Ziemlich stressfest
Dem Handball ist Andreas Thiel auch als Sechzigjähriger noch vielfältig verbunden
KÖLN (dpa/SID) - Wenn es nach Heiner Brand geht, könnte Andreas Thiel es noch heute. Der ehemalige Handball-Bundestrainer gerät beinahe ins Schwärmen, wenn er über den früheren Weltklassetorhüter spricht. Brand erinnert sich nicht nur an die wahnsinnigen Reflexe des einstigen „Hexers“, sondern vor allem an dessen mentale Stärke: „Mit seinen Fähigkeiten wäre er heute auch noch absolute Weltklasse, davon bin ich überzeugt.“Thiel selbst musste lachen, als er kurz vor seinem 60. Geburtstag an diesem Dienstag von all den Brand’schen Komplimenten hörte. „Da muss ich sagen: Danke, lieber Trainer!“
Eigentlich mag der 256-fache Nationalspieler gar nicht so gerne über seinen Ehrentag sprechen. Andreas Thiel war nie jemand, der mit Freude über sich selbst geredet hat. Er wollte auch nie im Mittelpunkt stehen. Es gibt aber auch noch einen dritten Grund, weshalb er im Gespräch über seinen Geburtstag nicht in Euphorie verfällt. „Wenn man 60 wird, ist das so ein Tag, der einem bewusst macht, dass das Leben langsam zu Ende geht“, sagt er. Eigentlich lebe er schon seit seinem 50. in tiefster Melancholie, schiebt er als Scherz hinterher. „Aber so ein bisschen Scheu vor dieser Marke habe ich schon.“
Es wird auch keine große Party geben. Andreas Thiel arbeitet seit vielen Jahren als Rechtsanwalt in Köln, und vielleicht wird er sogar einige Stunden seines Geburtstags in der Kanzlei verbringen. „An den 60. werde ich ganz pragmatisch rangehen.“Er sagt das nicht mit Wehmut, er will einfach kein großes Aufhebens um den Tag machen. Thiel hat auch nicht die alten Weggefährten vom VfL Gummersbach eingeladen, mit denen er zwischen 1979 und 1991 die größten Erfolge seiner Karriere gefeiert hat: fünf deutsche Meisterschaften, drei Pokalsiege und den Triumph im Europapokal der Landesmeister 1983. Mit teils spektakulären Paraden prägte Thiel in dieser Zeit – und darüber hinaus – das Torwartspiel im Verein und in der Nationalmannschaft, mit der er 1984 bei Olympia in Los Angeles die Silbermedaille gewonnen hat.
„,Am Ende muss man stark sein‘: Diesen Spruch hat er geprägt“, erzählt
Heiner Brand, der sich noch genau (und lachend) daran erinnert, wie Andreas Thiel sich im Sommer 1979 ihm und seinen Gummersbacher Mitspielern in einem Trainingslager als damals 19-Jähriger vorstellte: „Er war sehr respektvoll den erfahrenen Spielern gegenüber. Er hat sogar tiefe Verbeugungen gemacht.“Es dauerte nicht lange, bis die anderen sich dann vor Thiel verbeugten. Eine seiner zahlreichen Glanzleistungen gelang ihm 1983 im Europapokal-Finale bei ZSKA Moskau (19:15), als er allein fünf Siebenmeter entschärfte. „Andy war so ein unfassbar geiler Keeper“, sagt Christian Schwarzer, Weltmeister von 2007: „Er konnte 55 Minuten richtig scheiße spielen und dann in den letzten fünf Minuten die entscheidenden Dinger halten. Er hat so viele Spiele alleine gewonnen.“
Andreas Thiel selbst sieht das in der Rückschau nicht ganz so verklärt. „Da ist auch richtig viel Legendenbildung dabei“, sagt er. Seine Voraussetzungen seien eben einfach „ganz gut“gewesen: „Ich hatte eine explosive Muskulatur und war vor allem ziemlich stressfest.“Vor wichtigen Spielen sei er zwar „richtig flatterig“gewesen, „aber sobald ich auf der Platte stand, war ich in der Zone. Da hab ich nix mehr wahrgenommen.“
So einer verliert die Begeisterung für den Handball nicht. Neben seiner Arbeit als Jurist ist Andreas Thiel unter anderem Vorstandsvorsitzender der Handball Bundesliga Frauen (HBF), Torwarttrainer bei den Bundesliga-Frauen von Bayer Leverkusen und Präsidiumsmitglied im Deutschen Handballbund. Und wenn ihm die Zeit bleibt, tut er auch was für den eigenen Körper. „Ich sehe zu, dass ich zwei-, dreimal pro
Woche eine Dreiviertelstunde laufen gehe.“Das ist aber nicht der
Grund, warum er an seinem Geburtstag wohl keinen Kuchen essen wird – sondern: „Ich bin eher der Mann fürs Mettbrötchen, nicht für die Torte.“