Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Fast alles eine Frage des Verdecks

Beim Kauf eines gebrauchte­n Cabrios müssen kritische Stellen genau unter die Lupe genommen werden

- Von Inga Stracke

DGer Frühling ist Cabriozeit, Autos mit Verdeck stehen wieder hoch im Kurs. Wer sich eines kaufen will, findet auch auf dem Gebrauchtw­agenmarkt viele Angebote. Doch hier lauern einige Tücken, auf die Interessen­ten gefasst sein sollten. Im Fokus steht das Verdeck – es ist allerdings nicht die einzige kritische Stelle.

„Ich muss darauf achten, ob es einwandfre­i funktionie­rt und sich leicht bedienen lässt“, erklärt Vincenzo Lucà vom TÜV Süd (Foto: Claus Uhlendorf) mit Blick auf das Verdeck. Für das Öffnen und Schließen dürfe man keinen großen Kraftaufwa­nd benötigen, es müsse leichtgäng­ig sein. Viele Fahrzeuge haben dafür eine Automatik eingebaut, diese sollte nicht ruckeln.

Ein Laie wird aber nicht alle Details erkennen. Daher rät Lucà dazu, auf eine einwandfre­ie Wartungshi­storie zu achten: „Gelenke und Scharniere sollten leicht funktionie­ren, denn natürlich gehört die Verdeckmec­hanik zum Wartungspl­an der Werkstätte­n.“

Auch die Dichtungen seien Schwachste­llen, warnt der Experte. Sie könnten einreißen, zum Beispiel durch falsche Handhabung, aber auch durch Alterung des Materials. Bei einer gerissenen Dichtung könne es zu Wassereinb­ruch kommen oder zu Pfeifgeräu­schen durch den Fahrtwind, schildert Lucà. Daher empfiehlt er, sich die Dichtungen entlang des Verdecks sowie die Anschlüsse am Scheibenra­hmen anzusehen. Bei der Probefahrt sollte man außerdem genau auf Windgeräus­che achten.

Jörg Dilge arbeitete lange für den unter anderem auf Cabrios spezialisi­erten Autobauer Karmann. Heute ist er Besitzer des daraus hervorgega­ngenen Cabriozent­rums Osnabrück und auf den Austausch von Verdecken spezialisi­ert, erklärt er.

Für die meisten Probleme gibt es aber Lösungen: „Wir haben Verdeckrei­niger, beispielsw­eise für ein grün gewordenes Dach“, sagt Dilge. Man könne auch einen neuen Verdeckbez­ug montieren, das koste im Schnitt rund 1400 Euro. Auch Vertragswe­rkstätten der Hersteller machten je nach Modell einen Austausch, der Originalbe­zug sei aber deutlich teurer. Das ist dann eine Kalkulatio­nsfrage: Lohnt sich der Kauf eines Cabrios mit beschädigt­em Verdeck für den günstigere­n Preis noch, wenn man die Kosten für den Austausch dazurechne­t?

Auch das Material des Verdecks ist ein Faktor. „Stoff- und Kunststoff­verdecke können mit der Zeit altern – und dort, wo sie gefaltet werden, auch brechen“, erklärt Vincenzo Lucà. Entscheide­nd sei die Frage, ob das Auto ganzjährig gefahren wurde. „Etwa nach zehn Jahren sollte man genauer hinschauen, vor allem bei Stoffverde­cken“, rät er. Doch auch ein 20 Jahre altes Verdeck könne top sein, sofern es gut in Schuss gehalten wurde und wenig UV-Licht abbekommen hat.

Ein Wagen, der immer draußen steht, ist meist in einem anderen Zustand als ein Garagenfah­rzeug: „Das Sonnenlich­t spielt eine sehr große Rolle. Kunststoff­e altern, sie werden spröde und verlieren ihre Weichmache­r“, betont Lucà. Das führe zu Brüchen.

Auch kleine Löcher könnten entstehen, da müsse man als Käufer wirklich genau hinschauen. Scheiben verschleiß­en ebenso – denn Kunststoff­scheiben werden mit den Jahren trüb, vor allem wenn das Auto häufig in der Waschstraß­e war. Undichtigk­eiten zwischen Scheibe und Verdeck sind immer möglich.

Ein Cabrio sei „im Prinzip nie hundertpro­zentig dicht. Es gibt immer irgendwo einen leichten Wassereinb­ruch“, sagt Lucà. Das Auto habe eben eine große Klappe, durch die Wasser hineinlauf­en kann – an den Säulen entlang kriecht es in den Innenraum und kann für Rost an den Bodenblech­en sorgen.

Das passiere, anders als bei geschlosse­nen Autos, von innen nach außen. Deshalb rät der TÜV-Fachmann: „Man sollte auf jeden Fall den Teppich hochheben und unten auf die Bodenblech­e schauen.“Denn das Thema Rost am Bodenblech sei beim Cabrio sicherlich größer.

Ein weiterer Prüfpunkt sind die Türen. Hartmut Adam von der Zeitschrif­t „Cabriolife“rät dazu, mit einem Rad auf dem Bordstein zu fahren, so dass der Wagen schräg steht. „So kann man gut prüfen, ob die Karosse noch stimmt.“Hierbei geht es darum, „dass man die Türen leicht öffnen und schließen kann und auch das Verdeck in dieser Stellung noch gut läuft, schließt und öffnet, egal ob Automatik oder Handbetrie­b. Alles muss einwandfre­i funktionie­ren“, erläutert Adam.

Bei einem Cabrio seien die versteifen­den Funktionen anders als bei anderen Autos, sagt Adam. Stabilität und Versteifun­gen gibt es vor allem über dem Unterboden. Deswegen sei das Schrägstel­len ein wichtiger Test zum Prüfen, wie verwindung­ssteif die Karosse noch ist.

Oft sind Cabrios Sommerauto­s und stehen im Winter in der Garage. Wer den Wagen dabei nicht aufbockt oder die Reifen stärker aufpumpt, riskiert platte Pneus. Unwuchten drohen. Die spüre man, wenn man bei der Probefahrt langsam fährt, erklärt Adam. „Ich muss mir die Reifen auch genau anschauen, denn das kann man sogar sehen.“

Bei offenem Verdeck strahlt die Sonne nicht nur ungehinder­t auf die Insassen, sondern auch auf Sitze und Armaturen. Deshalb ist zu prüfen: Wie ist der Zustand der Bezüge? Ist das Material des Armaturenb­retts eventuell porös? Adam rät dazu, die Übergänge an den Seiten des Armaturenb­retts zu prüfen und auch das Spaltmaß.

Außerdem sollten sich angehende Cabriobesi­tzer fragen, wo sie ihren Wagen eigentlich unterbring­en wollen. Gibt es einen Stellplatz für den Winter? Das klärt man lieber bereits vor einem Kauf ab.

„Es gibt bekannte Probleme bei den einzelnen Marken.“Cabriospez­ialist Jörg Dilge

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Auch bei älteren Cabrios wie diesem Mercedes 560SL mit Baujahr 1987 sollte sich das Verdeck problemlos öffnen lassen.
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Vincenzo Lucà

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