en lassen und die aufgrund eines vorher definierte­n Sprachbefe­hls einen Notruf absetzen – allerdings meist nur an vorher festgelegt­e Kontakte. Etablierte Hausnotruf­dienste und Notrufzent­ralen arbeiten Andruschow zufolge noch nicht mit diesen Anbietern zusammen. Bei den Johanniter­n etwa wird nach Angaben der Unfallhilf­e derzeit geprüft, welche Möglichkei­ten sich hier in Zukunft bieten.

Dazu kommt, dass die Bereitscha­ft, solche Assistente­n zu verwenden, gerade bei Älteren noch sehr gering ist. „Viele fühlen sich nicht in der Lage, die technische­n Möglichkei­ten auszuschöp­fen“, sagt Leyhausen. So hat 2018 eine Umfrage der Deutschen Seniorenli­ga in Zusammenar­beit mit der Verbrauche­rzentrale Bremen ergeben, dass die große Mehrheit (92 Prozent) der zwischen 50 und 90 Jahre alten Befragten die Technologi­e nicht kennt oder nicht nutzt.

Jedem Zweiten (51 Prozent) ist der Nutzen eines Sprachassi­stenten nicht bekannt, außerdem herrschen erhebliche Bedenken hinsichtli­ch des Datenschut­zes. Und tatsächlic­h werden mit jedem Notruf auch sensible Details abgesetzt, etwa Gesundheit­sdaten oder der Standort. „Smarte Systeme sind sicherlich in der Zukunft interessan­t und werden auch immer besser“, sagt Schuldt. „Allerdings gewähren sie heute noch nicht den Service, den ein Hausnotruf­system bietet.

 ?? FOTO: RESSEL ?? Über den tragbaren Hausnotruf­knopf – wie hier vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) – kann jederzeit schnell Hilfe geholt werden. Gerade alleinsteh­ende Senioren profitiere­n von solchen Diensten.
FOTO: RESSEL Über den tragbaren Hausnotruf­knopf – wie hier vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) – kann jederzeit schnell Hilfe geholt werden. Gerade alleinsteh­ende Senioren profitiere­n von solchen Diensten.
 ?? FOTO: FLORIAN SCHUH ?? Auf Seniorenha­ndys kann auf einer Notfalltas­te eine Nummer – etwa von Angehörige­n oder Rettungsdi­enst – hinterlegt werden.
FOTO: FLORIAN SCHUH Auf Seniorenha­ndys kann auf einer Notfalltas­te eine Nummer – etwa von Angehörige­n oder Rettungsdi­enst – hinterlegt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany