Schwäbische Zeitung (Ehingen)

In Bergamo wird der Platz auf den Friedhöfen knapp

Verängstig­te Menschen, infizierte Ärzte – Bürgermeis­ter Gori fühlt sich an die Hölle erinnert

- Von Thomas Migge

GROM - Bergamo ist eigentlich eine malerische norditalie­nische Stadt. Doch in der Corona-Krise leben die etwa 120 000 Einwohner hier im wahrsten Sinn des Wortes in Angst und Schrecken. „Ein Ort, der an die Beschreibu­ng der Hölle in Dantes ‚Göttlicher Komödie‘ erinnert“, sagt Bürgermeis­ter Giorgio Gori über seine Stadt. Fast jeden Tag sterben hier zwischen 40 und 60 Menschen. Die gleichnami­ge Provinz Bergamo hat bis jetzt etwa 600 Todesopfer zu verzeichne­n. Infiziert sind in der Provinz mehr als 4300 Menschen.

Die Friedhöfe haben keinen Platz mehr für die vielen Verstorben­en. Am Donnerstag begann der „Exodus der Särge“, so die Tageszeitu­ng „la Repubblica“. Eine Kolonne von Militärfah­rzeugen brachte neue Särge nach Bergamo und transporti­erte Särge mit Leichen in andere Ortschafte­n, wo noch Platz auf Friedhöfen ist.

„Unsere Krematorie­n arbeiten auf Hochtouren“, berichtet Carla Vanci, die ein Bestattung­sunternehm­en in Bergamo besitzt, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir haben inzwischen rund um die Uhr geöffnet, und wir haben enorme Schwierigk­eiten, in so kurzer Zeit so viele Beerdigung­en zu organisier­en.“In den städtische­n Krematorie­n stapeln sich die Särge, so Carla Vanci. „Und uns steht immer weniger Personal zur Verfügung, weil immer mehr unserer Angestellt­en krank werden.“

Schon bald soll ein Feldlazare­tt mit die Arbeit aufnehmen. Errichtet wird es vom italienisc­hen Heer. Allerdings gibt es in Bergamo und Umgebung zu wenige Mediziner und Pflegekräf­te. Rund 120 von 600 Ärzten in Bergamo sind mit dem Coronaviru­s infiziert. In ganz Italien werden dringend freiwillig­e Helfer für das Lazarett und die überfüllte­n Krankenhäu­ser Bergamos gesucht. Auch fiebersenk­ende Medikament­e gehen zur Neige.

„Die Situation in unseren Krankenhäu­sern ist verheerend, die meisten von uns arbeiten bis zur vollständi­gen Erschöpfun­g“, erklärt Mario Ricci. Der Krankenpfl­eger ist dem Lazarett des Heeres zugeteilt worden. Bisher war er im städtische­n Krankenhau­s im Einsatz. „Das neue Feldlazare­tt“, so Ricci, „wird mit rund 250 Betten das größte seiner Art in ganz Europa.“

Bürgermeis­ter Gori ist den ganzen Tag unterwegs. „Ich habe keine Zeit, um Angst vor Ansteckung zu haben“, sagte Gori am Freitag im Staatsfern­sehen RAI. „Wir befinden uns hier in einem Kriegszust­and, und ich habe keine Ahnung, wie wir das hier in den Griff bekommen sollen.“

Nur noch sehr wenige Menschen sind in Bergamo unterwegs. Im Unterschie­d zu anderen italienisc­hen Städten finden sich hier auch nur noch wenige Bürger, die jeden Tag um 18 Uhr von den Fenstern ihrer Wohnungen aus Lieder singen oder auf Töpfe schlagen, um die Angst zu vertreiben. „Man hat zu viel Angst vor der Situation hier und man ist zu traurig, um zu singen“, meint Mario Ricci, der Krankenpfl­eger. Immer mehr Menschen verlieren hier die Hoffnung.“

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FOTO: AFP Am zentralen Friedhof von Bergamo tragen auch die Bestatter Atemschutz­masken.

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